AbL: Erster wichtiger Etappensieg für die gentechnikfreie Landwirtschaft

Die spanische EU-Ratspräsidentschaft ist am 11. Dezember im EU-Agrarministerrat mit dem Versuch gescheitert, eine ausreichende Mehrheit der Mitgliedsstaaten für eine Gentechnik-Deregulierung im Hauruck-Verfahren zu gewinnen. Für die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) ein erster wichtiger Etappensieg für die gentechnikfreie Landwirtschaft. Der Verband Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG) spricht von einer Atempause und den grünen EU-Abgeordneten Martin Häusling stimmt die Entscheidung „ein wenig hoffnungsvoll“.

Die Diskussion im EU-Agrarministerrat kommentiert Annemarie Volling, Gentechnik-Expertin der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft: „Heute hat der EU-Agrarministerrat dem Gesetzesvorschlag der EU-Kommission zur Deregulierung neuen Gentechnik-Pflanzen eine Absage erteilt. Das ist ein erster wichtiger Etappensieg für die gentechnikfreie konventionelle und ökologische Landwirtschaft und Lebensmittelerzeugung. Denn der Gesetzesvorschlag widerspricht dem EU-Vorsorgeprinzip und sieht vor, unsere Entscheidungsfreiheit, wie wir züchten, säen, ernten und was wir essen wollen, abzuschaffen. Der Schutz unserer Ernten vor Gentechnik-Kontaminationen wäre nicht mehr sicherzustellen. Die AbL fordert die verantwortlichen Regierungen der EU-Mitgliedstaaten auf, weiter wachsam zu bleiben und sich nicht durch minimale Kompromissvorschläge umstimmen zu lassen. Die hypothetischen Versprechen der Gentechnik-Industrie müssen entlarvt werden. Auch das Europaparlament muss diesen einseitigen industrienahen Gesetzesvorschlag ablehnen. Für echte Lösungen brauchen wir ganzheitliche Ansätze – ohne Gentechnik und Patente. Die AbL fordert: Keine Geschenke für die Gentechnik-Konzerne - das Recht auf gentechnikfreie Landwirtschaft und Lebensmittelerzeugung muss gesichert werden!“

VLOG: Deregulierung im Eiltempo vorerst gescheitert

Alexander Hissting, Geschäftsführer des Verbandes Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG) kommentiert: „Der Versuch, die Gentechnik-Deregulierung im Eiltempo voranzutreiben, ist heute zum Glück vorerst gescheitert. Landwirtschaftsminister Cem Özdemir hat bei der Abstimmung in Brüssel richtigerweise sehr deutlich gesagt, dass der aktuelle Plan die Milliardenmärkte Bio und ‚Ohne Gentechnik‘ existenziell bedrohen würde.

Es ist wichtig, dass Deutschland jetzt weitere EU-Länder davon überzeugt, dass es ohne Koexistenz, Transparenz und Kennzeichnung auch für neue Gentechnik nicht geht. Denn die Deregulierungs-Anhänger werden sehr schnell weiter Druck machen und versuchen, doch noch eine Mehrheit zu organisieren. Die heutige Abstimmung ist immerhin eine kurze Atempause für Verbraucher:innen, Bio und ‚Ohne Gentechnik‘ – mehr allerdings auch noch nicht. Es ist weiter viel Überzeugungsarbeit auf allen Ebenen nötig!“

Häusling: Gentechnikbefürworter werden dranbleiben

Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament und Mitglied des Umwelt- und Gesundheitsausschusses kommentiert: „Die gestrige fehlende Mehrheit der EU-Mitgliedsländer für eine weitgehende Deregulierung der Neuen Gentechnik (NGT) stimmt ein wenig hoffnungsvoll. Und gibt Kraft - für Europas Verbraucherinnen und Verbraucher, für die Bäuerinnen und Bauern und für die Natur -, denn die Konsequenzen der vorgeschlagenen Änderungen sind sehr kritisch einzuschätzen und wären eine Abkehr vom Vorsorgeprinzip. Der Deregulierungsvorschlag zur Abschaffung der Kennzeichnungsvorschriften, der Sicherheitsprüfungen und jeglicher Art von Haftungsverfahren für neue Gentechnik hätte die Transparenz darüber geopfert, ob die Saaten, Pflanzen und Lebensmittel, die wir anbauen, kaufen und essen, neue Gentechnik enthalten oder nicht. Auch die direkten und indirekten Auswirkungen der Freisetzung neuer Gentechnik in der Natur und auf die biologische Vielfalt wurden bisher nicht bewertet."

Häusling verweist darauf, dass am Vorabend auch der Agrarausschuss (AGRI) des Europäischen Parlaments seine Position zu NGTs abgestimmt hat. Diese Position werde als Stellungnahme in die Position des Umwelt- und Gesundheitsausschusses einfließen. "Diese ist eine desaströse Kampfansage an den verantwortungsvollen Umgang mit Gentechnik und ein Schlag gegen die Europäischen Vorsorgeregelungen. Die Position besagt unter anderem: Neue Gentechnik ohne Kennzeichnung in der gesamten Warenkette, noch nicht mal für das Saatgut. Koexistenz-Maßnahmen für gentechnikfreien Anbau sind gestrichen. Das Verbot von NGT der Kategorie 1 im Biolandbau wird zwar in einem Passus bestätigt, in einem anderen jedoch aufgehoben und kann zudem durch eine Revisionsklausel sieben Jahre nach Inkrafttreten der neuen Verordnung gekippt werden. Damit ist klar: Würde diese Stellungnahme des Agrarausschuss zur Position des Parlaments, käme das einem Desaster gleich. Wir werden uns deshalb weiter mit ganzer Kraft dagegen wehren. Einigkeit herrschte hingegen darüber, dass NGT Pflanzen, Pflanzenmaterial, Pflanzenteile und die genetische Information, die die Pflanzen enthalten, nicht patentierbar sein sollen", so Häusling.

Häusling begrüßt die Haltung von Agrarminister Cem Özdemir, der sich weiterhin für Koexistenz, Transparenz und das Vorsorgeprinzip ausspricht und im Agrarrat eine deutsche Stimmenthaltung durchsetzen konnte. Eine erneute Abstimmung im Ausschuss der Ständigen Vertretung ist bereits für den 21. Dezember vorgesehen. Sollte es dann eine Mehrheit für die Gentechnik-Deregulierung geben, so wird der Rat dieses Abstimmungsergebnis im Januar nur noch formal bestätigen.

Die Gentechnikbefürworter werden in den nächsten 9 Tagen alles daran setzen, die Länder, die sich gegen den Vorschlag ausgesprochen haben, noch mit kleinen Zugeständnissen umzustimmen. Das muss verhindert werden.“

Spanien versucht, EU-Staaten auf Deregulierungskurs festzulegen

Die Aussprache und Abstimmung im EU-Agrarministerrat am 11.12.2023 war mit großer Spannung erwartet worden, der Ausgang bis zuletzt ungewiss. Spanien, das noch bis zum Jahresende die halbjährlich wechselnde EU-Ratspräsidentschaft innehat, versucht mit allen Mitteln, die EU-Mitgliedstaaten noch vor dem Ende ihrer Amtszeit auf einen Pro-Gentechnik-Deregulierungskurs festzulegen. Nach eigenem Bekunden und Hintergrundinformationen aus Brüssel wird sie das auch weiterhin noch vor Weihnachten 2023 zu erreichen versuchen.

Auch eine Mehrheit wäre noch keine endgültige Entscheidung

Auch wenn diese Mehrheit zustande käme, wäre das noch nicht die endgültige Entscheidung und das Ende der Debatte. Im Januar 2024 stehen weitere Abstimmungen im Europaparlament an, danach würden weitere Abstimmungen zwischen Kommission, Rat und Parlament folgen. Ganz am Schluss gäbe es noch einmal eine finale Abstimmung der Mitgliedsstaaten. Eine frühzeitige, einseitige Festlegung der Mitgliedsstaaten auf eine weitgehende Deregulierung wäre jedoch ein denkbar schlechtes Signal.

Für Deutschland hat sich Landwirtschaftsminister Cem Özdemir in Brüssel der Stimme enthalten, weil die Ampelkoalition zu diesem Thema keine einheitliche Position vertritt. Für die Mehrheitsverhältnisse in dieser Abstimmung hat sich das dennoch wie eine Nein-Stimme ausgewirkt und mit dazu beigetragen, dass die erforderliche sogenannte „qualifizierte Mehrheit“ nicht zustande gekommen ist.

Özdemir: „Wer gentechnikfrei wirtschaften will, muss dies auch in Zukunft tun können“

Cem Özdemir sagte dazu in Brüssel: „Wer gentechnikfrei wirtschaften will, muss dies auch in Zukunft tun können. Wir brauchen echte Wahlfreiheit über die gesamte Lebensmittelkette. Dafür brauchen wir Regeln für die Koexistenz, damit ein funktionierender, milliardenschwerer Markt nicht zerstört wird. Die Bürgerinnen und Bürger wollen wissen, welche Produkte sie kaufen. Ich möchte, dass Verbraucherinnen und Verbraucher selbstbestimmt entscheiden können. Da brauchen sie keine Ratschläge, egal von wem.

Auch Unternehmen des Lebensmittelhandels haben sich sehr klar für Transparenz im Sinne der Verbraucher ausgesprochen. Viele Landwirtinnen und Landwirte verdienen gutes Geld mit Produkten ohne Gentechnik – das muss auch künftig möglich sein.“ Mit Blick auf den weiteren Prozess ergänzte der Minister: „Dass es heute keine nötige Mehrheit der Mitgliedstaaten im Rat gab, ist deshalb auch ein klarer Auftrag, bei den entscheidenden Punkten nachzusteuern.“

14.12.2023
Von: FebL/PM

Erste erfolgreiche Etappe aber noch nicht das Ende der Fahrt gegen die Deregulierung. Foto: AbL