Aldi’s Abkehr vom Billigfleisch und die Folgen für die Tierhaltung
Die Ankündigung von Aldi und im Gefolge anderer LEH’s und Discounter, nach und nach und ab 2030 ganz aus dem herrschenden Frischfleischsystem auszusteigen, hat vor allem den Schweinemarkt tief getroffen. Während die NGO’s – selbst überrascht ob eines solchen Bündnispartners – das „Aldi- Tierwohlversprechen“ mit Beifall begleiten, herrscht in der Agrar- und Fleischlobby ungläubiges Misstrauen, dass ausgerechnet der berüchtigte „Billigheimer“ einen solchen Vorstoß macht. Auch die Politik wurde kalt erwischt, so dass Klöckner’s Ministerium das Thünen- Institut (TI) beauftragte, die „Aktivitäten des LEH beim Fleischkonsum“ einzuschätzen.
In ihrer aktuell vorliegenden Bewertung stellt das Institut die Fragen nach der Lieferfähigkeit der Landwirte, den Auswirkungen auf Export/Wettbewerbsfähigkeit sowie nach möglichen Folgen für die landwirtschaftlichen Strukturen.
Sind die Landwirte lieferfähig für Aldi und Co.?
Ausgehend vom Schema der Haltungsform des LEH in Stufe 1 (gesetzlicher Standard), Stufe 2 (Stall plus 10% mehr Platz im Rahmen der Initiative Tierwohl), Stufe 3 (Außenklima) und Stufe 4 (Auslaufhaltung + Bio) kommen die Autoren zum Ergebnis, dass zurzeit Stufe 2 bei Schweinen ca. 25% und bei Mastgeflügel ca. 80% Marktanteil hat. Für Stufe 3 und 4 gibt es keine verlässlichen Zahlen. „Der Anteil von Öko- Fleisch, Neuland und Tierschutzbund an den Einkäufen dürfte alle Tierarten bei unter 6% liegen (...), der Anteil an der inländischen Produktion darunter. Diese Programme wären der Stufe 4 des LEH zuzuordnen.“ Erzeuger müssen, so das TI, für eine notwendige Umstellung „attraktive Angebote“ bekommen, d.h. Kompensation der Mehrkosten für Investition und laufenden Aufwand, Planungssicherheit durch langfristige Verträge, erforderliche Baugenehmigungen und Konfliktlösungen beim Immissionsrecht (TA- Luft). Außerdem fordern sie die Einbeziehung der Sauenhaltung (bisher beginnt beim LEH das Tierwohl bei Schweinen erst ab 30 kg) und die Berücksichtigung von Verarbeitungsfleisch, da das Frischfleisch nur etwa 30% des gesamten Fleisches erfasst.
Umstellungsbereitschaft verhalten
Angesichts der rechtlichen und finanziellen Unklarheiten (z.B. Umsetzung Borchert-Empfehlungen) gehen die Autoren von einer verhaltenen Umstiegsbereitschaft der Landwirte aus, vor allem was den engen Zeithorizont der Zielmarken betrifft. Die Rahmenbedingungen müssten „spätestens in 3 Jahren umgesetzt worden sein, damit eine Umstellung landwirtschaftlicher Betriebe auf Stufen 3 und 4 in spürbarer Größenordnung bis 2026/2037 möglich ist.“ Die Schweinehalter sehen „ihre derzeitige Lage ungünstig sowie perspektivisch ebenfalls keineswegs hoffnungsvoll“ und würden ohne vertrauensbildende Maßnahmen (Recht, Fördersätze usw.) keinesfalls das Risiko der Umstellung eingehen. Da 79% der Ställe mit Vollspalten ausgestattet sind, die ohne tiefgreifenden Umbau oder Neubau für die Staufen 3 und 4 nicht geeignet sind, „dürfte es besonders schwierig sein, kurz- bis mittelfristig die erforderlichen Mengen für die Stufen 3 und 4 bereitzustellen.“
Sie schlussfolgern daraus, dass bei Schweinefleisch, aber auch bei Hähnchen das höherwertige Fleisch nicht schnell verfügbar ist. Etwas einfacher dürfte es bei Rindfleisch sein, da 50% der Rindfleischmenge als Hackfleisch verkauft wird, das vorrangig von Kühen geliefert wird. Offensichtlich stehen genügend Kühe mit Weidehaltung zur Verfügung.
Eingeschränkte Exportfähigkeit bei Schweinefleisch
Die Wettbewerbsfähigkeit analysieren die Wissenschaftler am Beispiel des Schweinefleisches, das besonders exportgetrieben ist. Durch den Ausbruch der Schweinepest ist der Absatz in Drittländer und die Wertschöpfung stark gesunken. „Es ist nicht zu erwarten, dass eine deutliche Entspannung in den kommenden zwei Jahren eintreten wird.“ Da aber die deutschen Schweineprodukte zu je einem Drittel als Frischfleisch, als Verarbeitungsfleisch und als Exportfleisch vermarktet werden, kommt den Ausfuhren ein besonderes Gewicht bei der Inwertsetzung der einzelnen Teile des Schweines zu. Während die „edlen Teilstücke“ noch importiert werden, speckhaltige Teilstücke teilweise in die Wurstherstellung gehen, werden vor allem Bäuche, andere Speckteile und Nebenprodukte exportiert. Dieser Absatz bringt etwa 10-20% des Umsatzes. Das Fehlen dieses Teilmarktes und die geschrumpften Margen durch die Konkurrenz anderer europäischer Anbieter sind nach Auskunft der Fleischindustrie der wichtigste Grund der aktuellen unterirdischen Schweinepreise.
Die Wissenschaftler stellen sich der Frage, ob die Exportfleischteile des „Tierschutzfleisches“ zum angemessenen Preis ausführbar sind. Wenn nicht, müssen die Preisanteile auf vermarktbare Fleischteile aufgeschlagen werden. Sie analysieren den Export in die EU am Beispiel Polen und Italien und die Drittlandsausfuhren am Beispiel Japan und Südkorea. Sie gehen im Ergebnis davon aus, dass in Polen und Italien erhebliche Hürden zu erwarten sind, deutsches Tierwohlfleisch zu etablieren. In beiden Ländern ist Tierwohl nicht das wichtigste Einkaufkriterium, eher Preis, Herkunft, Geschmack. Und sollte ein relevanter Markt dafür entstehen, würden schnell die Länder selbst heimisches Tierwohlfleisch erzeugen, so dass „Tierwohl als ein mögliches Alleinstellungsmerkmal deutscher Einfuhren nur eine kurze Halbwertzeit hätte“. Das Marktvolumen wird eher als gering bewertet.
Für die asiatischen Länder Japan und Südkorea - bei China dürfte es ähnlich sein – sieht das Thünen-Institut Marktpotenziale „bei (fast) gleich null“. Ein Mehrpreis ließe sich nicht über das alleinige Kriterium Tierwohl erzielen.
Geringe Auswirkungen auf landwirtschaftliche Strukturen zu erwarten
Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass „ohne Aldi“ und „ohne Borchert“ bzw. verschiedene Tierwohlaktivitäten „mit einem weiteren deutlichen Rückgang der Zahl der Betriebe sowie einer Zunahme der durchschnittlichen Betriebsgröße zu rechnen ist“. Ob sich das „mit Aldi“ ändern würde, sei angesichts der vielen anderen Bedingungen (Recht, Förderung, Kompensationen usw.) nicht quantifizierbar. Die Tierbestände würden in beiden Fällen zurückgehen.
Alle Betriebe müssen die individuelle Situation einer Notwendigkeit bzw. Kostenaufwandes eines Umbaus bzw. Neubaus prüfen. Für größere Betriebe sei das Einlassen auf das derzeitige Angebot ohne entsprechende Preis- und Mengenabsicherung ein größeres Risiko, aber auch eine Chance, wenn man rechtzeitig „dabei“ sei. Kleinere Betriebe müssten neben dem Preis-Kosten-Verhältnis noch den relativ höheren Aufwand für Arbeitszeiten und den administrativen Aufwand berücksichtigen.
Fazit der Autoren: „Insgesamt lässt sich nicht zwingend ableiten, dass bestimmte Betriebsgrößen in größerem oder geringerem Umfang an den Maßnahmen teilnehmen würden.“
Der Marktbeobachter schlussfolgert aus der Einschätzung des Thünen-Instituts, dass der Markt für Tierwohlfleisch sich weitgehend neu und selbstständig konstituieren muss, sich vor allem auf den nationalen Markt ausrichten muss und ein Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage zwingend ist. Die „grüne“ (landwirtschaftliche) Seite muss sich neu aufstellen, eigene Interessen formulieren (Preismaske, Notierung, Verträge, Mengenbildung) und darf sich nicht als Unterabteilung des Standardmarktes (einschl. ITW) organisieren. Der Tierwohlmarkt muss sich davon abkoppeln. Und das ist auch möglich, wenn die Exportabhängigkeit nicht mehr bestimmend ist.
Dem Biofleischmarkt ist das in den letzten Jahren gelungen. Er könnte ein Vorbild sein.