Die Ankündigungen von zahlreichen Lebensmittelhändlern wie Aldi, Edeka oder Lidl, in Zukunft kein Fleisch der Haltungsform 1 mehr anzubieten und längerfristig sogar nur noch Fleisch der Stufen 3 und 4 anzubieten, sind nach Ansicht der Verbraucherzentralen als Schritte in Richtung mehr Tierschutz in der Nutztierhaltung dringend überfällig. In einer von den Verbraucherzentralen Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz für das Netzwerk der Verbraucherzentralen in Deutschland erstellten Stellungnahme werden alle Händler aufgefordert, dieser Linie zu folgen und sich nicht auf Frischfleisch zu beschränken. Zudem müsse der Handel den Landwirt:innen Planungssicherheit geben in Form von langfristigen Abnahmeverträgen zu kostendeckenden Preisen. Die Schritte des Handels seien auch ein wichtiges Signal an die Politik, die genehmigungsrechtlichen Hürden für tiergerechtere Stallbauten schnell zu beseitigen. Notwendig sind für die Verbraucherzentralen in Deutschland und in der Europäischen Union eine einheitliche, verpflichtende Haltungskennzeichnung für alle tierischen Lebensmittel, mehr verbindliche Kontrollen und insgesamt eine deutliche Verbesserung des Tierschutzes durch den Gesetzgeber.
Nachdem der Handel bei Fleisch nach Ansicht der Verbraucherzentralen jahrzehntelang auf Niedrigpreis- und Lockvogelangebote gesetzt hat, wollen Aldi (Nord und Süd) und Lidl Frischfleisch von Schweinen, Rindern, Hühnern und Puten, die nur nach den gesetzlichen Mindestanforderungen gehalten wurden ("Haltungsform 1 Stallhaltung"), bis 2025 aus ihren Filialen verbannen; Edeka will "kurzfristig" dasselbe tun. Erst später soll dann auch Haltungsform 2 aus den Geschäften verschwinden.
Der Verzicht auf Haltungsform 1 bringt aus Sicht der Verbraucherzentralen das Tierwohl nicht deutlich nach vorne. Der aktuelle, gesetzliche Mindeststandard der Tierhaltung stehe wegen Tierschutzdefiziten stark in der Kritik – und das nicht nur von Tierschützern, sondern auch von Agrarexperten. Tatsächlich werden unter den Bedingungen dieser "Haltungsform 1 Stallhaltung" aktuell etwa 90 Prozent der Nutztiere in Deutschland gehalten. Und Haltungsform 2 des Handels ist für die Verbraucherzentralen diesen Bedingungen gegenüber kein deutlicher Fortschritt.
Erst der zweite Schritt, auch auf Haltungsform 2 zu verzichten, wäre ein Weg hin zu deutlich mehr Tierwohl in der Tierhaltung. Damit liege das aus Sicht wichtigere Datum ein Stück weiter in der Zukunft: Die beiden Aldis, Penny und Rewe haben mitgeteilt, dass sie ab 2030/31 nur noch Frischfleisch von den genannten Tierarten anbieten, das aus den
Haltungsformen 3 ("Außenklima") und 4 ("Premium") stammt. Und auch Edeka plant das "längerfristig". Während Aldi diese Ankündigung auf das gesamte Frischfleisch beziehe, gelte das bei Penny und Rewe nur für die Eigenmarken.
Auch andere Händler wollen ihr Fleischangebot nachbessern. So haben Kaufland und Lidl versprochen, ihr Frischfleischangebot aus den Haltungsformen 3 und 4 auszubauen.
Alle Handelsunternehmen müssen mitmachenNach Ansicht der Verbraucherzentralen sind solche Schritte in Richtung mehr Tierschutz in der Nutztierhaltung dringend überfällig, und auch die übrigen Handelsunternehmen müssen sich anschließen. Denn seit Jahren nehme die Zahl der Verbraucher:innen zu, die wollen, dass Tiere gut und gesünder leben, bevor sie geschlachtet werden.
Deutlich verbesserte Lebensbedingungen gebe es erst ab Haltungsform 3 - doch bisher stamme mehr als die Hälfte des Fleischangebots aus der Haltungsform 1 und mehr als ein Drittel aus der Haltungsform 2, wie ein
bundesweiter Marktcheck der Verbraucherzentralen im Sommer 2020 gezeigt hat. Nur bei etwa 13 Prozent waren es die Haltungsformen 3 und 4.
Die Händler dürfen sich nicht aufs Frischfleisch beschränkenDie Verbraucherzentralen verweisen darauf, dass Schweine und Rinder nicht nur aus Schnitzeln, Filets & Steaks und Hühner und Puten nicht nur aus Brustfilet bestehen. Um die geschlachteten Tiere möglichst weitgehend zu verwerten, sollten Verarbeiter und Händler verpflichtet werden, die übrigen Teilstücke in Wurst und anderen verarbeiteten Produkten zu verwenden und dabei ebenfalls die Haltungsform und Herkunft anzugeben. Kaufland, Lidl und Rewe hätten entsprechende Schritte angedeutet, jedoch nur für Teile des Sortiments und im Wesentlichen nur eine Umstellung auf Haltungsform 2. Andere Händler schweigen sich dazu bislang aus.
Auch für Verbraucher:innen ist diese möglichst umfängliche Verwertung der Tiere aus den Haltungsformen 3 und 4 wichtig, damit die Kosten für das Frischfleisch für alle bezahlbar bleiben - Haushalte mit niedrigeren Einkommen dürfen durch die höheren Fleischpreise nicht unangemessen hoch belastet werden. Denn nur wenn man die höheren Kosten der Tierhaltung auf das gesamte Tier umlegt, lässt sich nach Ansicht der Verbraucherzentralen ein unverhältnismäßiger Preisanstieg beim Frischfleisch vermeiden.
Wichtiges Signal an Politik und LandwirtschaftDie Handelsunternehmen geben mit ihren Ankündigungen ein wichtiges Signal an Politik und Landwirtschaft, heißt es in der Stellungnahme. Jetzt müssten die genehmigungsrechtlichen Hürden für tiergerechtere Stallbauten schnell beseitigt werden, so dass die Tierhalter ihre vorhandenen Ställe umbauen bzw. neue Ställe bauen können.
Zudem müsse der Handel den Landwirt:innen Planungssicherheit geben in Form von langfristigen Abnahmeverträgen zu kostendeckenden Preisen. Nur so können die Tierhalter das finanzielle Risiko der hohen Investitionen eingehen, die für die Umstellung der Tierhaltung nötig sind. Die Verbraucherzentralen kündigen an, genau im Blick zu behalten, ob die Handelsketten ihre Versprechen auch tatsächlich einlösen werden.
Gesetzgeber muss Tierschutz insgesamt deutlich verbessernNach Ansicht der Verbraucherzentralen bescheinigen Agrarexpert:innen wie der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft der Nutztierhaltung in Deutschland „erhebliche Defizite vor allem im Bereich Tierschutz". Das steht im Widerspruch zum Staatsziel Tierschutz. Die Haltungsbedingungen der Tiere werden von vielen Verbraucher:innen abgelehnt. Da die Initiative des Handels nur schrittweise über einen langen Zeitraum wirksam werden könnte, muss der Gesetzgeber schneller handeln und endlich die gesetzlichen Standards der Tierhaltung insgesamt anheben, damit, so die Stellungnahme:
· alle Tiere besser als bisher geschützt werden,
· sie ihr arteigenes Verhalten ausleben können,
· ihnen keine Körperteile mehr amputiert werden,
· sie im Regelfall gesund sind und keine Arzneimittel benötigen.
Da reiche auch die freiwillige Haltungsform-Kennzeichnung der Handelsunternehmen keinesfalls aus. Die Verbraucherzentralen fordern deshalb weiterhin in Deutschland und in der Europäischen Union eine einheitliche, verpflichtende Haltungskennzeichnung für alle tierischen Lebensmittel. Durch mehr verbindliche Kontrollen müsse zudem endlich gewährleistet werden, dass die vorhandenen Missstände in der Tierhaltung verringert und die Kriterien der Haltungsformkennzeichnung des Handels auch eingehalten werden.