Schweinebestand runter - aber wie?
Wer Überschüsse produziert, hat in der Regel schlechte Karten. Das wissen alle Marktbeteiligten, besonders am Schweinemarkt. Und doch wurde seit Jahren der Selbstversorgungsgrad auf 120 bis 130% gepuscht. Immer in der Erwartung, dass die Welt unser supergünstiges Schweinefleisch braucht. Und den Rest macht der Einzelhandel, der mit billigen Aktionen die Produkte unter die Kunden bringt, sprich „verhämmert“ (Aussage eines Rewe-Managers).
Was Experten und Wachstumsbetriebe lange Zeit für erfolgreich hielten, kritisierten fast 50% der Schweinehalter seit 2010 mit der Betriebsaufgabe.
Seit Mitte letzten Jahres ist die Schweinehaltungswelt gänzlich aus den Fugen geraten. Man stolpert von einer Krise in die nächste. Zunächst der coronabedingte Schweinestau bei den Schlachthöfen, dann der ASP- verursachte Exportzusammenbruch und seit einigen Monaten der Fleischstau oder der „Kühlhausstau“, weil das produzierte Fleisch keinen Abnehmer findet.
Kühlhausstau trotz Schlachtreduktion
Dabei sind die Schlachtzahlen sowohl in 2020 (-6,7%) als auch in den ersten acht Monaten 2021 (-4,7%) schon kräftig zurückgegangen. Dennoch sind die Kühlläger besonders der exportorientierten Fleischkonzerne übervoll. „Wir brauchen eigentlich nur für Frischfleisch zu schlachten. Alles andere haben wir schon für mehrere Monate eingelagert,“ beschreibt ein Schlachthofbetreiber die Situation, „es werden aktuell wöchentlich 825.000 Schweine geschlachtet. 750.000 würden auch reichen. Aber wo sollen die Bauern mit ihren Schweinen bleiben?“
Der Export war lange Zeit die Kerngröße. Der ehemalige westfälische Bauernpräsident Möllers brachte es in einem Interview auf den Punkt. Vor 10 Jahren „dachte ich, wir seien Weltmeister in der Produktion und wenn die Vermarktungsstrukturen stimmen, seien wir unschlagbar.“ Deutschland als Preisführer in der ganzen Welt war die Ausrichtung. China mit seiner Schweinepest war ein willkommenes Ziel. Über 200 Mio. Schweine fielen dort der Seuche zum Opfer. Zwei Jahre ging alles, was vier Pfoten und einen „Stummelschwanz“ hatte, zu einem stolzen Preis ins Reich der Mitte. Schweinehalter und vor allem die Industrie hatten kurzfristig goldene Zeiten. So sollte es eigentlich noch zwei oder drei Jahre weitergehen, hofften die Experten z.B. der Rabobank. Solange bräuchten die Chinesen bis zum Aufbau eines neuen Bestands. Aber Peking war schneller. Mit gewaltigen staatlichen Subventionen forcierte man die Produktion und ist fast wieder auf dem alten Stand. Schritt für Schritt senken sie die Importe und der Preis hat sich seit Anfang des Jahres mehr als halbiert. Der lukrative Export ist gestört und die Übermengen auch anderer EU-Länder wie Spanien und Niederlande müssen global oder EU-weit zu Kampfpreisen abgesetzt werden.
Marktkritiker, auch die AbL haben seit Jahren vor einer Exportabhängigkeit gewarnt. Jetzt steht man vor einem Scherbenhaufen.
Kann es der Einzelhandel retten?
Nun heißt es aus der Branche, dass es der LEH und die Discounter reißen müssen. Sie müssen den Absatz deutscher Ware durch „gezielte und intensive Werbeaktionen“ steigern, so die Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands (ISN). Gestern noch galt der LEH und vor allem der Discount als der Preisdrücker, der Bauernfeind und die Ursache allen Übels mit seinen Billigaktionen. Tatsächlich ist Schweinefleisch die Aktionsware Nr. 1. Etwa 50-60% des Frischfleisches geht über Aktionen. Ohne Billigangebote würde nicht soviel abgesetzt. Gerade noch standen Aldi und Co. am Pranger, übten sich die Ministerinnen Klöckner und Otte-Kinast im Handelsbashing. Jetzt sollen die gleichen die Karre aus dem Dreck ziehen?
Es wird doch die Quadratur des Kreises. Der LEH soll den Absatz ankurbeln, aber kein Billigfleisch anbieten und die Landwirten dennoch an der Wertschöpfung beteiligen. Außerdem geht der Verbrauch seit Jahren zurück, während Fleischalternativen im Trend liegen. Das soll sich mit (Nichtbillig-) Aktionen umkehren?
Zwar haben verschiedene Händler den Erzeugern Angebote gemacht, vom Mindestpreis von 1,40 €/kg (Kaufland, Rewe, Edeka Südwest) bis zur Verschiebung der aktuellen Preisverhandlungen (Aldi), aber das sind nur „Tropfen auf dem heißen Stein“, wie es der AbL-Vorsitzende Martin Schulz bewertete. Der Karren ist so verfahren, dass selbst der Handel sich um seine künftigen Rohstofflieferanten Sorgen macht. Zugleich trauen ihm die Bauern nicht, wie die Aktionen vor Aldi, Edeka und anderen zeigen.
Überschüsse müssen runter – Borchert umsetzen
Es hilft nichts. Es sind zu viele Schweine am Markt – deutschlandweit, europaweit. Ministerin Klöckner hat für Mittwoch zum Branchengespräch eingeladen zur Frage, ob man es gegenwärtig mit einer temporären Krise zu tun hat oder ob ihr strukturelle Probleme zugrunde liegen. Dass diese Misere kurzfristig behoben werden kann, glaubt in der Branche keiner mehr. Man diskutiert, wie lange sie andauern wird – 12 Monate oder 18 oder mehr. So lange werden die Schweinehalter nicht durchhalten können.
Jetzt schlägt zurück, dass die Politik seit Jahren untätig gewesen ist. Dabei liegt mit den Empfehlungen der Borchert-Kommission ein überzeugendes Konzept auf dem Tisch. Der Plan ist: weniger Tiere mit höherer Tierwohlqualität bei gleichzeitiger Bezahlung des Mehraufwandes. Auf unterschiedlichen Haltungsstufen wird den Tieren mehr Platz gewährt, was automatisch zur Bestandsreduktion führt, wenn nicht durch Neu- bzw. Umbauten mehr Schweine gehalten werden. Das ist durch Bau- und Umweltrecht zu regeln. Der geringere Tierbesatz und das höhere Tierwohl wird durch einen Ausgleich per Prämie oder Steuer ausgeglichen.
Natürlich braucht die Umsetzung eines solchen Konzeptes Zeit, ist nicht in ein paar Monaten zu haben. Aber wenn die Große Koalition nicht alles verzögert hätte, könnten erste bau- oder förderrechtliche Maßnahmen bereits installiert sein. Sie brächten den Erzeugern zwar noch kein Geld, gäben aber eine Hoffnung auf ein Ende des Preistunnels. Und diese Hoffnung ist bedeutender als ein paar Absatzaktionen oder ein (schlechter) Mindestpreis.
Deshalb ist die wichtigste Forderung an die Politik, endlich „Borchert“ umzusetzen, die Herkunftskennzeichnung z.B. des Agrardialogs zu gestalten und danach an die Haltungsversprechen des LEH anzuknüpfen.
Und kurzfristig...?
Trotzdem bleibt die Frage, wie die Schweinehalter bis dahin die Zeit überbrücken und die Betriebe sichern. Es sind mehrere Wege im Gespräch. Typisch für bestimmte Marktideologen ist die zynische „Lösung“, der Markt soll es richten und es müssten eben so viele Landwirte ausscheiden, bis Angebot und Nachfrage passen. Mancher Funktionär fordert Landwirte auf, die in einigen Jahren aufhören wollen, es jetzt schon zu tun, damit sich der Markt schneller regulieren kann. Andere fordern ein staatlich subventioniertes Ausstiegsprogramm a la Holland, wo der Staat dem Tierhalter die Produktionsrechte abkauft. Dies fordert vor allem, wer hofft, dass andere aussteigen und sie wie bisher weiterproduzieren können.
Sicherlich kann man darüber nachdenken, wenn in Intensivregionen dadurch eine Entzerrung der Produktion erreicht würde z.B. zum Trinkwasserschutz oder zur Verringerung der Gülle und des Maisanbaus. So hat es das Programm unseres Nachbarlandes auch angestrebt, aber der Erfolg war mäßig. Trotzdem in der Not...
Entscheidend ist und bleibt aber, wie schnell man den Abbau des Schweinebestandes erreicht, wie man zugleich möglichst viele Betriebe mitnehmen kann (AbL-Kampagne: Jeder Hof zählt!). Wie nachhaltig auf Klasse statt Masse umgesteuert wird. Wie schnell die Qualitätsführerschaft die Preisführerschaft im Denken und in der Praxis ablöst.
Die Zeichen stehen auf Umbau der Tierhaltung. Es zeigt sich heute drastisch, was eine politische Verzögerung für menschliches Leid und betrieblichen Substanzverlust bedeutet.