Abschaffung der „Ramschpreise“ nur ein Aspekt eines ökosozialen Systems
Ein Interview in der BILD am Sonntag mit Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir unter der Überschrift „Keine Ramschpreise mehr für Lebensmittel“ hat zahlreiche, insbesondere auch mediale Reaktionen hervorgerufen, auf die er zu einzelnen Punkten daraufhin in einem Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) bereits reagierte.
In dem Interview mit BILD am Sonntag erklärte der Minister unter anderem: „Ich will, dass wir in Deutschland unsere tollen Lebensmittel genauso wertschätzen wie unsere tollen Autos. Manchmal habe ich das Gefühl, ein gutes Motoröl ist uns wichtiger als ein gutes Salatöl. Ich will mehr Wertschätzung für unsere Bäuerinnen und Bauern. Es darf keine Ramschpreise für Lebensmittel mehr geben, sie treiben Bauernhöfe in den Ruin, verhindern mehr Tierwohl, befördern das Artensterben und belasten das Klima. Das will ich ändern.“ Und an anderer Stelle: „Klar: Lebensmittel dürfen kein Luxusgut werden. Doch der Preis muss die ökologische Wahrheit stärker ausdrücken. Es gibt drei wichtige Ziele: ein sicheres und gutes Einkommen für unsere Bauern, gesundes Essen für uns alle sowie mehr Tierwohl, Klima- und Umweltschutz. Die Vorgängerregierungen haben in der Landwirtschaftspolitik 16 Jahre blockiert und verschleppt, lediglich politische Kosmetik betrieben. Mein Versprechen: Ab jetzt wird geliefert.“
Unionsvertreter erklärten daraufhin, sehr genau auf die sozialen Auswirkungen zu achten, denn nicht jeder könne sich Bio-Produkte leisten. Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, twitterte: „Absolut nichts gegen angemessene Fleischpreise bei strengen Tierwohlauflagen. Aber bitte auch angemessene Regelsätze in HartzIV statt der gegebenen Armutssätze. Es geht nur ökosozial.“ Und in einem weiteren Tweet stellt er fest: „Selbstverständlich werden die Fleischpreise steigen müssen. Ökosozial heißt: Soziales nicht aus dem Blick zu verlieren, Soziales aber auch nicht gegen Ökologisches auszuspielen. Es geht beides und es geht NUR beides.“
Und Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, erklärte: „Wir können Cem Özdemirs Forderung nur unterstützen. Es gibt kein Menschenrecht auf Billigfleisch. Und es stimmt: Ramschpreise verhindern ein Mehr an Tierschutz. Umstellungsbereite Landwirte haben in diesem Billigpreissystem zudem keine Planungssicherheit.“ Mehr Tierschutz benötige massive Investitionen. „Daher braucht es eine Tierwohlabgabe auf Fleisch, Milch und Eier. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass dies alleine nicht reichen wird. Der Staat muss die Transformation mit zusätzlichen Fördergeldern anschieben und einen stabilen Rahmen schaffen, indem die Tierschutzvorgaben im Ordnungsrecht angehoben und Gesetzeslücken geschlossen werden. Der freie Markt wird es alleine nicht schaffen“, so Schröder. Am Ende müsse es aus Tier-, Klima- und Umweltschutzgründen auch darum gehen, Tierbestände zu reduzieren und das Angebot pflanzlicher Alternativen weiter auszubauen. „Man kann den Menschen ihre Ernährungsweise nicht diktieren, aber es gibt auch kein Recht auf das tägliche Stück Billigfleisch auf dem Teller. Tiere haben einen Wert, nicht nur einen Preis“, erklärt Schröder abschließend.
In einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland angesprochen auf die Reaktionen auf seine Äußerungen zu Ramschpreisen erklärt Özdemir: „Jeder soll sich weiterhin Fleisch leisten können. Es soll kein Luxusgut werden. Aber es erstaunt mich doch immer wieder, dass gerade Union und stets dann die Sozialpolitik für sich entdecken, wenn es um den Dieselpreis oder billiges Fleisch geht. Ich finde es unredlich, wenn nun bestimmte Gruppen gegeneinander ausgespielt werden. Soziale Gerechtigkeit beginnt für mich auch bei den Arbeiterinnen und Arbeitern in den Schlachthöfen, deren Mindestlohn wir endlich anheben werden. Und es geht um unsere Landwirtinnen und Landwirte, die wie alle anderen auch von ihrer Arbeit leben können müssen. Außerdem wollen wir das Klima schützen und die Tierhaltung verbessern. Landwirtschaftspolitik muss selbstverständlich sozial sein – aber sie ersetzt eben nicht die Sozialpolitik.“
Was in der Berichterstattung zu Ramschpreisen und den Reaktionen vielfach untergegangen ist, sind Punkte respektive Veränderungen, die der Minister in dem Interview mit der BILD am Sonntag unter anderem auch erwähnte:
- die Investitionsförderung künftig auf gute Haltungsbedingungen in den Ställen ausrichten,
- die Zahl der gehaltenen Tiere muss sich an der verfügbaren Fläche orientieren,
- eine klar verständliche Tierhaltungskennzeichnung auf Fleisch in 2022 einführen,
- harte und abschreckende Strafen bei Verstößen gegen den Tierschutz schaffen, indem Teile des Tierschutzrechts in das Strafgesetzbuch überführt und der maximale Strafrahmen erhöht wird,
- die Rechtsgrundlage für eine kameragestützte Überwachung in großen Schlachthöfen schaffen,
- die Verpflegung in öffentlichen Einrichtungen auf mehr regional und mehr bio umstellen,
- verbindliche Reduktionsziele für Zucker, Fett und Salz, vor allem in Fertigprodukten, festlegen und Schluss damit machen, die Industrie mit freiwilligen Selbstverpflichtungen zur Reduktion dieser Inhaltsstoffe zu bewegen.
Auf die Frage im RND-Interview, was er anders machen wolle als seine Vorgängerin, antwortete der Minister: „In meinem Haus wollen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter machen, umsetzen, verändern. Entscheidungen wurden bisher von der Führung ausgesessen – aus Angst vor Gegnern, aber auch vor der eigenen Partei. So läuft das mit mir nicht. Wir müssen am großen Rad drehen.“
-----
Anmerkung/Korrektur der Redaktion am 7.Jan.: Ein Satz im Özdemir-Interview mit dem RND muss richtig heißen (Ergänzung kursiv): "Aber es erstaunt mich doch immer wieder, dass gerade Union und Linkspartei stets dann die Sozialpolitik für sich entdecken, wenn es um den Dieselpreis oder billiges Fleisch geht."