Aldi verkündet Abschied vom Billigfleisch

Die Meldung schlug ein wie eine Bombe. Am Freitag verkündete Aldi, das Angebot an Billigfleisch, das nach gesetzlichen Vorgaben produziert wird, nach und nach zu reduzieren und ab 2030 ganz auf einen niedrigen Tierwohlstandard zu verzichten. Die Reaktionen kamen prompt von allen Seiten. Die Fachpresse sprach von einem Hammer und einem mutigen, aber riskanten Schritt. Einige Fleischindustrielle wie Marktführer Tönnies sprachen von einem wichtigen Signal für die Zukunft des Marktes. Für den Deutsche Tierschutzbund zeigt Aldi der Politik, wohin die Reise gehen werde. Entscheidend werde sein, ob andere Handelsunternehmen diesem Schritt folgen und die Politik alles tue, um die Transformation der Tierhaltung aktiv zu begleiten. Für Greenpeace entlarvt Aldi die Versäumnisse der großen Koalition, die nicht einmal in der Lage war, die Vorschläge der eigenen Borchert- Kommission umzusetzen. Aldi’s Weg aus dem Billigfleisch
Aldi begründet seine Ankündigung mit dem „klaren Trend“ ihrer Kundinnen und Kunden „hin zu mehr Nachhaltigkeit und höherem Tierwohl. Langfristige gesellschaftliche Entwicklungen zeigen uns, dass dies kein temporäres Phänomen ist, sondern eine nachhaltige Veränderung bedeutet.“ Deshalb bekenne man sich unter dem Namen ALDI#Haltungswechsel schon heute öffentlich zu folgenden Schritten:
- Schon in diesem Jahr: 15% des Frischfleisch-Umsatzes aus den Haltungsformen 3 (Außenklima) und 4 (Bio- bzw. Auslaufhaltung)
- Bis 2025: Vollständiger Verzicht auf Stufe 1 (heutige gesetzliche Vorgaben)
- Bis 2026: 33% aus den Haltungsstufen 3 und 4
- Bis 2030 vollständige Umstellung auf Frischfleisch der Stufen 3 und 4
„jeweils bezogen auf den Umsatz von Aldi Nord und Süd in Deutschland mit Frischfleisch der größten Nutztiergruppen Rind, Schwein, Hähnchen und Pute; ausgenommen internationale Spezialitäten und Tiefkühlartikel.“ Damit wird mittelfristig Fleisch der Haltungsstufen 1 (gesetzlicher Standard) und 2 (Stall plus geringfügig mehr Platz) ausgelistet. Aldi scheint sich der Tragweite seines Beschlusses bewusst zu sein, fordert man doch hohe Investitionen für die Landwirte und die komplette Umstellung des Marktes, „der die letzten Jahrzehnte nur eine Richtung kannte: Mehr Quantität“ - sehr wohl wissend, dass Aldi als Markt- und Preisführer wie kein anderer für „viel und billiges Fleisch“ steht. Immerhin gehen 24% des Frischfleisches im LEH über seine Kassen. Neuland Westfalen: Kein Recht auf Billigfleisch und auf schlechte Tierhaltung
Die Neuland-Erzeugergemeinschaft in Westfalen, ein Vertragspartner von Aldi im höchsten Tierschutzsegment, lobte die Initiative, die den Bäuerinnen und Bauern und den Marktbeteiligten eine klare Perspektive für Investitionen und Innovationen biete. Aber die Bauerngemeinschaft, die sich seit über 30 Jahren als Pionier in der artgerechten und bäuerlichen Tierhaltung auszeichnet, macht auch deutlich, dass die Erzeuger, die sich mit Neu- und Umbauten auf den Weg zu mehr Tierwohl machen, einen angemessenen und fairen Mehrpreis erhalten müssen. Zugleich mache dieser Schritt klar, dass es kein Recht auf Billigfleisch gibt, aber auch kein Grundrecht auf schlechte Tierhaltung, „weil ja die gute Haltung nicht bezahlt werde“. Dafür müssten Handel und Parteien, aber auch Konsumentenverbände den Verbrauchern gegenüber endlich offen eintreten. „Einmal mehr gibt der Handel der Politik die Richtung vor. Ein krasser Auftrag an die nächste Koalition, die Borchert- Pläne konsequent umzusetzen und weiterzuentwickeln.“ Denn ohne die Realisierung der Kommissionsvorschläge einschließlich einer klaren Finanzierung werde der gute Ansatz von Aldi u.a. in die Leere laufen. Zugleich zeige der Markt auch den Landwirten, dass ein “Weiter so“ keine Perspektive habe und kleine Alibi-Veränderungen nicht zukunftsfähig sind. Besonders die Initiative Tierwohl, die sich gern als Vorreiter des Tierschutzes darstelle, müsse erkennen, dass die Zeit der Minimalveränderungen zu Ende gehe. Der Handel und die Verbraucher wollen wirklich bessere Haltungsbedingungen. „Wer heute als Landwirt noch einen Vollspaltenstall baut, muss wissen, dass er eine in Beton gegossene Fehlinvestition tätigt.“ Kein Recht auf Billigfleisch und kein Grundrecht auf schlechte Tierhaltung
Der Bauernverband sucht noch seine Antwort auf die Herausforderung des Handels. Die Interessengemeinschaft der Schweinehalter (ISN) lobt das „klare Statement“ und ruft nach einer Vereinfachung der Baugesetze bzw. Stallgenehmigungen. Der Präsident des DBV, Rukwied zeigt sich erstaunt, dass Aldi offensichtlich bereit sei, “auch im Einkauf erhebliche Summen aufzuwenden.“ Der Präsident des bayerischen Bauernverbandes, Heidl, vermutet, dass es Aldi nur um die eigene Gewinnspanne geht. Heidl, der verbandsweit als Hardliner der alten Linie gilt und möglichst alle Änderungen ausbremst, habe keinerlei Verständnis, dass sich ausgerechnet der Discount jetzt an die Spitze des Tierwohls stelle. Er bezeichnete es als „dreist und eine Frage der Glaubwürdigkeit“, wenn ausgerechnet ausländische Ware (nur Spezialitäten!) und Tiefkühlkost außen vor blieben. Aber nahezu alle sind sich einig, dass Aldi’s Vorpreschen eine deftige Ohrfeige für die Politik der Bundesregierung ist, die auch nach Jahren und entgegen dem eigenen Koalitionsvertrag keine Tierwohlprogramm verabschiedet hat. Rewe zieht sofort nach und die anderen werden kommen
Trotz des Tierwohlversprechens bleibt Aldi im Wesen ein Discounter - er nennt sich selbst den Erfinder des Discounts - , der weiterhin „zum bestmöglichen Preis“ verkaufen will. Aber „Tierwohl, Nachhaltigkeit und ein gutes Preis- Leistungs-Verhältnis schließen sich für Aldi nicht aus,“ so ein Unternehmenssprecher. Wie nicht anders zu erwarten, schlossen sich andere LEH-Konzerne umgehend mit eigenen Tierwohlversprechen an. Rewe West verweist auf eigene Aktivitäten mit Naturlandprodukten und im Bruderhahnmarkt, arbeitet aber in der konventionellen Auslaufhaltung (Stufe 4) bei Schweinen (Programm „Strohwohl“) bisher mit nur zwei Landwirten zusammen. Auch die anderen Handelsunternehmen (Lidl, Kaufland, Edeka) werden ihre Programme erweitern und konkretisieren müssen, damit sie nicht als Alibiprogramme wahrgenommen werden, wie Greenpeace gegenwärtig kritisiert. Für die Schweinehalter, die nicht auf „Weiter So“, sondern auf tiergerechte Haltung setzen, ist der Aldi-Vorstoß eine Ermutigung, dem aber noch viele weitere folgen müssen. Immerhin ist die Blockade der Politik gerade in diesem Wahljahr aufgebrochen.
28.06.2021
Von: hg

So stellt Aldi seinen Weg weg vom Billigfleisch dar.