G7: Bemühungen um nachhaltige und widerstandsfähige Agrar- und Ernährungssysteme

„Klimaschutz, Ernährungssicherung und Frieden – das muss unser neuer Dreiklang sein." Das erklärte Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir im Vorfeld der G7-Agrarministerkonferenz in der vergangenen Woche, an dem auch der ukrainische Landwirtschaftsminister Mykola Solskyi teilnahm. Anlässlich der zweitägigen Konferenz der G7-Agrarminister:innen in Stuttgart forderte die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) von den Minister:innen, globale Abhängigkeiten zu beenden und sich für den Aufbau demokratischer, fairer und stabiler Agrarstrukturen weltweit einzusetzen. Umweltorganisationen forderten von der Konferenz ein deutliches Signal gegen Welthunger, mehr Geld für das Welternährungsprogramm und keine Lebensmittel für Tank und Trog. In ihrem Abschluss-Kommuniqué zeigen sich die Agrarminister:innen überzeugt davon, dass der fortlaufende Wandel hin zu nachhaltigen Ernährungssystemen – unter Berücksichtigung der drei Säulen der Nachhaltigkeit (Ökologie, Soziales, Ökonomie), sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene – von grundlegender Bedeutung für die weltweite Ernährungssicherheit und -qualität ist. Die Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch sieht mit Blick auf das Ergebnis des G7-Treffens der Agrarminister:innen gute Fortschritte beim Klimaschutz und dem Umgang mit Klimarisiken, bemängelt jedoch Schwachpunkte bei konkreten Maßnahmen gegen die Ernährungskrise und unsicherer Finanzierung.

Bundesminister Cem Özdemir betonte bereits vor dem Treffen: "Von dem G7-Agrarminstertreffen in Stuttgart soll ein Signal ausgehen: Die Reihen für eine gesicherte Ernährung weltweit und für freien Handel sind geschlossen. Es ist nicht die Zeit für Protektionismus – Solidarität ist das Gebot der Stunde, um den Hunger in der Welt zu bekämpfen. Ich will unter den G7-Agrarminstern auch zu einem gemeinsamen Verständnis kommen, dass nicht eine Krise gelöst werden kann, indem die andere befeuert wird. Der Hunger ist dort am größten, wo die Klimakatastrophe heute schon entfesselt ist. Wir dürfen jetzt nicht beim Klimaschutz nachlassen. Klimakrise und Artensterben pausieren nicht, nur, weil Putin die Ukraine überfällt. Klimaschutz, Ernährungssicherung und Frieden – das muss unser neuer Dreiklang sein."

AbL: Ernährungssicherheit durch Demokratie - Import- und Exportabhängigkeiten abbauen

Das Beenden globaler Abhängigkeiten und den Einsatz für den Aufbau demokratischer, fairer und stabiler Agrarstrukturen weltweit forderte im Vorfeld des G7-Treffens die AbL. „Schon jetzt müssen die G7-Agrarminister:innen und die Zivilgesellschaft Lehren aus dem völkerrechtswidrigen Krieg Russlands gegen die Ukraine ziehen. Es muss alles Menschenmögliche getan werden, um der leidenden Bevölkerung in der Ukraine zu helfen. Und wenn Hunger als Waffe eingesetzt wird, ist es höchste Zeit umzudenken und weltweit Ernährungssicherheit mit demokratischen und fairen Mitteln herzustellen. Deshalb sind alle G7-Staaten aktuell aufgefordert, durch ausreichende Notprogramme den drohenden „Hungerhurrikan“, wie ihn UN-Generalsekretär Guterres befürchtet, abzuwenden“, erklärt Georg Janßen, Bundesgeschäftsführer der AbL.  Viel zu lange habe man auch in der G7 auf Globalisierung und Liberalisierung der Märkte gesetzt, zum Wohl der Profitmaximierung internationaler Agrarkonzerne und zum Leid vieler Menschen weltweit. Armut und Hunger seien die Folge. „Alle einseitigen Import- und Exportabhängigkeiten gehören auf den Prüfstand. Zwei Beispiele: Die Propaganda der Agrarindustrie, dass die Schweinehalter sich fit machen sollen für den chinesischen Markt, hat durch die Pandemie, durch instabile Lieferketten und durch die Afrikanische Schweinepest zum Zusammenbruch des Schweinemarktes hierzulande und zum rasanten Höfesterben geführt. Gerade die Abhängigkeit der europäischen Landwirtschaft vom chinesischen Markt und damit von einem totalitären Regime ist deshalb zu beenden. Die Position, dass wir für unsere Tierhaltung in Europa dringend die Futtermittelimporte aus Südamerika brauchen und deshalb die Verletzung der Menschenrechte, die Vertreibung der indigenen Bevölkerung und die Abholzung tropischer Regenwälder, wie beispielsweise in Brasilien, hingenommen werden, ist nicht mehr verantwortbar. Die massive Förderung des Anbaus einheimischer Eiweißfutterpflanzen gehört deshalb auf die Tagesordnung der G7“, so Janßen. Die G7-Agrarminister:innen müssen sich nach Ansicht von Janßen auf demokratische Strukturen und auf faire Handelsbeziehungen und Lieferketten einigen. „Das bedeutet: Krisen dürfen nicht mehr gegeneinander ausgespielt werden! Die Politik muss entschlossen für die Einhaltung der Menschenrechte, für Klimagerechtigkeit und Begrenzung auf das 1,5 Grad-Ziel für die Erhaltung der Biodiversität sowie für viele und vielfältige Höfe weltweit eintreten. Nicht durch neue Produktionsschlachten in der EU-Landwirtschaft, sondern nur in gemeinsamen Anstrengungen mit den betroffenen Bäuerinnen und Bauern in Afrika, Asien, Lateinamerika und demokratischen Staaten werden wir Ernährungssicherheit weltweit herstellen können“,

Umweltorganisationen: Ernährungssicherung ist auch Friedenssicherung

Die Umweltorganisationen BUND, Greenpeace, NABU, WWF Deutschland und der Umweltdachverband Deutscher Naturschutzring riefen die Minister*innen dazu auf, das Welternährungsprogramm finanziell deutlich zu stärken, um die Versorgung in den besonders betroffenen Regionen sicherzustellen. Ziel müsse es sein, trotz der immensen Preissteigerungen beim Getreide in den besonders betroffenen Ländern Hungerkrisen zu verhindern und weitere Konflikte zu vermeiden. „Denn Ernährungssicherung ist auch Friedenssicherung.“ 

Zudem sei es notwendig, die Getreidemärkte wirksam zu entlasten und die begrenzte landwirtschaftliche Fläche sinnvoller zu nutzen. Angesichts der drohenden globalen Hungerkrise dürfen Lebensmittel, etwa Pflanzenöle oder Backweizen, nicht länger zu Biokraftstoff verarbeitet oder an Tiere verfüttert werden. Stattdessen müssen sie zur Verfügung stehen, um in der jetzigen Situation Menschen ausreichend mit Lebensmitteln zu versorgen. „Die Bundesregierung muss sich im Rahmen ihrer G7-Präsidentschaft dafür einzusetzen, dass Lebensmittel nicht länger in Tank oder Trog landen. Wir brauchen ein gemeinsames Signal der G7 im Kampf gegen den Hunger“, fordern die Verbände.

Gleichzeitig seien alle Anstrengungen zu unternehmen, die zu resilienten, krisenfesten Agrarsystemen führen - in Europa und weltweit. „Gerade in Zeiten, in denen Dürreperioden sich häufen, werden die enormen Risiken der Klimakrise immer deutlicher. Der gleichzeitige Verlust der Biodiversität verstärkt dabei die negativen Auswirkungen auf unsere Agrarökosysteme erheblich. Wir brauchen eine Landwirtschaft, die Arten und Klima schützt und damit dauerhaft die Produktionsgrundlagen und Ernten gewährleistet“, so der abschließende Appell der Verbände an die Politik.

Abschluss-Kommuniqué: Fortsetzung der Bemühungen um nachhaltige und widerstandsfähige Agrar- und Ernährungssysteme

In ihrem Abschluss-Kommuniqué verpflichten sich die Agrarminister:innen, dazu beizutragen, die Versorgung der ukrainischen Bevölkerung mit Lebensmitteln sicherzustellen, und die ukrainischen Landwirtinnen und Landwirte bei der Erlangung des Zugangs zu grundlegenden Produktionsmitteln – einschließlich Brennstoffen, Düngemitteln und Saatgut – sowie bei der Erzeugung ausreichender, sicherer und nährstoffreicher Lebensmittel zu unterstützen. Ferner wollen sie der Ukraine bei der Wiederaufnahme ihrer landwirtschaftlichen Exporte helfen.

In dem Kommuniqué verpflichten sie sich „ausdrücklich zur Fortsetzung unserer Bemühungen um nachhaltige und widerstandsfähige Agrar- und Ernährungssysteme“ und sind überzeugt, „dass der fortlaufende Wandel hin zu nachhaltigen Ernährungssystemen – unter Berücksichtigung der drei Säulen der Nachhaltigkeit, sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene – von grundlegender Bedeutung für die weltweite Ernährungssicherheit und -qualität ist.“

Im Bereich der Landwirtschaft und der Landnutzung wollen verpflichten sie sich die Aktivitäten auszubauen, mit Hilfe derer das 1,5-Grad-Ziel erreichbar bleiben soll. Maßnahmen zur Minderung des Klimawandels sollen gefördert werden, indem Methoden der nachhaltigen und klimaintelligenten Landwirtschaft – einschließlich Methanreduktionsverfahren – sowie die nachhaltige Bewirtschaftung der Wälder und die Senkung des Energieverbrauchs unterstützen.

Die Agrarminister:innen bekennen sich zur Umsetzung des One-Health-Ansatzes mit dem Ziel, den weltweiten Kampf gegen Antibiotikaresistenzen in Landwirtschafts- und Ernährungssystemen voranzutreiben. Und sie „betonen, dass Lebensmittelverluste und Lebensmittelverschwendung eine andauernde weltweite Herausforderung beim Übergang zu nachhaltigen Ernährungssystemen darstellen und sofortige und gemeinschaftliche Maßnahmen erfordern.

Germanwatch: Den Ankündigungen müssen Taten folgen

Die Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch zieht ein überwiegend positives Fazit der Ergebnisse der Treffen der Landwirtschaftsminister:innen  und auch des gleichzeitig abgehaltenen Treffens der G7-Außenminsiter – allerdings mit Abstrichen. Für den Gipfel der G7-Regierungschefs Ende Juni bleibt noch viel Arbeit: Den Ankündigungen der Minister:innen müssen Taten folgen und insbesondere noch fehlende Finanzierungszusagen gemacht werden.
Lutz Weischer, Leiter des Berliner Büros von Germanwatch, kommentiert die Ergebnisse des Treffens der Außenminister:innen: „Es ist gut, dass die Außenminister und -ministerinnen deutlich gemacht haben, dass sie in der Klimakrise eine enorme Bedrohung des Friedens und der internationalen Ordnung erkennen. Im Abschlussdokument sind auch einige zentrale Schritte zu einer klimagerechteren und damit sichereren Welt angelegt: Steigerung der Anstrengungen beim Klimaschutz in diesem Jahrzehnt, Verdopplung der Klimaanpassungsfinanzierung, Ausrichtung der Entwicklungsbanken am 1,5-Grad-Limit und Etablierung von Partnerschaften mit Schwellen- und Entwicklungsländern für eine gerechte Energiewende. Jetzt kommt es darauf an, diese Schritte mit Finanzzusagen zu untermauern und sie auch wirklich zu gehen.“
Aus Sicht von Germanwatch hängt die Glaubwürdigkeit des Beschlossenen nun insbesondere an der Finanzierung. Weischer: „Bundeskanzler Scholz und die G7-Staatschefs müssen spätestens beim Gipfel in Schloss Elmau die notwendige Finanzierung für die Bewältigung von Klimafolgen in Ländern des globalen Südens und die schnelle globale Energiewende zusagen. Denn wer eine Sicherheitsbedrohung in so deutlichen Worten erkennt, wie es heute die Außenminister:innen getan haben, der muss auch international Unterstützung leisten.“

Bei dem dreitägigen Treffen der Außenminister:innen war das Thema „Klima, Umwelt, Frieden und Sicherheit“ einer der Schwerpunkte. „Endlich werden die Themen Frieden und Sicherheit, humanitäre Hilfe und Bewältigung der Klimakrise zusammengedacht. Die Bestrebung der G7 zur deutlichen Erhöhung ihrer finanziellen Unterstützung für vorausschauende humanitäre Hilfe ist ein wichtiger Schritt um das internationale System an die Herausforderungen zum Umgang mit der Klimakrise anzupassen – hier müssen jetzt konkrete Finanzzusagen folgen“, so Weischer. „Im Rahmen der neuen Initiative für Klima, Umwelt, Frieden und Sicherheit sollten noch dieses Jahr konkrete Schritte für ein Frühwarnsystem für Klima-Kipppunkte unternommen werden.“

Agrar-Abschlusserklärung in einigen Punkten wegweisend

Auch die Abschlusserklärung der Agrarminister:innen ist aus Sicht von Germanwatch in wichtigen Punkten wegweisend, bleibt allerdings bei der Bekämpfung der globalen Ernährungskrise zu unkonkret. „Besonders begrüßenswert ist die Ankündigung der G7, eine Führungsrolle bei der weltweit nachhaltigen Gestaltung der Ernährungssysteme übernehmen zu wollen. Zudem ist das gemeinsame Verständnis der Agrarministerinnen und -minister wichtig, keine Krisen gegeneinander auszuspielen und dabei die Ernährungssicherheit, Klimaschutz und Biodiversität gleichermaßen ernst zu nehmen“, so Konstantinos Tsilimekis, Leiter des Teams Welternährung, Landnutzung und Handel bei Germanwatch. Auch die Berücksichtigung von Themen wie Entwaldung, faire und nachhaltige Lieferketten sowie Antibiotikaresistenzen sei zu begrüßen.
Tsilimekis schränkt allerdings ein: „Die Erklärung der G7-Agrarminister spart entscheidende Verpflichtungen aus. So wird weder eine Aufstockung der Zahlungen an das Welternährungsprogramm explizit thematisiert, noch die Freigabe von Getreide, das bislang für Biosprit oder die industrielle Tierhaltung eingesetzt wird. Auch der Ausschluss von Reserveantibiotika aus der industriellen Tierhaltung ist kein Thema – obwohl gerade das der wohl wirksamste Beitrag der Agrarminister und -ministerinnen zur Bekämpfung zunehmender Antibiotikaresistenzen wäre.“ Germanwatch fordert, insbesondere diese Punkte beim Gipfel der Staats- und Regierungschefs aufzugreifen und weiter zu konkretisieren.

17.05.2022
Von: FebL/PM

Auch das Treffen der G7-Agrarminister:innen Stand im Zeichen des Krieges in der Ukraine, was sich unter anderem auch in der Anwesenheit des ukrainischen Agrarministers Mykola Solskyi, hier im Gespräch mit Cem Özdemir, zeigte. Foto: BMEL/Photothek