Landwirtschaftliche Spezialoperation und Frieden

Große Macht korrumpiert. Die Abhängigkeit von ihr tötet. Wie ukrainische Klimaforscher betonen, hat die Abhängigkeit der Welt von fossilen Brennstoffen – und zwar von den fossilen Brennstoffen aus Russland – zu den größten Herausforderungen der modernen Welt geführt. Der Klimawandel und der russische Krieg gegen die Ukraine gehen weiter und gefährden die globale Ernährungssicherheit. Während es offensichtlich ist, dass die Welt die fossilen Brennstoffe ablehnen muss, um den Krieg zu beenden, um das bösartige Regime zu stoppen, müssen wir eine andere Lektion lernen, um der Menschheit eine Chance zu geben. Wir müssen neu definieren, was Stärke bedeutet, metaphorisch und für die Nahrungsmittelproduktion. Bedeuten Macht und enorme Ressourcen, dass die Nahrungsmittelsysteme robust sind? Oder sollten wir stattdessen nach Widerstandsfähigkeit in der Lebensmittelproduktion streben?

Kriegsziel ukrainische Landwirtschaft

Induzierter Hunger und Hungersnöte wurden bereits in der Vergangenheit von totalitären Regimen als Waffe eingesetzt, um Andersdenkende zu unterdrücken und zu mehr Kooperation zu „überreden“. Was wir jetzt in der Ukraine sehen, ist, dass diese Methode erneut angewandt wird – der Agrarsektor wurde zu einem spezifischen Ziel für die Aggressoren. Indem sie den Lebensmittelsektor in der Ukraine ins Visier nehmen, wollen sie nicht nur das Leben von Ukrainern nehmen, sondern auch die wirtschaftliche „Supermacht“ des Landes zerstören. Die Landwirtschaft ist mit zehn Prozent des BIP, 40 Prozent der gesamten Exporteinnahmen, dem stetigen Wachstum des internationalen Handels usw. einer der wichtigsten Wirtschaftszweige des Landes. Zumindest war das vor Februar dieses Jahres der Fall. Das andere Ziel des bösen Spiels ist jedoch der Rest der Welt – um die letztlich hungrige Welt „kooperativer“ zu machen, und wenn nicht, wird es zumindest dazu dienen, die Welt zu destabilisieren und mehr soziale Spannungen zu erzeugen. Der russische Krieg gegen die Ukraine bedroht die weltweite Lebensmittelsicherheit. Die Ukraine gehört zu den weltweit führenden Erzeugern und Exporteuren von wichtigen Getreidearten – im vergangenen Jahr entfielen auf die Ukraine fast ein Viertel der gesamten Getreideausfuhren der Welt. Bereits vor der Invasion in der Ukraine war die Welt vom Anstieg der Lebensmittelpreise betroffen, nun werden historische Höchstwerte überschritten. Besonders gilt das für die Preise für Getreide und Pflanzenöl. Hauptabnehmer des ukrainischen Getreides sind die Entwicklungsländer, so dass die Bedürftigen am härtesten von teureren Getreideeinfuhren getroffen werden.

Widerstandsfähigkeit der Regionalität

Zentralisierte landwirtschaftliche Großanlagen in der Ukraine – Produktions- und Lagerstätten, Logistikzentren und -routen – all das wurde von den Russen gezielt ins Visier genommen. Wir beobachten, wie wichtige Versorgungsketten schnell unterbrochen wurden, was sich auf das Lebensmittelsystem und die Politik auf der ganzen Welt auswirkt. Selbst wenn man den Beschuss von Anlagen außen vor lässt, führt allein die Blockade der ukrainischen Seewege dazu, dass ein großer Teil der für den Export produzierten landwirtschaftlichen Güter nicht mehr transportiert werden kann. Diese Art der landwirtschaftlichen Produktionsweise ist trotz des Vorhandenseins enormer Ressourcen, Energie, Logistik und Macht ein leichtes Ziel und lässt die dringend benötigte Flexibilität vermissen, um sich gegen Notlagen zu wehren. Im Gegensatz dazu erweist sich eine vielfältige, dezentralisierte Nahrungsmittelproduktion als flexibler und anpassungsfähiger und kann die Ernährungssouveränität auf lokaler Ebene gewährleisten. Gerade die kleinbäuerliche Landwirtschaft erweist sich auch unter den derzeitigen Umständen als widerstandsfähigeres und nachhaltigeres System. Im Falle der Ukraine waren Kleinbauern schon vor der Invasion die wichtigsten Lebensmittelproduzenten für den lokalen Markt: Die meisten Obst- und Gemüsesorten (über 80 oder sogar 90 Prozent) wurden von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) erzeugt. Diese landwirtschaftlichen Betriebe waren auch führend in der Milcherzeugung (78 %) und bei anderen tierischen Erzeugnissen. Sie erwirtschafteten über 50 Prozent der landwirtschaftlichen Bruttoerzeugung des Landes.

Es wird geschätzt, dass über 11 Mio. Menschen aus ihren Häusern und Wohnungen geflüchtet sind, 6,5 Millionen davon innerhalb der Ukraine, vor allem in die westlichen Regionen. Viele Menschen aus den Großstädten ziehen gezielt in ländliche Gebiete, um dort ihre Familie und Freunde zu besuchen oder einen ruhigeren Ort zu finden, an dem sie etwas zu essen haben. Ländliche Gebiete werden zu Zufluchtsorten und neuen Heimen für Millionen von Ukrainern.

Ein Netz von Ökodörfern, in dem hauptsächlich ökologische Kleinerzeuger zusammengeschlossen sind, bot seit den ersten Tagen der Invasion Unterkünfte für Vertriebene an. Ökodorf-Gemeinschaften aus der Ukraine (70 Standorte) und den EU-Ländern (über 300 Standorte) initiierten die Initiative „Grüne Straße“ für Menschen, die eine Unterkunft suchen und bereit sind, Menschen aufzunehmen. Die Gemeinschaft wächst weiter und hilft Menschen in Not und bei der Entwicklung eigener Fähigkeiten zur Selbstversorgung mit Lebensmitteln, Energie und anderen Ressourcen. Eine weitere landesweite Initiative ist „Victory Gardens“, die Menschen und Ressourcen für den Anbau von Lebensmitteln auf kommunaler Ebene mobilisiert. Es wird geschätzt, dass aufgrund des Krieges ein Drittel der Ackerflächen in der Ukraine in diesem Jahr nicht genutzt werden können, was bei einigen Gemüse- und Getreidearten zu Ernteverlusten von 30 bis zu 70 Prozent führen wird. Die Victory Gardens wollen diese Lücke schließen und laden Einzelpersonen ein, unabhängig von ihrem Wohnort mit dem Anbau von Lebensmitteln zu beginnen, selbst wenn es sich nur um einen Balkon oder ein Stück Land in der Nähe eines Wohnblocks handelt. Auf kommunaler Ebene beraten sie, wie die verfügbaren Ressourcen kalkuliert und eingesetzt werden können, um die Bedürfnisse einer Gemeinschaft, einschließlich der Vertriebenen, zu decken.

Die ukrainischen Landwirte müssen gesondert erwähnt werden – sie sind wahre Helden. Sie schließen sich in ihrer „Freizeit“ territorialen Verteidigungseinheiten an, um ihre Gemeinden zu schützen. Und sie machen ihre Arbeit unter allen Bedingungen. Wie ein Bauer aus der Oblast Sumy (Nordosten des Landes) sagte: „Das Land wird nicht warten, bis der Krieg vorbei ist.“ Schließlich bietet sich die nächste Gelegenheit zum Anbau erst im nächsten Jahr, und für einige heißt es wirklich: Jetzt oder nie. In den Regionen, in denen die Ukraine die Kontrolle wiedererlangt hat, kontrollieren Minenspezialisten vor der Aussaat die Felder und entfernen Bomben und Granaten. Die Landwirte tragen kugelsichere Westen als neue Sicherheitsmaßnahme an ihrem Arbeitsplatz. Die Landwirtschaft muss weitergehen, und zwar unter den wildesten Bedingungen, die man sich vorstellen kann.

Der Krieg muss beendet werden, um die Ernährungssicherheit auf regionaler und globaler Ebene zu gewährleisten. Jede Woche, die dieser Krieg andauert, entfernt uns um Monate und Jahre von der Lösung der Krise. Erstens muss das blutige Regime gestoppt werden – die Weltgemeinschaft muss sich von den fossilen Brennstoffen aus Russland verabschieden. Zweitens muss es eine signifikante Machtverschiebung hin zu vielfältigen und dezentralisierten Lebensmittelsystemen geben, um echte Widerstandsfähigkeit aufzubauen.

11.05.2022
Von: Anna Danyliak, Landwirtschaftsexpertin bei der ukrainischen Bauernorg. Ecoaction