Neun Lebensmittel zu „wahren Kosten“ bei Penny

Marktbeobachtungen von Hugo Gödde +++ Lebensmittel sind zu billig. Das ist keine neue Erkenntnis. Wenn die tatsächlichen Kosten bei der Erzeugung, Verarbeitung, aber auch die Auswirkungen auf Boden, Klima, Wasser und Gesundheit einbezogen würden, sähen die Preise in den Regalen des Lebensmitteleinzelhandels ganz anders aus. Obwohl derzeit die Nahrungsmittelpreise in den Läden die Inflation antreiben und viel Verdruss beim Kunden verbreiten, will nun Penny, der Discounter von Rewe, wie er sagt, ein Experiment wagen.

Seit Montag verlangt er eine Woche lang für neun seiner mehr als 3000 Produkte die „wahren“ Preise. Damit ist der Preis berechnet, der bei Berücksichtigung aller durch die Produktion verursachten Kosten incl. der Umwelt- und Gesundheitseinflüsse zugrunde gelegt werden müsste.

Fleisch und Milchprodukte deutlich teurer – das Beispiel Käse 

Basierend auf Berechnungen der TH Nürnberg und der Uni Greifswald erhöhen sich die „realen“ Preise oft kolossal. Im Sortiment von Penny kosten Wiener Würstchen plötzlich 6,01 € statt 3,19 €. Mozzarella steigt von 1,55 € auf 2,44 € und für Fruchtjoghurt muss 1,56 € im Unterschied zu sonst 1,19 € je Einheit bezahlt werden. 

Am Beispiel der 300 g Packung Maasdamer Käse werden die zusätzlichen Effekte beschrieben, die sich nicht im Ladenpreis zeigen, aber doch die Allgemeinheit und künftige Generationen belasten. (Maasdamer - bekannt unter dem Markennamen „Leerdamer“ - ist ein holländisches Konkurrenzprodukt zum Schweizer Emmentaler, aber billiger und schneller in der Produktion.) Diese Packung verteuert sich bei realen Preisen um 94% - von 2,49 € auf 4,84 €. Denn zu dem üblichen Preis sind noch versteckte Kosten von 2,35 € hinzuzurechnen. Diese setzen sich zusammen aus 85 Cent für klimaschädliche Emissionen wie Methan oder CO2. Die Bodenbelastung durch intensive Landwirtschaft zur Futterproduktion berechnen die Wissenschaftler mit 76 Cent und „der Pestizideinsatz sowie weitere Wirkungen auf die Gesundheit der Landwirte“ schlägt mit 63 Cent zu Buche. Obendrauf kommen ca. 10 Cent für die Belastung des Grundwassers, z.B. durch Dünger/Gülle.

Der Preisaufschlag durch „Ökokosten“ sei natürlich nicht überall gleich. Generell seien die notwendigen Mehrkosten bei rein pflanzlichen Produkten wegen der geringeren Umweltbelastung niedriger, erklärt der Projektbegleiter und Umweltökonom Gaugler von der TH Nürnberg. Nur das vegane konventionelle Schnitzel sei kaum teurer. Aber das zeigt auch, so Marktexperten, wie unerklärlich teuer viele vegane Produkte heute verkauft werden.

Preisaufschläge bei konventionell höher als bei Bio

Aus den Berechnungen geht auch hervor, dass die Aufschläge bei konventionellen Produkten durchgängig höher sind als bei Bioprodukten. So liegen die wahren Preise von Bio-Wiener Würstchen um 63% höher als normal, bei konventionellen steigt der Preis um 88%  – letztere wären mit 1,50 € je 100 Gramm immer noch deutlich günstiger als die Bio-Variante mit 2,67 € je 100 g.

Auch für Mozzarella (74%) und Fruchtjoghurt (ca. 40%) ist der Preisaufschlag für konventionelle Produkte erheblich höher als für Bio (49% bzw. 31%).

Mutig oder Marketingaktion?

Manche halten das Experiment für einen mutigen Schritt gerade in Inflationszeiten. Dass der Discounter von den genannten Produkten nicht viel verkaufen wird, ist auch Penny-Manager Stefan Görgens bewusst. „Wir sehen, dass viele unserer Kundinnen und Kunden unter den unverändert hohen Lebensmittelpreisen leiden. Dennoch müssen wir uns der unbequemen Botschaft stellen, dass die Preise unserer Lebensmittel, die entlang der Lieferkette anfallen, die Umweltkosten nicht widerspiegeln.“ Mit der einwöchigen Aktion in allen 2150 Filialen wolle das Unternehmen das Problembewusstsein verbessern. Die Mehreinnahmen werde man nicht einkassieren, sondern in einem Projekt zum Klimaschutz und „zum Erhalt familiengeführter Bauernhöfe im Alpenraum“ einsetzen. Das bringt Kritiker erst recht in Rage, wie uns ein erboster westfälischer Bauer mitteilt. Dass ausgerechnet der Discounter Penny, sonst eher als knallharter Preisdrücker agrarischer Produkte bekannt, nun seinen Medienwirbel auch noch mit einer Spende für existenzbedrohte Milcherzeuger in Berggebieten verknüpfe, halte er für Heuchlerei und erinnere ihn an mittelalterlichen Ablasshandel.

Manche Agrarblogger sehen in der Aktion erneut ein Bauern-Bashing, gegen die konventionelle Landwirtschaft gerichtet und die Aufschläge für überteuert.

Greenpeace bewertet die Aktion als ein „anschauliches Symbol“, dem grundlegende Maßnahmen von Handel und Politik folgen müssten.

Der Marktbeobachter hält die Aktion von neun (!) Produkten ökonomisch weder für mutig noch für riskant, sondern einfach für eine Marketingaktion zur Imageaufwertung. Wenn man das unglaubliche Echo in den Medien als Maßstab nimmt, ist das dem Discounter gelungen. Aber sie stellt die derzeitigen Aktionsziele des LEH auf den Kopf. Während alle Einzelhändler sich „kundenfreundlich“ als Inflationsbremse aufspielen und dabei die Erzeugerpreise stärker drücken wollen, könnte das Experiment angesichts der Multikrisen auch die Verunsicherung der Verbraucher verstärken. Wer soll diese „wahren“ Preise bezahlen? Penny will die Kundinnen und Kunden zum Nachdenken anregen.

Vielen Dank, genauso gut kann man „das Problembewusstsein“ der Penny-Manager anregen, ihr eigenes Vorgehen des „Verramschens“ (ein Rewe-Manager) von Lebensmitteln zu hinterfragen. Will ausgerechnet der „Billigheimer“ Discount belegen, dass eigentlich die Lebensmittel sehr viel mehr kosten müssten? Er könnte es jeden Tag beweisen und müsste die Bergbauern nicht mit Spenden/Almosen beglücken.

In der Landwirtschaft wird diese Aktion mit großem Interesse, aber auch mit gemischten Gefühlen verfolgt. Einerseits wird einmal mehr deutlich gemacht, was die wahren Kosten sind und wie die Landwirte permanent gepresst werden, auch zu Lasten von Natur und Menschen. Andererseits bekommen sie mal wieder vorgerechnet, dass und in welchem Maße sie die Umwelt und das Klima belasten. Das hört man nicht gern.

Auf zwei weitere Aspekte kann noch verwiesen werden.
Mit solchen Berechnungen und Aktionen bekommt die Diskussion um das Verkaufsverbot unter Einstandspreisen eine weitere Dimension. Soll der Einstandspreis „nur“ die agrarische Vollkosten spiegeln oder auch die gesellschaftlich getragenen externen Kosten?
Und wie sind die aktuellen hohen Lebensmittelpreise zu erklären, die auch im Juli mit 11% weit über dem allgemeinen Inflationsniveau liegen, obwohl die landwirtschaftlichen Erzeugerpreise seit April gesunken sind? Wie können z.B. Molkereiprodukte laut Statistischem Bundesamt im Juni um 22,3% steigen, während der Milchpreis um 20% unter dem Vorjahr gefallen ist?