"Wahre Preise": Nachdenken über das gesamte Lebensmittelsystem ist nötig

Die Aktion „Wahre Preise“ des zur Rewe-Group gehörenden Discounters Penny hat nach Ansicht des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter (BDM) in seiner schlagwortartigen Begründung zu kurz gegriffen und so den Eindruck entstehen lassen, als wäre in erster Linie die Landwirtschaft dafür verantwortlich. Auch die Tatsache, dass die Mehrerlöse komplett dem Projekt „Zukunftsbauer“ der Molkerei Berchtesgadener Land eG zugutekommen sollen und der Discounter noch 50.000 Euro obendrauf legen will, „heilt“ diesen Eindruck nicht wirklich, so der BDM. Von einem „Greenwashing in Höchstform“ spricht der Bauernverband (DBV) mit Blick auf die Penny-Aktion.

„Natürlich steht hinter der Aktion des Discounters vor allem ein Marketing-Gedanke, das legt auch der Aktionszeitraum von einer Woche nahe. Die Aktion schlägt hohe mediale Wellen und muss von uns als Bäuerinnen und Bauern genutzt werden, um die Diskussion darüber zu führen, wo die wahren Gründe für die fehlende Einpreisung von „wahren Kosten“ für die Herstellung von Lebensmitteln liegen“, erklärt BDM-Vorstandsvorsitzender Karsten Hansen. „Unser Kritikpunkt ist vor allem die zu eingeschränkte und schlagwortartige Begründung der „wahren Kosten“. Zu den „wahren Kosten“ zählt beispielsweise auch der Substanzverlust unserer Betriebe, wenn wir mit ständiger Kostenunterdeckung wirtschaften sollen. Da hilft auch die kleine finanzielle Zuwendung durch Penny an ein bäuerliches Projekt nicht. Insgesamt sollte die Aktion aus unserer Sicht vor allem dazu aufrufen, über das herrschende Lebensmittelsystem zumindest nachzudenken. Hauptverantwortlich für diese Situation ist die fehlgeleitete Ausrichtung der Agrar- und Ernährungspolitik auf eine Versorgung der Verarbeitungs- und Ernährungsindustrie mit billigen Rohstoffen“, so Hansen.

Ein nicht unerheblicher Teil der „wahren Kosten“ entsteht nach Ansicht des BDM in den vor- und nachgelagerten Bereichen der Milcherzeugung. So werde rund ein Fünftel der in der EU benötigten Futtermittel aus Drittländern importiert. Neben den Transportimmissionen seien auch die dortigen Produktionsverhältnisse, die häufig aus ökologischer und sozialer Sicht zumindest fragwürdig sind, zu berücksichtigen. In den weitergehenden Verarbeitungsprozessen der „von uns erzeugten Agrarprodukte“ entstehe ein großer Energie- und Ressourcenverbrauch, um diese wiederum für den globalen Wettbewerb haltbar zu machen. Die Beschickung globaler Märkte verursache zusätzlich immense Transportimmissionen.

„Auch der Lebensmitteleinzelhandel „geizt“ nicht mit aus Umweltsicht mehr als bedenklichen Praktiken, wenn man beispielsweise an die aufwändige Plastikverpackung schon kleiner Mengen Käse denkt. Auf den wenigsten Dächern der Discounter befinden sich Energieerzeugungsanlagen, unzählige Kühlaggregate blasen warme Luft in die Atmosphäre“, benennt Hansen nur einige problematische Vorgänge in der Lebensmittelkette. „Alle durch diese oft unsinnigen Herstellungsprozesse verursachten „wahren Kosten“ werden gerne der Landwirtschaft zugeschrieben, das entspricht jedoch nicht der Realität.“

„Wir Bäuerinnen und Bauern sollten, gerade wenn wir das Gefühl haben, dass durch solche Aktionen ein falscher Eindruck erweckt wird, viel mehr Energie darauf verwenden, immer wieder auf die Missstände hinzuweisen, die durch die politischen Marktrahmenbedingungen verursacht werden“, appelliert BDM-Vorstand Manfred Gilch an seine Kollegen.

DBV zur Penny-Aktion: Greenwashing in Höchstform!

„Die Penny-Aktion zu „wahren Kosten“ ist vor allem ein auf Kosten der Bauern ausgetragenes Greenwashing-Projekt eines Discounters, der sich ansonsten wenig für faire Bepreisung interessiert“, kommentiert der Bauernverband auf facebook die zu dem Zeitpunkt noch laufende Penny-Aktion. Mit fragwürdiger Methodik und unseriösen Rechnungen mit fiktiven Kosten werde ein verzerrtes Bild gezeichnet, in dem die Rolle des niedrigpreisorientierten Lebensmittelhandels bewusst ausgeblendet wird. Positive Effekte der landwirtschaftlichen Produktion blieben schlichtweg unberücksichtigt. „Es ist mehr als zweifelhaft, wenn solche Methoden auch noch zur Margensteigerung im Handel beitragen. Anstelle solcher aktivistischer Effekthaschereien sollte das Unternehmen Penny lieber die tatsächlichen Leistungen der heimischen Landwirtschaft anerkennen, wertschätzen und vor allem angemessen entlohnen. Möchte man effektiv für eine noch nachhaltigere Lebensmittelproduktion sorgen, dann braucht es ein System, mit dem die Aufschläge auch zielgerichtet dort ankommen, wo der Mehraufwand entsteht – auf den landwirtschaftlichen Betrieben. Durch die aktuell laufende Kampagne verunglimpft Penny jedoch lediglich die heimische Produktion, die im globalen Vergleich bereits äußerst klima- und ressourcenschonend ist“, so der DBV.

09.08.2023
Von: FebL/PM

Welche Kosten verursachen welche der im Einkaufswagen landenden Bestandteile des Lebensmittelsystems? Bildquelle: BDM; Tony Hegewald/pixelio.de