Getreidepreise unter Druck trotz Ende des Ukraine- Abkommens

Marktbeobachtungen von Hugo Gödde +++

Als vor zwei Monaten das Schwarzmeerabkommen für ukrainisches Getreide nicht mehr verlängert wurde, sagten manche Experten wieder steigende Preise, Risiken in der Versorgungslage und vor allem verstärkten Hunger in Afrika und Teilen Asiens voraus. Putin lässt die Kinder in armen Ländern verhungern, so eine verbreitete Nachricht. Tatsächlich stehen heute die Getreidepreise unter Druck. Europa findet kaum Absatz an den Exportmärkten. Auch die Nachfrage am Binnenmarkt ist schwach. Die Preise geben unter den hohen Ernteprognosen aus Russland und der Ukraine nach. Der Getreidedeal liegt weiter auf Eis. Russland will selbst in arme Länder „günstig“ exportieren. So analysiert das Magazin „agrarheute“. Im Unterschied zum vorigen Jahr verläuft der Getreidemarkt aktuell aber weithin stabil.

Für die Ackerbauern bleibt die Frage weiterhin, verkaufen oder einlagern und auf bessere Preise hoffen? Die Tierhalter sind sicherlich viel entspannter als nach der letztjährigen Ernte. Die Preise der Futtermittel für Milchvieh, Bullenhalter und Schweinehalter sind wieder auf das Niveau von Ende 2021 vor Kriegsbeginn gefallen.

Handelsdominanz Russlands

Seit der Preisspitze im Mai 2022 mit Weizenpreisen von 400 € je Tonne ging es nach dem Abkommen im Juli 2022 schrittweise abwärts. Offenbar war die Luft aus der Spekulation gewichen. Anfang 2023 lag der Wert für Weizen schon unter 300 € und für Futtergerste unter 250 €. Nach der neuen Ernte fiel der Preis trotz gescheitertem Abkommen für Ukraine- Ware über das Schwarzmeer auf 200 – 220 €/ t für Futterweizen und unter 200 € für Gerste. Damit ist auch für hiesige Ackerbauern das Ausnahmejahr 2022/ 2023 zu Ende gegangen.

Zurzeit geben die Weizenpreise weiterhin nach. Auch ohne Getreidedeal mit Putin ist nach Ansicht von Marktkennern das große Angebot aus der Ukraine und Russland verantwortlich für diese Tendenz. Sie sprechen von einer „überwältigenden Handelsdominanz“ Russlands. Mit „Geschenken“ (Vorzugspreisen) von 1 Mio. t an ärmere Länder soll die riesige Bedeutung Russlands wirtschaftlich und politisch untermauert werden.

Das US- Agrarministerium geht davon aus, dass die Weizen-Produktion in den großen Exportländern Australien, Kanada, Argentinien und der EU unter dem Vorjahr liegt, was aber durch gute Verfügbarkeit in Russland, Ukraine und Kasachstan mehr als ausgeglichen wird. Ukraine konnte trotz verheerender Kriegsbedingungen in diesem Jahr nach Auskunft des Ministeriums 50 bis 55 Mio. t Getreide ernten nach 53 Mio. t im Vorjahr - bei einem Inlandsverbrauch von 18 Mio. t. Russland soll in diesem Jahr wieder eine Rekordernte eingefahren haben, so dass der Druck auf die globalen Preise nicht nachlassen dürfte. In der Saison 2022/23 habe man nach Angaben des russischen Ministeriums die Rekordmenge von 47 Mio. t exportiert.

Gleichzeitig bleiben die Weizenexporte aus den USA rund 21 Prozent unter dem Vorjahr zurück. Auch die Ausfuhren aus der EU bis Ende August unterschreiten mit 5,0 Mio. t das Niveau des Vorjahres von 6,2 Mio. t erheblich. Dagegen wurden bisher 1,2 Mio. t Weizen importiert – auch aus der Ukraine über Polen, Rumänien und Bulgarien. Die Verarbeitungsbetriebe sind zunächst versorgt, die Läger noch gefüllt. Die Preisvorstellungen schwanken und weichen voneinander ab, weil die Partien aufgrund der unterschiedlichen Qualitäten sehr individuell verhandelt werden.

Einfuhrverbot und Transitregelung in osteuropäischen Ländern

In der Saison 2022/23 wurde der größte Teil der ukrainische Menge über Tiefseehäfen im Rahmen des Schwarzmeerabkommens exportiert. Auch wenn weiterhin verhandelt wird, ruht der Deal zurzeit. Trotzdem gelingt es, wachsende Mengen von Getreide über andere Routen der westlichen Nachbarn auszuführen. Die alternativen Exportrouten per Binnenschiff, Bahn und Lkw wurden essentiell wichtiger. Das aber untergrub den Osteuropa- Markt und ließ die Preise in Polen, Slowakei und Bulgarien verfallen, so dass ein Einfuhrverbot ukrainischen Getreides in diese Länder seitens der EU ausgesprochen wurde. Die osteuropäischen Länder durften nur zum Transit genutzt werden, wodurch viel Getreide auch in deutsche Silos gelangte. Eine Vermarktung in diesen Ländern durfte nicht erfolgen. Dieses Einfuhrverbot ist seit dieser Woche ausgelaufen, aber Polen hat angekündigt, bewusst gegen EU- Recht das Verbot aufrecht zu erhalten. Polen hat im Oktober Parlamentswahlen und die regierende PIS- Partei will ihr Wählerklientel auf dem Lande nicht verlieren. Die Reaktionen Brüssels sind sehr zurückhaltend, zumal auch der polnische Agrarkommissar Wojciechowski sich für eine Verlängerung der Transitvorschrift für zollfreies Getreides in sein Land ausspricht.

Nach Brüsseler Angaben hat sich die Ukraine im Gegenzug bereit erklärt, von sich aus Maßnahmen zu ergreifen, um einen erneuten Anstieg der EU-Einfuhren zu verhindern. Genannt wird unter anderem die Einführung eines Ausfuhrlizenzsystems. Bis ein solches System bestehe, müsse die Ukraine die Ausfuhr von Weizen, Mais sowie Sonnenblumen- und Rapssamen freiwillig wirksam kontrollieren, um Marktverzerrungen in den Nachbarländern zu verhindern.

Ob dieses System der Exportlizenzen funktioniert, bezweifeln Marktkenner. Aber es solle die EU aus der Klemme helfen, Ukraine zu unterstützen, ohne bestimmte EU- Länder zu schädigen. Inwieweit die Maßnahme sich auf die hiesigen Erzeugerpreise auswirken wird, sei schwer abzuschätzen, erhöhe aber die Mengen am Markt.

Stau bei Bio- Brotgetreide und sinkende Bio- Mischfutterpreise

Auch der Bio- Getreidemarkt gestaltet sich „ungewohnt ruhig und impulslos“, so berichtet Bioland. Noch nie war die Nachfrage so gering, auch weil noch reichlich alterntige Ware auf Lager liegt. Laut Agrarmarkt- Informations- Gesellschaft (AMI) könnten noch ein Viertel- bis zu einem halben Jahr Bestände abgearbeitet werden. Der Markt sei im „totalen Stillstand – bei Speiseware deutlich stärker als beim Futter.“ Dabei hat die lagerfähige Erntemenge unter dem Regen gelitten, so dass viel Getreide nur als Futter zu verkaufen ist. Gute Qualitäten könnten auf lange Sicht wieder Aufschläge erzielen, aber momentan bewegt sich wenig, weil die Nachfrage fehlt. Die Preisentwicklung ist noch in Bewegung, aber es zeichnet sich ab, dass die Vorjahrespreise weit unterschritten werden – um mindestens 100 € je Tonne. Sie erreichen kaum die Preise von 2021.

Die Mischfutterhersteller haben sich günstig auch bei Landwirten ohne Lagermöglichkeiten eingedeckt. Für die Tierhalter, die zukaufen müssen, sind das keine schlechten Nachrichten. Immerhin wird auch bei Bio 70% des Getreides an die Tiere verfüttert. Die Mischfutterpreise sinken, ohne große Aussicht auf Umkehr. Endmastfutter für Schweine ist im Vergleich zum Vorjahr von 650 € auf 570 € pro Tonne gefallen. Milchleistungsfutter wird ähnlich gehandelt. Das Alleinfutter für Legehennen ist um ca. 10% gesunken, berichtet die AMI. Allenfalls bei den knappen Bio- Leguminosen und alternativen Eiweißquellen (Raps- und Sonnenblumenkuchen) könnte sich etwas bewegen. Die Ernte bei den Bio- Leguminosen enttäuschte – sowohl bei Verbandsware , aber auch beim Import von EU- Ware aus China. Da der Bio- Speiseölmarkt stockt, wird wenig Kuchen für die Herstellung von Eiweißfuttermitteln gepresst. Sonst wäre das Futter noch stärker gefallen. Insgesamt aber sucht der Markt noch nach einer klaren Richtung. Für die Bio- Schweinefleischerzeuger sieht es, auch wegen der festen Schweinepreise, nicht schlecht aus. Für die geschundenen Milch- und Rindfleischerzeuger ist es eine gewisse Erleichterung der Kosten.

Der Marktbeobachter vermerkt nach dem turbulenten letzten Jahr eine Beruhigung des Getreidemarktes, obwohl die hiesige Ernte quantitativ unterdurchschnittlich war und oft qualitativ Probleme aufwirft. Auch das Ende des Ukraine- Abkommen hat zur Überraschung für manche Marktexperten, aber noch mehr für Ideologen, die damit Stimmung machen wollten, keine neuen Verwerfungen gebracht. Die Wetter- und Klimakapriolen von Trockenheit bis Starkregen und Überschwemmungen haben in unterschiedlichen Ländern zu wechselnden Ergebnissen geführt, aber insgesamt die Weltgetreideproduktion wenig verändert. Sie liegt klar über dem Schnitt der letzten Jahre. Wer also jetzt noch die Nahrungsmittelpreise für Getreide- und Folgeprodukte hoch hält oder gar erhöht, macht das für die eigene Kasse und nicht wegen der Rohstoffkosten.

20.09.2023
Von: Hugo Gödde

Ukrainisches Getreide ist nach wie vor politischer Spielball Foto: wikiimages/pixabay