40 Cent Milchpreis – ist der Bodensatz erreicht?

Marktbeobachtungen von Hugo Gödde +++ Die Unruhe unter den Milchbäuerinnen und Milchbauern wächst. Während sich manche noch allzu gern an das Superjahr 2022 erinnern, ist der Milchmarkt seit einigen Monaten in der traurigen Realität angekommen, wie er vor dem Rekordjahr üblich war. Wieder überlegen zunehmend mehr Erzeuger, wohin es gehen wird und ob sich Melken noch lohnt. Durchschnittlich 40,8 Cent pro Kilo Milch wurden im Juli gerade einmal erzielt, obwohl die Vollkosten trotz sinkender Futtermittelpreise und besserer Grundfutterausstattung um 45 ct/kg verharren.

 

Preissturz gebremst, aber verheerend

Es rechnet sich nicht, vor allem im Norden, Westen und Osten des Landes. Im Norden ist laut „topagrar- Milchpreisbarometer“ der zweitgrößte deutsche Molkereikonzern, das Deutsche Milch Kontor (DMK) aus Bremen, mit 34,1 Cent Schlusslicht der Auszahlung. Damit liegt man schon wieder unter dem Vergleichsjahr 2021 und weitab von den Kosten der Milcherzeugung. Immerhin scheint man den Bodensatz erreicht zu haben, da im August der Preis nicht weiter verfallen ist. Das gilt auch für die meisten anderen nord- und westdeutschen Molkereien. Nur einige haben im August weitere leichte Senkungen vorgenommen. Während im Norden allein Ammerland über 40 Cent zahlt und der größte Teil der Molkereien eher bei 35 bis 38 Cent liegt, bleibt im Westen die 40 noch in Reichweite etwa bei Friesland/Campina, Hochwald, Moers/ Oetker oder Schwälbchen. Allein Arla, der große dänisch- schwedische Konzern, bleibt trotz höherer Qualitätszuschläge abgeschlagen – fast auf DMK- Niveau.

Bei den Molkereien im Süden zeigt der August wenig Bewegung. In aller Regel wird zwischen 40 und 43 Cent abgerechnet. Auch die größte deutsche Molkerei Müller ist mit 43 ct/kg relativ gut im Rennen. Die Region, die Vergleichbarkeit mit den Nachbarmolkereien und der Markenname scheint hier wichtiger zu sein als die schiere Größe.

 

Rangliste der globalen Milchunternehmen

Immerhin ist Müller- Milch nach Berechnungen der Rabobank in 2022 durch den Erwerb der deutschen Verarbeitungsbetriebe und Frischemarken von FrieslandCampina auf Platz 14 der Weltrangliste mit 6,2 Mrd. € Umsatz vorgerückt (DMK steht auf 18). Die rekordverdächtigen Milchpreise haben zu einem Umsatzplus von 20% im Schnitt beigetragen. Spitzenreiter ist weiterhin der französische Konzern Lactalis, zu dem auch die deutsche Omira gehört, mit 27 Mrd. € Umsatz, gefolgt von US- Nr. 1 „Dairy Farmers of America“ mit 23 Mrd. vor Nestle (Schweiz) mit 22 Mrd.€ und Danone (Frankreich) mit 20 Mrd. €. Arla auf Platz 6 und FrieslandCampina (Holland) auf 7 setzen etwa doppelt so viel um wie die größten deutschen Milchkonzerne. Überhaupt ist Frankreich mit 4 Konzernen unter den TOP 20 sehr prominent vertreten.

Die Marktverhältnisse in diesem Jahr scheinen auch den Großen zuzusetzen. Drastische Milchpreissenkungen bei DMK, deutliche Gewinnrückgänge bei FrieslandCampina und ein schwaches Markengeschäft bei Arla drücken auf die Margen. Trotz eines Umsatzplus‘ im ersten Halbjahr von 10% halbierte sich bei der Arla- Gruppe der Gewinn nach Steuern und Zinsen und verfehlte damit klar die Zielvorgabe. Die Orientierung der Verbraucher Richtung Discount und Eigenmarken habe Spuren im Markengeschäft hinterlassen, so Vorstandschef Tuborgh. Der Preis suche ein neues Gleichgewicht. Weil die Milchproduktion zunehme und der Verbraucher weniger Geld ausgäbe, müsse „im Gesamtergebnis ein wettbewerbsfähiger Milchpreis“ aufgerufen werden, der auch einen Nachhaltigkeitszuschlag von 1 Cent im Rahmen eines Anreizmodells zum Klimaschutz beinhalte und seit Juli bezahlt werde.

Branchenkenner werten diese Maßnahme als „rechte Tasche – linke Tasche“. Man nimmt den Erzeugern vom Grundpreis und gibt ausgewählten Betrieben ein Klima- Zubrot. Die zusätzliche Klimaleistung wird von allen Erzeugern bezahlt, nicht vom Handel oder Verbraucher. Man wundere sich, so die Milchszene, dass sich die Erzeuger das gefallen lassen und für einen möglichen Marktvorteil (?) ihre Molkerei subventionieren. Außerdem würden mal wieder Mehraufwendungen sofort eingepreist.

 

Milchmenge und Weltmarkt

In vielen Analysen wird die in 2023 gestiegene Milchanlieferung als wichtiger Grund für den Preissturz der letzten Monate angegeben. Tatsächlich haben die Milcherzeuger der EU im ersten Halbjahr 2023 nur 0,7% mehr Milch angeliefert als im ersten Halbjahr 2022 und 0,1 % mehr im Vergleich zu 2021 - mit abnehmender Tendenz, berichtet die Zentrale Milch Berichterstattung (ZMB). In den Ländern war die Entwicklung recht unterschiedlich. Die größte Zunahme war im ersten Halbjahr 2023 in Deutschland und die größte Abnahme in Frankreich. In Holland, einem starken Milchland, wird ein deutlicher Rückgang wegen der Be­grenzung der Stickstoffemissionen erwartet. Auch in Deutschland ist das starke Wachstum von fast 2% zu Beginn des Jahres rückläufig. Der Vorjahreswert wird Ende August erstmals nicht mehr übertroffen.

In der Folge spalten sich die Analysen für die aktuelle und weitere Entwicklung auf. Selten waren die Preisunterschiede zwischen den Spotmilchpreisen und dem Rohstoffwert der Milch größer. Derzeit klafft zwischen beiden Preisen ein ungewöhnlich großer Abstand von 10 bis 14 Cent. Untereinander handeln die Molkereien auf dem Spotmarkt, der aktuell mit 44 bis 48 Cent angegeben wird. Demgegenüber liegt der Börsenmilchwert, bei dem die Verwertung von Fett und Eiweiß theoretisch analysiert wird, bei 35 Cent. Die süddeutsche Börse erklärt es mit dem saisonalen Rückgang der Milch, der die Rohstoffströme je nach Verwertung neu ordnen lasse. Inwieweit dies aber die Erzeugerpreise kurzfristig beeinflusst, ist nicht abzusehen, so Analysten. Schließlich sind noch genügend Produkte im Lagerbestand und der Pulvermarkt laufe zäh.

 

Lichtblick, aber keine Trendwende am Weltmarkt

In den großen Milcherzeugernationen EU, USA, Neuseeland, Argentinien und Australien zeichnen sich für dieses Jahr weitgehend unveränderte Milchanlieferungen ab. Inflationsbedingt, so schreibt das US- Agrarministerium, gingen die Importe entscheidender asia­tischer Länder, besonders Chinas stark zurück. Vor allem aus Neuseeland wird traditionell viel Milchpulver ins Reich der Mitte exportiert. Die US-Marktanalysten erwarten weiterhin eine deutliche Steigerung der Milcherzeugung in China von etwa 5 % für 2023, was die Abhängigkeit von Importen, auch aus der EU, weiter reduzieren wird – für den hiesigen Milchmarkt keine gute Nachricht. Aufgrund des steigenden Rohstoff­angebotes steigt auch die chinesische Inlandserzeugung von Milchprodukten. Besonders die für die Kindernahrung wichtige Herstellung von Vollmilchpulver wird gesteigert und zusätzlich staatlich subventioniert. Allein beim Pulver gingen die Importe um 34 % im Vergleich zum Vorjahr zurück, was zuerst die neuseeländischen Milchbetriebe trifft. Bei den weltweiten Auktionen hat sich aktuell der Preissturz der letzten Monate nicht fortgesetzt, bleibt aber weit unter Jahresbeginn.

 

Export stabil mit schwachen Preisen

Beim EU- 27 Export von Milchprodukten konnten in vielen Kategorien im ersten Halbjahr die Werte von 2021 erreicht werden, nachdem 2022 die Absatzmengen für Käse, verschiedenen Milchpulverarten und Milch rückläufig waren. Bei Milch und Sahne konnte nicht einmal der 2022er Wert erreicht werden, während Butter erneut anzog. Die Käseexporte, die für die europäische Milchwirtschaft die größte Bedeutung haben, sind wieder auf dem Niveau von 2021. Größter Abnehmer ist Großbritannien, woher auch die meisten, aber geringen Milchimporte stammen. Insgesamt bewegen sich die Einfuhren weit unter den Ausfuhren.

Die weitere Entwicklung der globalen Milchpreise hängt also vor allem von der Erholung der Weltwirtschaft mit einer Steigerung der Kaufkraft sowie dem globalen Milchaufkommen ab. Die jüngsten positiven Entwicklungen bei der Anlieferung, am Exportmarkt und der gute Käsepreis könnten aber eine mögliche Stabilisierung der Preise begründen.

 

Und Bio?

 Die ersten sechs Monate von 2023 waren von einem deutlich erhöhten Bio- Milchaufkommen geprägt. Bayern liegt weiterhin bei der Milchmenge insgesamt wie dem größten Zuwachs gegenüber dem Vorjahr vorn. Zeitgleich ging der Absatz von Bio- Milch und Milchprodukten leicht zurück. Das zusätzliche Angebot aus dem Ausland, besonders Österreich verschärfte die Marktlage. Die Zertifizierung von über 1000 österreichischen Biobetrieben durch Naturland hat zu erheblicher Verstimmung in der Szene geführt. Auch die Forderung nach einem Orientierungspreis von 67 ct/kg Biomilch durch Bioland und Naturland ist in der Molkereiszene nicht gut angekommen. „Erst mehr Milch auf einen übervollen Markt einführen und dann einen marktillusionären Preis fordern, wie soll das gehen?“ klagte ein Vertreter einer reinen Biomolkerei. „Soll das etwa den Discount und den LEH zu höheren Preisen bewegen?“ Die Möglichkeiten des letzten Jahres, Bio- Milch oder -Magermilch zeitweise konventionell abzusetzen, seien angesichts des Preisverfalls der „normalen“ Milch völlig unattraktiv.

Im Juli reduzierte sich der Bio-Milchpreis laut Bioland- Milchpreistrend im bundesweiten Durchschnitt um 1,5 auf 54,8 Cent. Der Unterschied zwischen Nord-Schnitt von 54,1 Cent und Süd-Schnitt von 55,2 Cent verringerte sich. Im letzten Jahr lagen die Regionen sehr nah beieinander. Kumuliert für das erste Halbjahr liegt die Differenz zwischen konventionell und Bio bei 12 Cent. 2022 waren es nur 5,1 Cent. Dennoch ist die Umstellungsbereitschaft gleich Null.

 

Der Marktbeobachter registriert im Sommer eine Bodenbildung des schlechten Milchpreises, eine verringerte Überschussproduktion und einzelne Lichtblicke am Markt (Käse, Export), aber keine für die Milchbäuerinnen und Milchbauern dringend notwenige Trendwende des Absturzes. Die Milchwirtschaft wird wieder zunehmend unwirtschaftlich und die Stimmung auf den Höfen schlechter. Da nützt es wenig, dass die „Ampel die Milch entdeckt“, wie es agra- Europe schrieb. Ob die Regierung die Stellung der Erzeuger gegenüber den Molkereien stärken kann (und will), ist noch nicht zu erkennen – so richtig es auch wäre. Klare Weichenstellungen in eine nachhaltige Erzeugung wie Weidehaltung und beim Tierwohl „a la Borchert“sowie die Verlässlichkeit der Politik sind gefordert. Man wird ja wohl träumen dürfen!

 

13.09.2023
Von: Hugo Gödde

Für Milcherzeuger ist das Glas derzeit eher wieder halb leer als halb voll, Foto: 1195798/pixabay