Den Bio-Markt nicht schlechtreden

Bis 2030 strebt die Bundesregierung 30 Prozent Bio an. „Vollständig illusorisch“, kann Götz Rehn, der Chef der größten deutschen Bio-Kette Alnatura, die Nr. 19 unter den LEH-Größen, nur den Kopf schütteln. Alnatura ist seit Jahren zweistellig gewachsen. Doch jetzt warnt er vor dem „schlimmsten Einbruch seit 35 Jahren“. Als Gründe nennt er – wie viele andere in der Branche – neben der Inflation die Verlagerung der Kundschaft vom Naturkosthandel zum Discount und von den Markenherstellern zu den Handelsmarken des LEH.

Auch die AMI-Bioexpertin Diana Schaack teilt diese Einschätzung. Sie rechnet für 2022 mit einem Rückgang von fünf Prozent für den Bio-Markt, wobei der Fachhandel etwa zehn Prozent einbüßen werde, während der Discount und Drogeriehändler wie dm oder Rossmann eher zulegen werden. Angesichts der gewaltigen Zuwachsraten der letzten zwei Jahre eigentlich kein Bio-Weltuntergang, sondern – wie Optimisten sagen – eine „Konsolidierung“.

Außerdem ist die Preissteigerung bei Bio-Ware mit rund fünf Prozent deutlich niedriger als im konventionellen Markt. Bio-Butter ist z. B. im Ladenregal billiger als Markenbutter von Landliebe oder Weihenstephan.

Insgesamt reagieren Marktteilnehmer aber nervös. Tegut, der Einzelhändler mit dem höchsten Bio-Anteil, verstärkt z. B. seine Einstiegsmarke „Tegut Bio“ zum kleinen Preis. Andere wie Aldi, Rewe oder Edeka setzen auf ihre Eigenmarken. Der Trend zu Billig-Bio werde auch 2023 nicht aufzuhalten sein, schätzen Handelsexperten. Die Verdrängung des Fachhandels werde weitergehen.

Nach fest kommt ab?

Auf Erzeugerseite muss man die Teilmärkte differenziert analysieren. Das lange Zeit knappe Schweineangebot passt inzwischen zur Nachfrage. Der Bio-Schweinepreis liegt weiterhin konstant um 4,25 Euro/kg. Durch die gestiegenen Futterkosten sind die Deckungsbeiträge zurückgegangen und die Zeichen stehen nicht auf Wachstum. Nicht alle Kosten können weitergegeben werden. Oder wie es ein Bio-Mäster ausdrückt: „Lieber mal preislich die Füße still halten, denn nach fest kommt ab.“ Daran halten sich aber nicht alle. Wohl aus Sorge um die kurzfristige regionale Versorgung hat Edeka Südwest den Preis um 50 Cent (!) auf 4,80 Euro/kg erhöht. Laut Vertrag stand den Bioland-Mästern eine Nachverhandlung zu, aber das Ergebnis hat die Schweineszene aufgebracht. Selbst das Aktionsbündnis Bioschweinehalter Deutschland (ABD), sonst eher für stramme Preisforderungen bekannt, distanziert sich. Höhere Einkaufspreise, schreibt das ABD, „spielen für Edeka in der Summe eine absolut untergeordnete Rolle. Der Naturkostfachhandel kann nicht quersubventionieren.“ Die Sorge betreffe nicht nur die Bioläden, sondern auch deren Lieferanten, „Unternehmen, die Bio und damit auch Biofleisch aufgebaut haben“, wie die Biofleisch-NRW-Genossenschaft, Chiemgauer Naturfleisch oder der Thönes-Naturverbund. Das Aktionsbündnis schreibt auch: „Platz für weitere Betriebe ist derzeit aber leider nicht. Steigen die Preise nun erneut im Handel, steht zu befürchten, dass auch die jetzigen Mengen nicht mehr untergebracht werden können. Das kann niemand wollen.“ Und noch deutlicher: „Es gibt Zeiten, in denen es sinnvoll ist, nicht die maximalen Ziele durchzusetzen, selbst wenn es kurzfristig möglich ist.“ Dafür erhält das ABD kräftig Gegenwind, wird als Büttel der Abnehmer oder als Vertreter eines „Closed Shop“ für Bestandsbetriebe kritisiert. Andere Stimmen halten es für klüger, das Marktgleichgewicht im Auge zu haben als den Nutzen einzelner Zufallsgewinne.

Milchpreis in Bedrängnis

Anders sieht es im Milchmarkt aus. Der Bio-Auszahlungspreis ist laut Bioland im September im Schnitt auf 60,4 Cent/kg gestiegen. Der Norden übertrifft mit 61 Cent den Süden mit 60,1 Cent. Das hat es seit Jahren nicht gegeben. Noch schwerer zu erklären ist die riesige Spanne von 53,7 bis 71,4 Cent/kg. Das kann für einen durchschnittlichen Kuhbetrieb mal eben 50.000 Euro oder mehr zusätzliches Einkommen im Jahr bedeuten. Zugleich ist der Preis für „normale“ Milch bis auf 2,5 Cent nahegerückt, im Norden hat er gar Bio überholt.

Trotz eines Mengenzuwachses von 2,6 Prozent im Jahr 2022 und trotz eines stockenden Absatz von Bio-Milch im Einzelhandel konnte der Preis anziehen. Dabei hat der LEH durch einen überdimensionierten Preisanstieg von Frischmilch im Regal von 1,15 Euro auf 1,69 Euro (inzwischen reduziert auf 1,49 Euro/Liter), den Absatzdruck selbst erzeugt, wovon die Erzeuger wenig profitierten. Immerhin meldet Bayern, wo die Hälfte der deutschen Bio-Milch erzeugt wird, einen Produktionszuwachs von 4,6 Prozent für das gesamte Jahr 2022, obwohl Bioland-Berater gerade Vollkosten von ca. 70 Cent berechnet haben, so dass die Erzeugung eigentlich unrentabel scheint. Aber mal wieder scheren sich die Erzeuger wenig darum. „Wenn ich mich nach Vollkostenrechnungen gerichtet hätte“, so ein alter Bio-Milchbauer, „hätte ich schon seit 30 Jahren aufhören müssen.“

Jeder Markt ist anders

Der Rindfleischmarkt bleibt zweigeteilt. Bullen und Färsen können sich im Windschatten der gestiegenen konventionellen Rinderpreise behaupten. Die Vermarktung von Kuhfleisch verzeichnet deutliche Einbrüche. Teilweise werden keine oder nur geringe Aufpreise gezahlt. Die knappe und teure Futterversorgung führte zu erhöhten Schlachtungen. Seit Oktober normalisiert sich der (entscheidende) Hackfleisch-Markt – aber mit hohen Verbraucher- und gesunkenen Erzeugerpreisen.

Bio-Getreidebauern haben eine zufriedenstellende Ernte eingefahren. Weizen, Roggen und Gerste liefen gut, die Qualitäten waren zumeist ordentlich. Brotweizen ist knapp und teurer als im Vorjahr. Für die Tierhalter bleiben die Futtermittel hochpreisig, besonders die Eiweißkomponenten, was die Erträge schmälert.

Bio-Kartoffeln müssen noch ihren Markt finden. Bislang stimmten Mengen und Umsatz. Gegenüber Vor-Corona hat der Anbau aber schneller zugenommen, als der Absatz gestiegen ist – nicht nur im Bioladen oder Direktverkauf. Eine kluge konstante Bedienung des LEHs als dem wichtigsten Vermarkter ist gefordert.

Bio neu denken?

Insgesamt muss man die Krise nicht größer reden, als sie ist. Aber zur Euphorie der Regierung (und mancher Verbände) hinsichtlich des Wunschziels 30 Prozent bis 2030 gibt es keine Veranlassung. Mut macht eher, dass die Marktturbulenzen auch zum Nachdenken anregen. Viele überrascht, dass ausgerechnet der Biobereich, der doch krisenresilienter sein sollte, besonders stark leidet. Bioland-Urgestein Ulrich Schumacher fordert nicht zu Unrecht, den „Sektor neu aufzustellen“. Er beklagt das zu niedrige Ertragsniveau und die hohe Versorgungsunsicherheit ebenso wie zu starke Produktionsregeln und unbelegte „Glaubenssätze“ aus einer Zeit, „in der der Klimawandel schlicht nicht existierte“.

Der Bio-Sektor braucht sich nicht zu verstecken. Er muss sich auch nicht schlechtreden lassen. Aber die Krise als Chance begreifen heißt erst einmal mehr Nachdenklichkeit. Und weniger Durchhalteparolen oder das Verkünden von illusionären Zielen.

08.11.2022
Von: Hugo Gödde, Marktbeobachter