Taube: Die Zukunft liegt in einer Grünland-Milcherzeugung

Ein Umsteuern in der Milcherzeugung fordert der Direktor des Instituts für Pflanzenbau und Pflanzenzüchtung an der Universität Kiel, Prof. Friedhelm Taube. „Die Zukunft liegt in einer Grünland-Milcherzeugung“, sagt Taube im Interview mit Agra Europe (AgE). „Zeitversetzt eins zu eins“ wiederholen sich seiner Ansicht nach die Fehlentwicklungen in der Schweinehaltung jetzt bei der Milcherzeugung. Aber während „der Sektor im Bereich der Schweinehaltung sowohl ökonomisch als auch in der Akzeptanz der Bevölkerung gerade vor der Aufarbeitung der Fehler aus drei Jahrzehnten steht, glaubt man in der Milcherzeugung weiter an Wachstum, Digitalisierung und Weltmärkte von vornehmlich „No name“-Produkten, ohne dass eine Strategie zur überzeugenden Bereitstellung von Ökosystemleistungen erkennbar wäre“, so Taube.

Während eine Milchkuh auf den typischen Grünlandstandorten, beispielsweise in der Wesermarsch oder im Allgäu, noch weitgehend grünlandbasiert ernährt werde, indem mehr als 60 % bis 70 % der Protein- und Energiebereitstellung in der Futterration vom Grünland kommen, gehe der Trend in allen anderen Milcherzeugungsregionen in eine völlig andere Richtung. „Die Milch verlässt das absolute Dauergrünland und wandert auf Ackerstandorte“, sagt Taube im AgE-Interview. „Getrieben“ werde diese Entwicklung „von sich daraus ergebenden Pfadabhängigkeiten, die seit Jahrzehnten durch die Mikroökonomie und Tierzucht vorgegeben und gemeinhin als Fortschritt verstanden werden: Hohe Kosten für den Stallplatz machen scheinbar Leistungssteigerungen des Einzeltieres notwendig; damit wächst die Leistung pro Tier, häufig auf Kosten der Langlebigkeit. Bis zu einem Niveau in der Größenordnung von gut 8.000 kg energiekorrigierte Milch (ECM) Jahresleistung kann eine grünlandbasierte Fütterung mithalten, darüber hinaus wird es schwierig. Also musste mit steigenden Anteilen Silomais in der Ration reagiert werden. Eine Folge war der Verlust von Dauergrünland, das nun für den Maisanbau genutzt wurde, bis wiederum die EU und nicht die deutsche Politik im Jahr 2013 mit der Fixierung des verbliebenen Dauergrünlands erneut einschritt. Inzwischen haben wir es mit Herdenleistungen von 12.000 kg ECM/Kuh und mehr zu tun“, so Taube.

Grünlandfutter nehme fast nur noch eine Funktion als Strukturkomponente in der Ration ein, während Maissilage, Getreide und Raps- oder Sojaprodukte Energie und Protein bereitstellen. Der Energieanteil aus Grünlandfutter sinke in solchen Rationen zumeist auf Werte von nicht mehr als 30 %. Dabei schlage auch zu Buche, „dass die Herden immer größer und ausschließlich im Stall gehalten werden, der Weidegang also wegfällt.“ Dies führe in der Konsequenz dazu, dass die Grünlandbestände botanisch degradieren und Futterqualitäten abnehmen. Das Grünland muss regelmäßig erneuert werden, was wiederum mit erheblichen Verlusten an Treibhausgasen einhergeht. Das System Grünland-Milcherzeugung verliere auf diese Weise seine Resilienz.

Dringend erforderlich sei, die erlaubten 170 kg N/ha aus Gülle oder Gärresten auf Ackerland bei langjähriger Ausbringung auf ein Niveau von 120 kg/ha reduzieren und den tolerierbaren Großviehbesatz von derzeit etwa 2 GV/ha auf eine Größenordnung von 1,4 GV/ha zu reduzieren. Zu erreichen sei das unter anderem durch vermehrte Kooperationen zwischen benachbarten spezialisierten Betrieben hin zu „virtuellen Gemischtbetrieben“, die Veredlung von Gülle und Gärresten zu transportwürdigen Düngern sowie die Substitution von Silomais in Selbstfolgen durch zwei- bis dreijähriges Kleegras.

„Wenn wir wissen, dass die Milcherzeugung deutlich stärker flächengebunden ablaufen muss und dass wir die Moore für die Milcherzeugung in den nächsten 20 Jahren weitgehend verlieren werden, dann sollten neben ordnungsrechtlichen Vorgaben und Konsumlenkung Förderinstrumente aufgelegt werden, die dem Grünlandsektor zugutekommen. Ein zentrales Instrument stellt die Etablierung eines Labels „Grünlandmilch“ als gemeinsame Anstrengung der Milcherzeugerverbände und des Handels dar. Begleitet werden sollte dies durch eine Lenkung der Agri-Photovoltaik vornehmlich in die Milcherzeugungsregionen und die Förderung von mehrjährigen Kleegrassystem auf dem Acker“, skizziert Taube den einzuschlagenden Transformationspfad im AgE-Interview.

 

15.03.2023
Von: FebL

Ein Umsteuern in der Milcherzeugung fordert der Direktor des Instituts für Pflanzenbau und Pflanzenzüchtung an der Universität Kiel, Prof. Friedhelm Taube. Foto: Jürgen Haacks, Uni Kiel