Marktbeobachtungen von Hugo Gödde +++ Es ist noch nicht lange her, da galt der Veggie-Markt als riesiger Wachstumsmarkt und die Fleischalternativen als eine Rettung des schwächelnden und schrumpfenden Fleischmarktes. Wer sich nicht in dem Boom engagierte, galt als innovationsfeindlich und verpasse den Zug der Zeit. „Die Veränderung kommt. Wir entscheiden uns nur noch, ob mit uns oder ohne uns,“ verkündete der Fleischersatz-Guru und Ex-Pionier beim Marktführer „Rügenwalder Mühle“ Godo Röben noch vor einem Jahr auf dem „Fleischkongress“(!). Inzwischen ist es ruhiger geworden um den Hype. Zwar konsolidiert sich der Markt und geht in viele Richtungen, aber die Wachstumsprognosen sind gedämpft und die Risiken wachsen.
Unilever steigt aus
Die Nachrichten trüben sich ein, obwohl der Markt für Fleischersatzprodukte langsam weiterwächst. Aber es wächst auch die Unruhe, dass sich die hohen Investitionen nicht rechnen. Vor wenigen Jahren wurden Start-ups nicht selten mit Kapital zugeschüttet. Jeder, der in der Fleischbranche was auf sich hielt, musste einsteigen, um nicht den Eilzug zu verpassen. Inzwischen, analysiert die „Lebensmittelzeitung“, bedeutet das Geschäft „viel Arbeit in einer Kategorie, die sich Zeit lässt, um groß zu werden.“ Der sich in einer heftigen Umstrukturierung befindende Lebensmittelkonzern Unilever kann oder will sich diese Zeit nicht nehmen und „steckt seine Ressourcen lieber in Kategorien mit sicheren Wachstumsperspektiven.“ Er verkauft seine Marke „The Vegetarian Butcher“ an den niederländischen Konkurrenten „Vivera“. Offensichtlich war die Erwartungshaltung an den Markt zu hoch - vor allem wenn man kurzfristige Erfolge verlangt.
Deutscher Markt weit vorn
Dabei ist der deutsche Markt noch am ergiebigsten. Hier wächst er zwar nicht mehr in Sprüngen, aber immerhin noch in Schritten. In 2024 stieg die Nachfrage nach Fleischalternativen laut Marktforschern um ca. 4%, aber bei sinkenden Preisen. Im Schnitt ist der vegane Warenkorb zwar noch teurer als der tierische, doch die Differenz sinkt, so die Berechnungen von ProVeg. Lidl ist der einzige Händler, bei dem der pflanzliche Einkauf günstiger ist. Gerade die Discounter puschen ihre Pflanzenprotein-Strategien, aber die Produkte müssen auf gleicher Preishöhe mit den tierischen Produkten (Fleisch, Milch) sein. Diese faktische Preissenkung trifft viele Hersteller hart und hat nicht wenige in Schwierigkeiten gebracht.
Marktführer „Rügenwalder Mühle“ ist verkauft
Der Markt für Fleischalternativen steht für geschätzt 800 Mio. € im Jahr, wobei die Zahlen schwanken. Marktführer ist die „Rügenwalder Mühle“ mit einem Umsatzmarktanteil von rund 36% in 2024. Andere geben deren Gesamtumsatz mit 300 Mio.€ an, davon 60% fleischlos. Nachdem für das Jahr 2022 trotz Umsatzplus ein Erlöseinbruch von 90% ausgewiesen wurde, musste gehandelt werden. Wachsende Kosten, die nicht an den Handel weitergegeben werden konnten, mangelnde Rohstoffverfügbarkeit, teilweise Marktsättigung und schwache Marktkapitalisierung „zwangen“ dazu, bei einem starken Partner unterzuschlüpfen. Der Lebensmittelkonzern Pfeiffer & Langen (u.a. Zucker) hat 85% Anteile an der „Mühle“ erworben und in seine Marken eingegliedert. Um internationaler werden zu können, sei man diesen Weg gegangen, argumentiert das Unternehmen. Marktexperten sprachen eher von einer Notoperation.
Lifekindly – ein Kunstunternehmen
Like Meat, die selbsternannte Nr. 2 auf dem Markt, ist inzwischen von Lifekindly, einem Plattformkonzern für pflanzliches Fleisch übernommen worden. Für diese Plattform hatten Ex-Manager (Unilever, Ferrero, Blue Horizon) 200 Mio. US Dollar „Startkapital“ eingesammelt. Ihr Chef Grunefeld gibt den Marktanteil für 2024 mit 7,6% an. Aber im Geschäftsbericht 2023 weist Livekindly Germany nur rund 34 Mio. Euro Umsatz und einen Fehlbetrag von 4 Mio. Euro aus. 2022 hatte der Verlust 11 Mio. Euro betragen. Das zeigt, dass inzwischen nicht mehr innovative Start-ups den veganen Ton angeben, sondern etablierte Handels- und Industriekonzerne von Nestlé, Wiesenhof, Tönnies bis zu branchenübergreifenden kapitalkräftigen Einsteigern.
Dabei werden ständig Produktfelder geändert und die Ausweitung in neue Länder angekündigt (Österreich, Dänemark, Baltikum, Großbritannien usw.), aber nicht immer vollzogen. Einlistungen lösen sich mit Auslistungen ab, viele Produkte überstehen die Testphase nicht. Die Versprechungen für Geschmack, Gesundheit oder Nachhaltigkeit werden immer wieder überarbeitet. Sie haben noch keine seriöse Marktbasis gefunden, heißt es unter Insidern. Man suche noch nach neuen Verfahrenstechniken wie Fermentation oder neuen Rohstoffen wie Pilzproteine, um den Geschmacks- bzw. Konsistenzrückstand gegenüber Fleisch aufzuholen, aber auch um die lange Liste der Zusatzstoffe (E-Nummern) zu reduzieren, die beim Konsumenten nicht gut ankomme.
Fleischersatz schwächelt überall
Dabei gilt der hiesige Markt als schwierig, aber auch attraktiv und ausbaufähig. Besonders in Großbritannien und den USA schwächeln die Fleischersatzmärkte. In Großbritannien hat Nestlé bereits vor zwei Jahren die Segel gestrichen und seine vegane Marke „Garden Gourmet“ aussortiert. Auch in den USA hängen die Trauben inzwischen hoch. Der börsennotierte Pionier und Weltspitzenreiter Beyond Meat, der noch nie schwarze Zahlen geschrieben hat, freut sich über einen geringeren Verlust, entlässt weltweit Mitarbeiter und stellt das China-Geschäft ein. Die Aktie von Beyond Meat ist um 98 % unter ihr Allzeithoch gefallen, allein im Dezember um 24,5%. Das Unternehmen rutscht immer weiter ab, weil sich die Welt von seinen Produkten abwendet, kommentieren Analysten von Motley Fool. Zwischen Selbstdarstellung und ökonomischer Realität befindet sich eine klaffende Lücke, die immer wieder schöngeredet wird. Präsident Ethan Brown, auch hierzulande bei Veranstaltungen gern gefragt, verkündete: „Wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, dass wir auf den Wachstumspfad zurückgekehrt sind und den Nettoumsatz im Jahresvergleich gesteigert haben und die Betriebskosten im Jahresvergleich gesenkt haben.“ Analysten von Motley Fool rechnen vor, dass Beyond Meat jedes Jahr 100 Mio. US Dollar verbrennt. An eine Trendwende sei nicht zu denken und ein Aktienkauf nicht zu empfehlen. Da war es hilfreich, dass man zu Beginn des Veggie-Hypes viel Börsenkapital einsammeln konnte.
Proteinstrategie rudert zurück
Auch mit der vielfach geforderten heimischen Proteinstrategie scheint es nicht so schnell voran zu gehen wie von Politik oder Wirtschaft gewünscht. So hat die Nordzucker AG ihr im letzten Herbst verkündetes 100 Mio. Euro Bauinvest einer Erbsenprotein-Fabrik in der Region Hannover vorerst auf Eis gelegt. Grund für die Kehrtwende sei die aktuelle Wirtschaftslage. Der Markt für pflanzliche Eiweiße wachse geringer als erwartet und Pflanzenproteine aus dem Ausland seien deutlich günstiger. Man befürchte, mit der Investition nicht genügend Geld zu verdienen.
Auch die holländische Genossenschaft Agrifirm beendet ihre Projekte für Eiweißpflanzen. Es gebe zu wenig Nachfrage. Noch vor zwei Jahren war man optimistisch in das Segment Soja und Ackerbohnen gestartet und Kooperationen eingegangen mit FrieslandCampina (FC) und Schouten Europe, einem Hersteller von Fleischalternativen. Da das Interesse von FC an Milchersatz einbrach, wurde das „intensive Engagement“ für heimische Eiweißpflanzen vorerst eingestellt.
Der Marktbeobachter sieht den in manchen Konsumentenblasen weiterhin gehypten Boom für Fleischersatzprodukte oder Fleischalternativen in der Realität der Nische. Die Marktdynamik hat sich abgeschwächt, weil die Käuferzielgruppe klein bleibt und der Konkurrenzdruck steigt. Die Produktversprechen von höherer Gesundheit, besserem Geschmack oder Klimaverträglichkeit können angesichts von langen chemischen Zutatenlisten und Rohstoffzukäufen in Osteuropa oder gar Übersee oft nicht eingehalten werden. Der Wiederkaufwert beim Kunden ist niedrig. Bei Nachhaltigkeit bekommt „Veggie“ laut AMI von Verbrauchern einen schlechten Wert. Aktuell hat man den Eindruck, dass sich die Marken gegenseitig kannibalisieren. Dabei werden sich einzelne behaupten oder etablieren, andere werden übernommen oder scheiden aus – wie immer. Der Fortschritt ist mal wieder eine Schnecke.