Eine Vertragspflicht vor Lieferung mit unter anderem festen Preisen für die gesamte Milchmenge ist eine Maßnahme, um die Verhandlungsmacht der Milcherzeuger:innen zu verbessern. Dadurch würden auch Erzeugerorganisationen gestärkt. Das war eine Erkenntnis auf der gemeinsam von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) und der Katholischen Landvolkshochschule Hardehausen bei Warburg/Kreis Höxter veranstalteten Milchtagung zum Thema "Tierwohl- und Klimaleistungen honorieren - Strategien für kostendeckende Erzeugerpreise umsetzen". Vor Ort und Online diskutierten über 100 Teilnehmer:innen aus Praxis, Wissenschaft, Politik, Milcherzeugergemeinschaften und Verwaltung über die Herausforderungen und Zukunft der Milcherzeugung.
Silvia Bender, Staatssekretärin im Bundeslandwirtschaftsministeriums, sagte, dass der Artikel 148 GMO angewendet werden solle, das bedeute, dass Verträge mit etwa Preisen und Mengen vor Lieferung verpflichtend würden. Genossenschaften sollten nur dann ausgenommen werden, wenn sie diese Vorgaben schon erfüllten, so Bender. Allerdings sei noch in der Diskussion, für welchen Milchanteil das gelten solle. Auch wolle ihr Ministerium den Tierwohlcent auf den Weg bringen. Sie sei sowohl für eine Verbrauchssteuer als auch eine Mehrwertsteuererhöhung offen.
Elmar Hannen, Milchbauer und Vorstandsmitglied im European Milk Board (EMB), beschrieb, wie seit Jahren die agrarindustrielle Vertretung immer wieder verhindert habe, dass der Artikel 148 auch angewendet werde. In jedem anderen Wirtschaftsbereich sei es üblich, dass erst über Menge und Preis verhandelt und dann geliefert würde. Es sei notwendig, dass die Molkereien gegenüber dem Lebensmitteleinzelhandel künftig nicht nur die Bezahlung ihrer Molkereikosten aushandle, sondern auch die Produktionskosten der Milcherzeuger. Da seien mehrere Rahmenbedingungen möglich und notwendig. Frankreich und Spanien seien Vorreiter bzgl. marktpolitischen Maßnahmen. Allerdings sei in beiden Ländern derselbe Fehler gemacht worden, die Genossenschaften nicht einzubeziehen, so der Milchbauer.
Die Mehrkosten für Qualitäten wie Tierwohl und Klimaschutz stellte Karin Jürgens, Büro für Agrarsoziologie und Landwirtschaft (BAL), vor. Bei den Milcherzeugern sei eine Bereitschaft für mehr Tierwohl da, so Jürgens, wenn Mehraufwendungen und Investitionen vergütet und die Betriebe an der Wertschöpfung teilhaben würden. Die bisherigen Preisaufschläge für Tierwohlmilch seien zu niedrig und die hohen Zusatzkosten verhinderten die Teilnahme an den Tierwohlprogrammen. Weidemilch koste den Betrieben im Durchschnitt zwischen 5,5 und 7,3 Cent mehr je kg Milch.
Anne Bieber, Departement Nutztierwissenschaften im Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FIBL), berichtete über die Nutzungsdauer von Milchkühen. Schlechte Fruchtbarkeit und Eutergesundheit seien die Hauptgründe für frühe Abgangsraten. Die Wissenschaftlerin verwies darauf, dass der Milchanstieg von langlebigen Kühen im Mittel langsamer sei. Sie warb für „Geduld“, da insbesondere diese „Langstreckenläuferinnen“ in der ersten Laktation weniger Milch geben würden. Bieber sagte zu betrieblichen Einflussfaktoren, „guter Tierkomfort zahlt sich aus.“
Phillip Brändle, AbL-Referent für Agrarpolitik, erläuterte, dass neben einer Marktpolitik auch die Förderpolitik von essentieller Bedeutung sei. Grünlandbetrieben mit Milchkühen seien bei der Einführung von Ökoregelungen benachteiligt worden und hätten im Durchschnitt 30 Prozent an Prämien verloren. Die Förderlücke für Weidebetriebe sei bereits 2021 bei einer Verbändeanhörung festgestellt worden. Seither würde die notwendige Nachbesserung im politischen Diskurs auf Bundes- und Länderebene zerrieben. Jedes Jahr könnten Ökoregelungen nachgebessert und eine Weideprämie eingesetzt werden. Der nächstmögliche Termin sei 2026. Dafür werde sich die AbL stark machen, sagte Brändle.
Antonius Tillman, Bezirksvorsitzender des Bauernverbandes Ostwestfalen-Lippe, beschrieb in seinem Vortrag „Warum wir nicht mehr an die Molkerei mit den niedrigsten Milchpreisen liefern“, wie er nach der Kündigung bei der DMK seine Milch vermarktet. Er liefert die Milch jetzt an die Upländer Bauermolkerei. Dort schätze er die Transparenz und Augenhöhe bei Entscheidungen, wie etwa bei dem Neubau. Dieser koste etwa 2 Cent je kg Milch, sei aber zum richtigen Zeitpunkt erfolgt und zukunftsweisend.
Katrin Seeger, Geschäftsführerin der EZG für Milchproduzenten Sachsen-Anhalt, skizzierte eindrücklich wie Erzeugergemeinschaften für Milchbetriebe funktionierten und was für Möglichkeiten sie bieten. Sie würde in Erzeugergemeinschaften von einer festen Preisbindung für die gesamte Milchmenge abraten, weil die Märkte unvorhersehbar seien. Gregor Holland von MEG-Milch Board sagte, Erzeugergemeinschaften würden und könnten jetzt schon agieren. Aber ihre Verhandlungsposition würde mit einer Vertragspflicht vor Lieferung, wie beim 148er vorgesehen, noch gestärkt. Deshalb plädiere er dafür, dass der 148er für 100 Prozent der Milch gelten müsse.