Die Milch macht's nicht alleine

Es wird immer komplexer auf dem Milchmarkt und das, so die Einschätzung von Elisabeth Waizenegger, Milchbäuerin aus dem Allgäu, mache es für viele Kollegen und Kolleginnen immer schwieriger noch durchzusteigen. „Es gibt eine große Verunsicherung auf vielen Betrieben.“ Zwar ist zumindest die Preissituation in Süddeutschland – wie fast immer, nur in der letztjährigen Hochpreisphase stand der Norden mal besser da – mit im Durchschnitt sieben Cent höheren Auszahlungspreisen gegenüber den norddeutschen Molkereien einigermaßen stabil. Sinkende Betriebskosten tragen dazu auch bei, zu dem sagt Waizenegger, die Signale aus ihrer Molkerei seien momentan verhalten positiv, von einer Trendwende möchte dort aber auch niemand sprechen. Im Norden klaffen die Preise von Molkerei zu Molkerei weit auseinander. Schlusslicht ist (wieder einmal) das DMK. Und obwohl die Ammerländer Molkerei in unmittelbarer Nachbarschaft deutlich bessere Konditionen hält, gibt es kaum mehr eine Wechselbewegung oder auch nur eine Organisationsbewegung unter den Bauern und Bäuerinnen. Die Milch tausche sich immer schlechter, so die Einschätzung in der Branche.

Komplexes System
Das hat eben auch mit dem immer komplexeren System zu tun, was der Lebensmitteleinzelhandel durch die Einführung der Haltungskennzeichnung vor Jahren angestoßen hat und was in der Aufnahme der Rinderhaltung in die Tierhaltungskennzeichnung des Bundeslandwirtschaftsministeriums entweder eine Fortführung, eine Überholung oder was auch immer finden wird. Die Milch für die einzelnen Stufen muss ja separat erfasst und in separate Kanäle gelenkt werden und erst jetzt, wo der Handel in nennenswertem Umfang beginnt, die unterschiedlichen Labelstufen auch mit Produkten zu hinterlegen, nimmt das auch entsprechenden Einfluss auf Molkereien und Betriebe. „Die zweitägige Abholung wird jetzt Standard und die Molkerei muss viel Milch hin und her schippern, weil die unterschiedlichen Qualitäten jeweils in einer der zwei Betriebsstätten bzw. nur an bestimmten Tagen verarbeitet werden“, berichtet Waizenegger von der Situation bei ihr vor Ort. „Die Molkerei betont jedoch, dass sie die Möglichkeit hat, Milch in alle Kanäle fließen zu lassen – in die besonderen Programme von Stufe drei oder Stufe vier, aber auch in die Verarbeitungsindustrie, was bedeutet, dass weiterhin alle Haltungsstufen erfasst werden.“ Im Süden kommt hinzu, dass die Anbindehaltung nach wie vor eine nennenswerte Rolle spielt und diese in ihrer ganzjährigen Form mit einer Gesetzesinitiative des Bundes vor der Abschaffung steht. In den zum Teil hitzigen Debatten zwischen Bauern, Tierschützern und Politik geht oft unter, dass es um ganzjährige Anbindung geht. Gleichwohl kämpfen auch alle Betriebe, die anbinden, um ihre Daseinsberechtigung – nicht nur gesellschaftlich, sondern auch wenn es um die Vermarktung ihrer Milch geht. „Zumindest bei uns soll es keine Abschläge beim Milchgeld geben“, so Waizenegger, allerdings kommen auch Betriebe, die zwar im Winter anbinden, aber einen Laufhof haben und im Sommer Vollweide anbieten, kaum mehr in Programme oberhalb der Stufe zwei. Sollte sich allerdings im Bundesministerium eine eigene Biostufe durchsetzen, würden tatsächlich Bio-Anbindebetriebe – die es mit Ausnahmegenehmigungen nach wie vor gibt – besser gestellt als konventionelle Laufstall-plus-Weide-Betriebe. Aus Sicht der maßgeblich auf Bio setzenden Tierschützer müsste das ein gewisser Argumentationsbruch sein.

Politisches Signal
Elisabeth Waizenegger sieht schon auch die komplizierten Gefühls- und Gemengelagen der Milchbauern und -bäuerinnen, gleichzeitig stört sie das „ewige Gejammer“. Wichtiger ist ihr, deutlich zu machen, dass es eben nicht allein damit getan ist, Investitionsprogramme aufzulegen und zwar passend für unterschiedliche Betriebsgrößen und unterschiedliche Investitionsvolumen sowie (Um-)Baulösungen aufzuzeigen, so grundlegend und notwendig das auf jeden Fall ist. Wenn aber durch Auflagen in den Markt eingegriffen werde, dann müsse finanziell flankiert werden, so Waizenegger. „Mir fehlt das politische Signal: wir brauchen die Höfe“, sagt sie. „Wenn immer mehr gerade kleinere Betriebe rausfallen, werden die Strukturen größer, was z. B. dazu führt, dass Weidehaltung nicht gestärkt wird, sondern zurückgeht, weil Größenwachstum ab einem bestimmten Punkt Weidegang erschwert oder unmöglich macht.“ Gleichzeitig sieht sie auch, dass die Resignation auf vielen Betrieben die Gefahr einer Hinwendung zu extremen Positionen birgt. „Auch dagegen helfen vielfältige, wirtschaftlich tragfähige Perspektiven.“ Das müsse ja auch gar nicht bedeuten, dass jeder Betrieb weiter melke, aus ihrer Sicht könnten noch viel mehr Betriebe Teil der Lösung für die Kälberfrage in der Milchviehhaltung werden. Noch immer gehen die Kälber, die nicht als Nachzucht auf den Höfen bleiben, oft ja – weil eher aus Milchrassen und damit nicht besonders gut für die Mast geeignet – auf lange Transporte in eher nicht so besonders artgerechte Haltungen. Aber wie schon bei den Bruderhähnen wird auch die Debatte um die Bruderkälber früher oder später an Fahrt aufnehmen. „Weidemäster brauchen aber mehr Geld“, so Waizenegger und angepasste Förderprogramme.

Erneuerbare Energien
„Noch sind uns Milchviehhaltern ja die meisten Menschen freundlich gesonnen, dazu tragen oft auch die Tiere auf der Weide bei“, sagt auch Kirsten Wosnitza, die in Nordfriesland Kühe hält. Aber zur Milchkuh gehöre eben auch das männliche Kalb, und die Haltung von Kälbern und Mastbullen komme immer mehr in die Kritik des Tierschutzes. Auch sie sagt, dass mit dem Größenwachstum der Betriebe in der Regel der Weidegang abnehme. Weidegang bedeutet aus ihrer Sicht aber auch, „dass auch die Weidekuh das Recht auf einen ordentlichen Stallplatz im Winter hat“. Das sei allerdings teuer und mache daher einen nicht unerheblichen Kostenfaktor auch bei Weidehaltungen aus. Ihre Wahrnehmung ist zum Teil ein frustriertes Zurücklehnen der Bauern und Bäuerinnen angesichts der vielen Herausforderungen, Anforderungen und dem unzureichenden finanziellen Ausgleich. In manchen Regionen, so Wosnitza, hätten die erneuerbaren Energien einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Entwicklung der Betriebe. Das Einkommen über das EEG erleichtere einigen den Ausstieg aus der Milchviehhaltung. Andere investierten mit Wind und Solar in Gebäude oder Maschinen und machten weiter, obwohl der Milchpreis ihre Kosten nicht decke.
Strukturwandel, Tierzahlreduktion, Lebensmittel aus dem Ausland – so geht es dann weiter. Politische und finanzielle Unterstützung für Milchviehbetriebe mit Weidehaltung wäre eben auch eine Ökoregelung im Rahmen der nationalen GAP-Ausgestaltung, die die AbL schon seit längerem einfordert. Sie wäre auch ein Signal in den ländlichen Raum, gegen Resignation und für mehr Wahrnehmung.