Weidehaltung muss sicher und möglich bleiben

Die Rückkehr des Wolfs nach Deutschland ist nicht allein auf aktiven Artenschutz zurückzuführen. Wesentliche Voraussetzung für die Zuwanderung war der Abbau der Grenzanlagen zu Polen nach 1991. Der hohe Schutzstatus des Wolfes nach FFH-Richtlinie Art. 12 Abs. 1 mit den Anhängen II und IV garantierte sowohl seine schnelle räumliche Ausbreitung vor allem in Ost- und Norddeutschland als auch die rasante exponentiell gestiegene Populationsdichte (Niedersachsen: 2011 ein Wolfsrudel, im Oktober 2021 39 Wolfsrudel, ein Wolfspaar und drei residente Einzelwölfe). Im Gegensatz zu den juristisch-administrativen Regelungen (immer bezogen auf politische Grenzen) gilt der Wolf in der Populationsökologie (bezogen auf das natürliche Verbreitungsgebiet, z. B. mitteleuropäisch-baltische Population mit mehr als 8.000 Individuen) nicht als gefährdet. Er besitzt einen günstigen Erhaltungszustand auf Grund der wachsenden Population, des Zustands der Lebensräume (u. a. ausreichend Nahrung) und der günstigen Zukunftsaussichten. Nach Abschätzungen des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) liegt die potenzielle Anzahl an Wolfsterritorien in Deutschland zwischen 700 und 1.400. Neben der angenommenen positiven Wirkung auf die Regulation seiner frei lebenden Beutetiere ergeben sich wegen der hohen Lernfähigkeit des Wolfs erhebliche Konflikte bei allen Formen der Weidetierhaltung. Eine besondere Bedeutung kommt dabei der Gefährdung der kleinen Bestände von Schafen und Ziegen zu, da bei Aufgabe der Haltung erhebliche Verluste an Biodiversität zu befürchten sind (häufig werden hier ökologisch sehr wertvolle, aber marginale Standorte genutzt). Darüber hinaus gibt es Risiken z. B. bei der Übertragbarkeit von Krankheiten innerhalb der taxonomischen Familie der Hunde wie Tollwut und Staupe oder der Entstehung von Hybriden mit veränderten Verhaltensmustern. Ein weiteres Risiko stellen die häufiger werdenden Mensch-Wolf-Begegnungen dar. Weide und Biodiversität Mit dem Auftreten des Wolfs muss sich die Strategie der Weidetierhaltung von den Zielen einer tierwohlgerechten Haltungsform, des Weidemanagements und der Ausbruchsicherung zusätzlich auf den Schutz von außen erweitern. Die bisherigen Anstrengungen zur Prävention und zum Schadensausgleich werden in Zukunft nicht ausreichen. Eine Kostenabschätzung für die als Weiden genutzten Flächen im gesamten Land Bayern (unter Abzug nicht zäunbarer Almen) ergab eine geschätzte wolfssichere Zaunlänge von ca. 57.000 km mit einem Investitionsvolumen von etwa 330 Mio. Euro. Jährliche Folgekosten können sich auf etwa 35 Mio. Euro belaufen. Die Neuanschaffung von Herdenschutzhunden (HSH) für Berufsschäfereien mit z. B. 300 Mutterschafen in zwei Herden erfordert mindesten 30.000 Euro (5.000 Euro für zertifizierten HSH, 2.000 Euro Kosten für Futter, Tierarzt, Witterungsschutz). Monetär nicht darstellbar sind die Belastungen der Tierhalter bei begrenzten zeitlichen Ressourcen, der psychischen Belastung durch die Sorge um die eigenen Tiere und die sowieso schon angespannte ökonomische Situation von Schäfereien und vielen Milchviehbetrieben mit Weidehaltung. Deutlich höhere Kosten sind auch für den Schadensausgleich zu erwarten, da die Anzahl der Risse trotz bisher schon steigender Ausgaben für den Herdenschutz zunehmen. Für Prävention und Schadensausgleich haben die Bundesländer im Jahr 2020 über 10 Mio. Euro ausgegeben. Zugleich dürfen gesellschaftspolitische Zielsetzungen auch unter Berücksichtigung des strengen Schutzes des Wolfs nicht aus dem Blick geraten. Die Weidetierhaltung als besonders tierwohlgerechte Form der Nutztierhaltung ist vor allem auch ein wichtiger Baustein für eine klimagerechtere Landwirtschaft. Der Stellenwert von Lebensräumen anderer Arten und für die Biodiversität im Allgemeinen darf nicht vernachlässigt werden. Konkret werden Die Rufe nach einer konsequenteren Politik zum Schutz von Weidetieren werden lauter. Quer durch die Republik demonstrierten diesen Sommer und Herbst an einzelnen Orten hunderte Menschen dafür, dass Weidehaltung weiterhin sicher möglich sein muss. Verbesserte gesetzliche Regelungen von Bund und Ländern müssen zügig eingeleitet werden. Dabei sollten die folgenden Forderungen aufgegriffen werden: • die Übernahme aller Kosten durch Bund und Länder, die Weidetierhaltern durch die Rückkehr des Wolfes entstehen, kombiniert mit einer nachhaltigen ökonomischen Verbesserung der Weidetierhaltung insgesamt,
• ein praktikables, einheitliches Wolfsmanagement durch Regulierung der Wolfspopulation, vor allem unter Berücksichtigung der Anzahl der Risse,
• eine bessere Forschungs- und Aufklärungsarbeit sowie Beratungs- und Bildungsangebote sowohl für Weidetierhalter zu geeigneten Maßnahmen der Wolfsabwehr als auch für Ämter und Naturschützer, um diese für die Probleme der Weidetierhalter zu sensibilisieren, • ein von Bundeslandwirtschafts- und Bundesumweltministerium einberufenes Verbändegespräch, um alle beteiligten Interessengruppen an einen Tisch zu holen (Ähnliches parallel dazu auf Länderebene),
• neue Einordnung von Wolfspopulationen in Bezug auf ihren zahlenmäßigen Umfang und ihre räumliche Ausbreitung nach populationsökologischen Kriterien, • realistische Einschätzung des Erhaltungszustands mit jährlicher Neubewertung auf wissenschaftlicher Basis, • auf dieser Basis eine veränderte Einordnung des Wolfs von Anhang IV nach Anhang V in der FFH-Richtlinie zur Absenkung des Schutzniveaus (Bund gegenüber der Europäischen Kommission), Statusänderung von Anhang IV „streng geschützt“ zu Anhang V „bedingt geschützt“, mit der Möglichkeit des Verwaltungshandelns. Mit seiner ausgezeichneten Lernfähigkeit und dem hohen Schutzstatus wird der Wolf sicherlich nicht mehr aus unserer Landschaft verschwinden. Es braucht deshalb so schnell wie möglich politische Entscheidungen, die allen Weidetierhaltern Sicherheit geben. Ein unbürokratischer, alle Kosten deckender Herdenschutz kann dabei nur ein Teil der Lösung sein. Dazu gehören auch klare Vorgaben für die Regulation der Wolfspopulation und eine deutlich verbesserte Unterstützung der Grünlandnutzung durch Weidetiere.
14.12.2021
Von: Christian Schüler, Vorstandsmitglied der AbL Niedersachsen/Bremen e. V.

Ist der Wolf in der Gegend sind sie bedroht