Steigende Preise, hohe Kosten und Absatzrückgänge – Agrarmärkte im Zeichen der Krisen

Wohin man in diesen Tagen auf den Agrarmärkten auch schaut. Überall herrscht Unverständnis, Unmut und Nervosität. Die gesamte Wertschöpfungskette vom Hof bis zum Teller staunt über die Preis- und Kostenentwicklung, über die Marktkapriolen und die Kostenexplosionen, diskutiert die heimische und weltweite Versorgungslage und den Zusammenhang zwischen Agrarpreissteigerungen, der Inflationsrate und dem Kaufverhalten der Konsumenten.

Der Verbrauch bricht ein

Im Lebensmitteleinzelhandel (LEH) drehen sich die Umsatzvorzeichen. War der LEH in den zwei Coronajahren der Gewinner, landeten jetzt von Januar bis März 5,6% weniger in deren Kassen als im Vorjahr. Der Discount ist mit minus 4% der Gewinner, weil er weniger stark verlor als die Supermärkte (minus 10%). Der Wegfall der Corona-Einschränkungen in Kantinen, Cafés und Gastronomie führte zu Absatzschwund im LEH. Die im März im Handel verkaufte Menge sank im Vorjahresvergleich knapp zweistellig. Im ersten Quartal waren es laut den Konsumanalysen der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) rund 8 Prozent. Besonders getroffen hat es den Fleisch- und Wurstabsatz mit 14,9%, Obst und Gemüse sowie Käse mit über 10% Mengeneinbruch im März.

Dabei kommt es auf den Vergleich an. Es darf nicht vergessen werden, dass der LEH von zwei Boomjahren kommt, die nicht als normal gewertet werden dürfen. Im Vergleich zu 2019 sind die Zahlen noch edel.

Trotzdem: Die Verbraucher schränken sich ein. Das Konsumklima erreicht im April ein historisches Tief, schreibt die GfK in ihrer aktuellen Konsumklima-Prognose. „Sowohl die Konjunktur- und Einkommenserwartungen als auch die Anschaffungsneigung haben sich zum zweiten Mal in Folge spürbar verschlechtert. Und für den Mai sieht die Konsumvoraussage noch betrüblicher aus. Ursächlich ist der hohe Preisdruck, der mittlerweile bei den Verbrauchern in den Einkaufswagen angekommen ist.“

Das Statistische Bundesamt nennt für März um 6,2% steigende Preise für Nahrungsmittel gegenüber dem Vorjahresmonat. Dazu kommen die Erhöhungen für Strom, Heizung und Benzin. Geht man von den „gezahlten Preise“ im Einkaufsshop aus, hat die GfK nur ein Preisplus von 3,3% ermittelt. Der Grund ist der verstärkte Griff zu Aktionsangeboten und günstigen Einstiegsmarken, mit dem der Kunde/die Kundin den Einkaufsbon senkt.

Diese Änderung im Kaufverhalten trifft den Naturkosthandel ebenso, ja noch stärker. Laut Biomarktforscher Braun haben die Bio-Einzelhändler im ersten Quartal knapp 14% eingebüßt – mit der Spitze von 18,4% im März. 

Der LEH will Inflationsbremse sein und beim Kunden seinen guten/billigen Ruf verteidigen. Die Auseinandersetzungen um höhere Preise gegenüber den Herstellern haben sich erheblich verschärft.

Landwirtschaft: Verluste trotz teilweiser Rekordpreise

Am anderen Ende der Wertschöpfungskette kämpfen die Erzeuger mit den explosionsartig gestiegenen Kosten für Futter, Energie, Dünger usw.

Während die Getreideproduktion sich trotz steigender Betriebsmittelpreise wegen der sich verdoppelnden Erzeugerpreise weiterhin rentiert, sind die rasant kletternden Futterpreise für die Tierhalter ein großes Problem.

Für die einzelnen Bereiche stellt sich die Situation unterschiedlich dar. Die Schweineerzeuger sind von den gestiegenen Futterpreisen besonders gebeutelt. Der Anstieg der Schweinepreise im Februar/März um 70 € pro Schwein ist durch die um 35 € höheren Ferkelpreise und die um 40 bis 50 € höheren Futterpreise zur Makulatur geworden. Einkommensmäßig liegt man noch oder wieder auf dem ruinösen Niveau des letzten Winters.

Die Rinderhalter können sich über die historisch hohen Erzeugerpreise freuen (5,50 €/kg für einen mittleren Bullen und über 5 €/kg für eine gute Kuh sind erstaunlich), auch wenn die Betriebsmittel einen großen Teil der Marge im wahrsten Sinne auffressen. Das Rinderpreisniveau ist auch von Marktexperten nur mit Mühe zu erklären.

Die Milchviehhalter sind selbst über die seit fast einem Jahr Monat für Monat steigenden Preise verblüfft. 40 ct/kg galt jahrelang als nicht überwindbare Mauer. Nun überspringt sie der Milchpreis mit Leichtigkeit und ist im März bei durchschnittlich 44,8 ct/kg gelandet – Tendenz steigend, selbst die 50 Cent- Marke ist von den ersten Molkereien in den Blick genommen. Hier ist es aber vor allem der Weltmarkt und nicht der heimische Absatz, der die Preise treibt.

Hoher Preis trifft auf Kaufzurückhaltung

Allmählich hatten sich in den letzten Monaten die Erzeugungskosten auf den Erzeugerpreisen abgebildet, wenn auch mit Verzögerung und nur teilweise. Gegen den Widerstand des Handels waren die höheren Preise nach und nach in den Ladenregalen angekommen. Der neueste Kostenschub seit dem Ukraine- Krieg wird aber vom Verbrauch verweigert, sagt der Handel. Und dass die nächsten Wochen wegweisend für das laufende Jahr sind.

In der ungünstigen Sandwich-Position befinden sich zurzeit die Hersteller, besonders wenn sie sich hauptsächlich auf den heimischen Markt orientieren (müssen). Die Fleischindustrie verweist auf das schlechteste Ostergeschäft seit langem. Zugeständnisse sind in fast allen Teilstücken außer Hackfleisch zu machen, zumal billigeres Fleisch aus dem EU-Ausland (Dänemark, Niederlande) hineindränge. Die Notierungspreise der letzten Wochen dürften Anfang Mai kaum zu halten sein. Auch der Rindfleischpreis steht unter Druck.

Beispiel Molkerei Berchtesgadener Land

Auf dem Milchmarkt haben es besonders die Markt- und Markenmolkereien schwer. Exemplarisch kann die Berchtesgadener Molkerei genannt werden, die mit ihrer regionalen Marke und einem hochwertigen Sortiment seit Jahren einen Spitzenplatz im Ranking der Milchauszahlungspreise einnimmt. Aktuell hängt sie den Exportmolkereien hinterher, die im Unterschied zu den letzten Jahren die hohen Weltmarktpreise nutzen können. Nach Aussagen des Aufsichtsratsvorsitzenden Berger auf der Generalversammlung Ende April, berichtet top agrar, wird man zwar 2022 die Preise anheben, aber eine Spitzenposition verlieren. Das Unternehmen werde nicht alle Mehrkosten der Landwirtschaft und Molkerei an die Kundinnen und Kunden weitergeben können. So sollen geplante Investitionen zurückgestellt, das Marketingbudget gekürzt, die Personaldecke eingefroren und die Gewinnprognose auf null gefahren werden. Aber selbst damit sei ein oberer Rang nicht zu erwirtschaften. Ein zu hoher Preis würde die Molkerei nicht heil aus dieser Krise führen. Geschäftsführer Pointer erklärt den Spagat: “Die Molkerei braucht Landwirtinnen und Landwirte als Rohstofflieferanten, aber ebenso Kundinnen und Kunden für den Kauf unserer Markenprodukte.“ Nur wenn beide treu blieben, hätte die Molkerei eine Chance.

Eine schwere Aufgabe in einer turbulenten Zeit, selbst für eine jahrelang erfolgreiche Molkerei.

03.05.2022
Von: hg

Molkereien wie die Molkerei Berchtesgardener Land können ihre Mehrkosten nicht an den LEH weitergeben. Bildquelle: Molkerei Berchtesgardener Land