Aufregung im Milchmarkt über Preise im Aufwind und verpflichtende Verträge

Marktbeobachtungen von Hugo Gödde +++ In diesen turbulenten Zeiten kommen die Agrarmärkte nicht zur Ruhe. Der Schweinepreis ist doppelt so hoch wie vor zwei Jahren. Dagegen ist der Getreidepreis zugleich um die Hälfte abgestürzt. Der Milchpreis wiederum ist von Hosianna 2022 auf schlechtes Normalmaß 2023 zurückgestutzt. Die Einkommen der Milcherzeuger werden 2023/24 drastisch zusammengestrichen.

Wird die 5 vorn erreicht?

Dabei gehen die Prognosen weit auseinander. Der Milchpräsident des DBV schätzte den Preis zu Jahresbeginn bei gerade einmal 40 ct/kg ein. Aber schon im Januar legte der Durchschnittspreis bei etwa 43,5 Cent an – mit steigender Tendenz. Alle Molkereien sind inzwischen vorsichtig mit ihren Vorhersagen. Die aktuellen Auszahlungspreise für Februar weisen weniger Spreizungen auf als im Herbst. Der Süden liegt leicht über dem Schnitt, der Norden und Westen eher darunter. Der am Terminmarkt absicherbare Milchpreis zeigt in nächster Zeit nach oben. Ob der an der Börse für das zweite Halbjahr teilweise anvisierte Preis von knapp 50 ct/kg tatsächlich erreicht wird und sich im Erzeugerpreis widerspiegelt, ist möglich, aber nicht sicher. Die Milch-Erzeuger-Gemeinschaften (MeG’s) sollten sich aber schon mal damit beschäftigen, um nicht zu spät bei der Verteilung der Marge zu kommen.

Rabobank: 50 Cent in Sicht

Auch die Prognose der holländischen Rabobank, die eine viel beachtete Rolle in der Branche spielt, geht davon aus, dass die Milchbauern in Europa vorerst mit steigenden Milchpreisen rechnen können. Die leicht geringere Anlieferung, bedingt durch die nasse Witterung und den zuletzt schlechten Preis, wird als Grund herangezogen. Unter Berücksichtigung von Zuschlägen und höherer Fett-/Eiweißgehalten (viele Betriebe liegen über dem Basiswert von 4% Fett und 3,4% Eiweiß) rückt die 50-Cent-Marke wieder ins Blickfeld, so die Analysten. Vorläufig erwartet man 47,5 ct/kg in Europa. Da sich die deutschen Molkereien immer damit hervortun, dass sie über dem EU-Schnitt zahlen, stehen die Chancen nicht schlecht.

Die Impulse vom Weltmarkt sind vorwiegend positiv, wenn auch noch nicht stabil. Die globalen Bedingungen (weltweit geringere Mengen, bessere Preise, schwacher Euro) stützen den europäischen Milchexport. Der EU-Milchmarkt bleibt angespannt, bewertet die Rabobank, bietet aber durchaus Spielraum für höhere Preise, wenn nicht Mehrproduktion wieder alles in Frage stellt. Auch die sinkende Inflation ermöglicht wieder einen besseren Absatz.

Vertragspflicht zwischen Molkerei und Erzeuger?

Neben (wie immer) dem Milchpreis wird in der Branche aktuell heftigst über die Initiative der Bundesregierung zur Vertragspflicht zwischen Molkereien und Erzeugern gestritten. Mit einem 4-Punkte-Plan „Zukunftsfähige Milchviehhaltung stärken“ will das BMEL die wirtschaftliche Ausgangsbasis der Milcherzeuger am Markt stärken. Die nationale Anwendung des Artikel 148 der Gemeinsamen Marktordnung (GMO) zur Gestaltung der Lieferbeziehungen biete für den Sektor Milch und Milcherzeugnisse die Möglichkeit, eine Vertragspflicht mit bestimmten Bestandteilen wie Preise, Menge, Qualitäten und Laufzeit national festzulegen, heißt es in dem Papier. Die Milcherzeugerinnen und -erzeuger erfahren oft lange nach der Ablieferung, welchen Preis sie für ihre Milch erhalten. Die Gestaltung der Lieferbeziehungen ist laut BMEL daher ein Baustein, um die Kräfteverhältnisse in der Wertschöpfungskette zugunsten der Milcherzeuger besser auszubalancieren, die bisher ungleich verteilt seien. Genossenschaftliche Molkereien sind nur dann von der Vertragspflicht ausgenommen, wenn ihre Satzungen und Lieferordnungen Bestimmungen enthalten, die eine ähnliche Wirkung haben. Das BMEL will zudem auch über Marktmaßnahmen mehr Nachhaltigkeit und Klimaschutz in der Milcherzeugung fördern.

Seit 10 Jahren ermöglicht Brüssel den Mitgliedsstaaten, den Abschluss von Verträgen verbindlich vorzugeben. Bisher hat aber die Branchenlobby im Zusammenspiel mit den verschiedenen CDU/CSU-Ministerien eine Umsetzung verhindert. Als Voraussetzung für eine nationale Anwendung muss die Verordnung zur Stärkung der Organisationen und Lieferketten im Agrarbereich (AgrarOLKV) geändert werden. Die FDP soll sich schon – wie meist - dagegen in Stellung bringen, hört man in Berlin.

Konflikt verschärft sich

Vor allem um die Vertragspflicht ist verstärkt in den letzten Monaten ein Grundsatzstreit entstanden. Während BDM, AbL und die Bioverbände die Initiative begrüßen, um die schwache Marktstellung der Erzeuger zu verbessern, lehnen die Molkereien – allen voran die genossenschaftlichen, die etwa zwei Drittel Marktanteil besitzen – und der Bauernverband mit seinen Vertretern in den Vorständen und Aufsichtsräten der Milchwirtschaft einen solchen staatlichen Eingriff kategorisch ab. Das sei eigentumsfeindlich, greife in Genossenschaftsrecht ein und vor allem bringe es keinen Cent mehr Milchgeld auf die Höfe. Der Markt lasse sich nicht von der Politik überlisten und übergehen. Das brauche man nicht, sei bürokratisch (zurzeit die Argumentationskeule schlechthin), nütze den Erzeugern nichts, im Gegenteil verschlechtere es die Position im europäischen Milchwettbewerb.

„Die Umsetzung von Artikel 148 wäre endlich ein erster Schritt zu einer Verbesserung der Marktposition der Milcherzeuger“, argumentiert BDM-Vorsitzender Karsten Hansen. Aber er weiß auch, dass weitere Schritte folgen müssen. Die Milcherzeuger-Gemeinschaften (MeG) müssen aufgebaut bzw. gestärkt werden, Kenntnisse über den Markt ausgebaut und die Solidarität unter den Landwirten vertieft werden. Es scheint aktuell besonders im Norden und Westen ein verstärktes Interesse an MeG’s zu geben, eine Nord-MeG entfaltet sich. Die niedrigen Auszahlungspreise der DMK lassen erwarten, dass sich in nächster Zeit drei weitere MeG’s im Münsterland bilden.

Thünen-Studie: meinungsstark, aber völlig einseitig

„Eine Evaluierung der Lieferbeziehungen zwischen milcherzeugenden Betrieben und Molkereien“ hat das Thünen-Institut im letzten Herbst als Bericht für das BMEL vorgelegt (Thünen Working Paper 215), um dem Minister „mögliche Stellschrauben“ aufzuzeigen, „die dazu beitragen könnten, die Preisfindung stärker im Interesse der Milcherzeugenden zu gestalten.“ Neben einer Thünen-üblichen Marktübersicht mit vielen Zahlenkolonnen wurden Interviews für einen „ersten Überblick über die Lieferbeziehungen zwischen Milcherzeuger*innen und Molkereien“ geführt. Im Ergebnis kommen die Wissenschaftler - grob gesagt – zu der Erkenntnis, dass alles im Wesentlichen gut läuft und sich durch die verpflichtende Anwendung von Verträgen nach Art. 148 GMO kein Vorteil für die Erzeuger ergäbe. Dieses erst einmal überraschend scheinende Fazit verwundert einen außenstehenden Marktbeobachter nicht, weil die Wissenschaftler für die Lieferbeziehungen 8 (in Worten acht) Interviews getätigt haben, davon 7 (in Worten sieben) mit Molkereivertretern (5 genossenschaftliche und 2 private) und ein Interview mit einer MeG. Sozusagen von nur einer Seite die Sichtweise einspeisen zu lassen, hat wohl mit Gründlichkeit, Neutralität oder Ausgewogenheit wenig zu tun. Und das bei einem so sensiblen und seit Jahren kontroversen Thema und quasi als „wissenschaftliche“ Beratung des BMEL, ist schwer nachzuvollziehen. Auf die Frage, warum man nicht die Milcherzeuger einbezogen habe, schließlich gehe es doch um eine Verbesserung der Interessen der Erzeuger, heißt es schlicht, dass man dafür kein Geld und keine Zeit gehabt habe. Weitere Expertengespräche sollten aber folgen, um die Ergebnisse in den gesamten Milchsektor besser einordnen zu können.

Die Ergebnisse, die im Einzelnen durchaus diskussionswürdig sind, hinterlassen einen fahles „Geschmäckle“, wenn es heißt: „Trotz der ungleichen Machtverteilung zu Lasten der Milcherzeuger, scheint die Preisbildung am Milchmarkt nicht weniger effizient zu sein als bei vielen anderen Märkten. Die Volatilität der Milchpreise ergibt sich aus Entwicklungen in den globalen Wertschöpfungsketten und an den Finanzmärkten, gegen die sich die einzelnen Unternehmen der Wertschöpfungskette absichern könnten. Somit ergibt sich kein politischer Handlungsbedarf für das Eingreifen in die Preisbildung.“ (Hervorhebung H.G.)

Erstaunlich lapidar wird festgestellt, dass „die Erzeuger*innen von Milch unter Wettbewerbsdruck geraten, weil die Verarbeitungs- und

Einzelhandelsunternehmen mithilfe ihrer Marktmacht die Rohmilchpreise drücken, wird oft behauptet. Die Belege dafür sind aber schwach. Empirische Analysen bestätigen vor allem für die Preistransmission zwischen Molkereien und Einzelhandel eine gewisse Asymmetrie... Verarbeitungsunternehmen wie Molkereien in ihrer "Sandwichposition" reichen diesen Druck dann an die Erzeuger*innen weiter.“
Also wird der Druck doch von oben nach unten durchgereicht.

Den Marktbeobachter erstaunt zunächst einmal, dass ein Diskussions-Papier, das die Rechte und Bedingungen der Milchbauern im Marktwettbewerb stärken soll, von den genossenschaftlichen Molkereien (Eigentum der Bauern!) und den Bauernverbandsorganen geradezu feindlich bekämpft wird. Schließlich ist doch allgemein unstrittig (oder doch nicht?), dass die Gewichte von Erzeugung und Verarbeiterstufe gegenüber dem hochkonzentrierten Handel (LEH, Discount) nicht gleichwertig sind. Und niemand kann ernsthaft behaupten, dass die vielfältigen einzelnen Erzeuger die gleiche Macht am Markt haben wie große Milchkonzerne. Daher ist eine Stärkung der Marktmacht der Erzeuger längst überfällig. Keiner darf im Marktgefüge der Restgeldempfänger sein.

Es wird sich zeigen, ob eigentliche Selbstverständlichkeiten auch Normalität werden. Gute/einfache Beispiele aus anderen Agrarmärkten wie dem Schweinemarkt könnten Vorbilder sein.