„Eine funktionierende Genossenschaft handelt für Bauern“

Interview mit Lucia Heigl, Milchbäuerin in Bayern und stellvertretende Bundesvorsitzende der AbL zur BayWa-Krise

Unabhängige Bauernstimme: Euer Milchviehbetrieb liegt in Bayern. Seid ihr von der BayWa-Krise betroffen?

Lucia Heigl: Für uns ist die BayWa Teil unseres bäuerlichen Alltags. Wir kaufen unsere Schubkarren, die Gummistiefel sowie Düngemittel und Saatgut beim Landhandel in der Nachbarschaft, der zur BayWa gehört. Wir nutzen die Werkstatt für Reparaturen am Bulldog und an den Landmaschinen. Außerdem haben wir einen Servicevertrag mit der BayWa für die regelmäßige Wartung unseres Melkroboters. Aufgrund der kurzen Wege erhalten wir auch schnelle technische Unterstützung bei akuten Problemen. Die BayWa hält noch wichtige Strukturen im ländlichen Raum aufrecht, damit wir Bäuerinnen und Bauern unseren betrieblichen Bedarf in der Nähe decken können. Insofern können sich, je nachdem, wie sich die BayWa-Krise entwickelt, die Folgen auch auf unseren Bauernhof auswirken. Aber die Betroffenheit ist natürlich viel gravierender für die Betriebe, die ihre Ernte an die BayWa liefern und nicht wissen, ob sie tatsächlich im Falle einer Insolvenz ihr Geld bekommen oder ihre gelieferte Ware zurück. Oder wenn Bäuerinnen und Bauern Teile ihrer Altersvorsorge dort angelegt haben. Gleichwohl müssen wir natürlich auch erstmal abwarten, wie die aktuell geplante und erste Finanzspritze von einer halben Milliarde Euro wirken wird.

Wie bewerten Sie als Bäuerin die BayWa-Krise?

Ich bin, wie wohl die meisten Bäuerinnen und Bauern, von dieser Entwicklung total überrascht worden. Im letzten Jahr wurde 100 Jahre BayWa groß gefeiert. Da hat der stellvertretende bayrische Ministerpräsident Hubert Aiwanger gesagt, die BayWa komme in Bayern gleich nach der katholischen Kirche. Ich frage mich heute natürlich, ob zu dem Zeitpunkt Vorstand und Aufsichtsrat die anrollende Krise nicht hätten absehen müssen? Ich unterstütze, dass innovative Investitionen notwendig sind für die Weiterentwicklung eines Unternehmens. Aber dieses extreme Wachstum auf Pump kann ich nur schwer nachvollziehen. Sie sind offensichtlich stark ins Risiko gegangen. Ich frage mich: Hätte zu einem Zeitpunkt nicht auch die Überlegung stattfinden müssen, dass irgendwann die Zinsen wieder steigen könnten? Das fällt dem Management und dem Aufsichtsrat jetzt voll auf die Füße. Am Ende droht die Gefahr, dass Bäuerinnen und Bauern die Zeche für diese Fehlentscheidungen zahlen müssen in Form von Standortschließungen.

Ein Vertreter des Aufsichtsrats ist Bauernpräsident Joachim Rukwied. Kann man dem Aufsichtsrat anlasten, die negativen Vorzeichen nicht gesehen zu haben bzw. sind solche Prozesse überhaupt zu überblicken?

Ich finde es wichtig, dass auch ein Vertreter der Bauernschaft im Aufsichtsrat vertreten ist. Ich stelle mir das überhaupt nicht einfach vor. Und trotzdem muss ich mir doch die Frage stellen, was denn die Rolle des Aufsichtsrats sein soll? Ich habe mir die öffentlich zugänglichen Geschäftsberichte der Aufsichtsratssitzungen der letzten Jahre angeschaut. Demnach lagen dem Aufsichtsrat die Jahresabschlüsse ebenso vor wie die Unternehmensstrategie, nämlich gigantisch und global zu wachsen. Rukwied und seine Kollegen haben alles gewusst und abgenickt.

Was hätte der Aufsichtsrat denn tun sollen?

Die äußerst riskante Fremdkapitalentwicklung hätte aus meiner Sicht zu einer deutlich lauteren fragenden und warnenden Stimme aus dem Aufsichtsrat führen müssen. Aus meiner Sicht besteht die Rolle des Aufsichtsrats auch darin, besonders risikobehaftete Unternehmensstrategien mehr als kritisch zu hinterfragen. Für uns Bäuerinnen und Bauern hängt viel davon ab. Viele bangen jetzt um ihre Altersvorsorge, andere um ihr Geld, das noch bei der BayWa liegt etwa in Form von Guthaben. Auch die vielen Mitarbeiter der BayWa müssen jetzt um ihre Zukunft oder ihre Betriebsrenten fürchten. Die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz überlegt eine Klage, weil sie kritisiert, zu spät und falsch informiert worden zu sein. Der Wirtschaftswissenschaftler Werner Gleißner wirft in einem Interview von agrarheute sowohl Vorstand als auch Aufsichtsrat vor, ihre Sorgfaltspflicht verletzt zu haben.

Ist ein Konzern wie die BayWa denn überhaupt sinnvoll?

Die BayWa spielt vor allem für viele konventionelle Bauernhöfe eine große Rolle. Sie ist auch sinnvoll für die regionale Infrastruktur. Allerdings betrifft das in erster Linie das Kerngeschäft der Genossenschaft BayWa, weshalb sie ursprünglich gegründet wurde und bevor die BayWa zum größten deutschen Agrarkonzern mutierte. Eine gut funktionierende Genossenschaft handelt für Bäuerinnen und Bauern, bündelt Synergien beim Ein- und Verkauf – um die Bäuerinnen und Bauern zu stärken. Wenn aber dieses Kerngeschäft aus den Augen verloren wird, wenn zu stark global expandiert wird, dann steigt das Risiko, sich zu verzocken. Dann wird das gut gedachte Genossenschaftsprinzip unterwandert zu Lasten von uns Bäuerinnen und Bauern. Diese Krise der BayWa zeigt beispielhaft, wie wichtig und wertvoll die Stärkung regionaler Strukturen und Wertschöpfungsketten ist, statt schnelle Expansionsgewinne einzuheimsen. Es muss wieder vielmehr darum gehen, die Qualitäten und Stärken in der Region nach vorne zu stellen und gute Preise für die Ernte der Bäuerinnen und Bauern zu erzielen. Das stärkt die bäuerliche Klientel und die ländliche Wirtschaftsentwicklung. Weltmarkt ist nicht alles, kleiner kann auch sicherer bedeuten!

Vielen Dank für das Gespräch!