Marktbeobachtungen von Hugo Gödde +++ Solche Entwicklungen hat es auf dem Rindermarkt noch nie gegeben – selbst Experten sind fassungslos. Läuft der Rindermarkt heiß? Rinderpreise im Höhenrausch. Die Preistreiberei hilft niemandem. Die Kommentare in den landwirtschaftlichen Fachblättern überschlagen sich fast. Kein Bullenmäster hätte noch vor kurzer Zeit Preise von 7,00 €/kg für „normale“ Bullen im Sommer, wo eigentlich keine Zeit für Rindfleischkonsum ist, für möglich gehalten. Dass durchschnittliche Kühe (HF3) mit 6,50 €/kg gehandelt werden und für eine knochige schwarzbunte Kuh (P2 Klasse) 1.400 € gezahlt wird, ist selbst für eingefleischte Profis eigentlich undenkbar gewesen.
Überhitzung des Marktes?
Tatsächlich ist der Erzeugerpreis für Jungbullen und Kühe seit Weihnachten um 35 bis 40% gestiegen – für die Erzeuger natürlich eine erfreuliche Entwicklung. Aber schon stellen sich alle Marktbeteiligte die Frage nach der Überhitzung des Marktes durch die Rekordjagd. Hintergrund des Preisbooms sind die gesunkenen Tierbestände. Auch die Schlachtungen sind im den ersten Monaten 2025 um 6% (Kühe) bis 8% (Bullen) reduziert. Rindfleisch steht im Unterschied zu Schweinefleisch nicht so im Fokus der Kritik und liegt bisher in der Verbrauchergunst hinter Geflügel noch oben. Für die Vermarkter, ob in der Schlachtindustrie oder im Handel, bedeuten diese wöchentlichen Steigerungen erhebliche Probleme, die Erhöhungen an die Abnehmer weiterzugeben. Das trifft besonders die Geschäftsbeziehungen mit längerfristigen Verträgen. Wer z.B. Anfang des Jahres einen sechs Monate gültigen Abschluss getätigt hat, wie im Discount üblich, hat seither schlechte Karten. Denn „nachverhandelt wird nicht“, heißt es in Discountkreisen.
Schlachthöfe in der Sandwich-Position
Alle Marktkenner sind sich einig, dass Jungbullen und Schlachtkühe zumindest in den nächsten zwei Jahren knapp bleiben und sich alle Seiten auf eine labile Marktsituation mittelfristig einstellen müssen. Auch im europäischen Ausland ist das Angebot überschaubar, so dass der Import nur begrenzt Einfluss nehmen kann – wenn die hiesigen Preise nicht noch weiter steigen. Denn sie liegen schon über dem EU-Durchschnitt. So erwartet Marktexperte Hortmann-Scholten von der Kammer Niedersachsen besonders bei Hackfleisch, Burger oder Filets bis zum Jahresende weitere Teuerungen.
Bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern kommen die höheren Erzeugerpreise erst allmählich an. Lange Zeit wurde es an der Ladentheke kaum gemerkt. Die Schlachthöfe waren der Puffer, die die Aufschläge bezahlen mussten. Nur bei Hackfleisch, dem wichtigsten Artikel, stellte man einen leichten Preisanstieg fest. Trotzdem ging der Absatz von Edelteilen (Roastbeef, Steak, Filet), womit normalerweise „das Geld“ verdient wird, laut Westfleisch (saisonbedingt?) um 10 bis 15% zurück. Nun aber scheint der Einzelhandel zu reagieren. In großen Lettern verkündet aktuell die Bildzeitung: „Preis-Hammer im Supermarkt! 40 % beim Rind, 20 % beim Schwein“. In der Tat kostet Fleisch derzeit spürbar mehr, egal ob Rind, Schwein oder Geflügel. Wie sich diese Erhöhungen auf den Verbrauch auswirken, wird sich zeigen. Branchenkenner gehen davon aus, dass der Kalb- und Rindfleischkonsum in Deutschland tendenziell sinken wird.
Schlachtunternehmen im Riesendilemma
Den stärksten Druck haben bisher die Schlachter und die Fleischindustrie aushalten müssen. Höhere Preise und reduzierte Schlachtzahlen, d.h. geringere Auslastung, führen zu enormen Kostensteigerungen. Besonders die reinen Rinderschlachtbetriebe sind über die Entwicklung entsetzt und mittlerweile ratlos. Es gelingt ihnen nicht einmal – wie früher immer – mit Druck auf die Erzeuger die Preise abzuwürgen. In der Branche ist klar, dass verschiedene Rinderschlachtunternehmen den höheren Einkauf, die niedrigere Auslastung und den rückläufigen Verkauf nicht durchhalten werden. Diverse Banken werden schon tätig und mischen sich in die Geschäfte ihrer Kunden ein. Das gilt noch stärker für größere Schlachtbetriebe als für Mittelständler, die langjährige Kooperationen mit ihren Abnehmern pflegen. Wenn man hört, wie manche Verarbeiter sich lautstark loben, vermuten nicht wenige „ein Pfeifen im Walde“, um sich Mut zu machen. So hat sich z.B. Vion vor ein paar Tagen, nach der Kartellamtsabsage des Verkaufs an Tönnies, noch als stabiles, grundsolides Unternehmen dargestellt, um diese Woche in der Bilanz 2024 einen Verlust von 81 Mio. € auszuweisen (nach 89 Mio. im Vorjahr).
Nicht nur – aber auch - wegen Rindfleisch werden die Turbulenzen im Fleischmarkt weitergehen.
Goldene Zeiten für Bullenmäster?
Trotz des Preishochs sind die Bullenmäster nicht rundum zufrieden. Das Hauptproblem liegt im Einkauf sehr teurer Kälber. Denn in der gleichen Zeit haben sich die Kälberpreise außergewöhnlich erhöht. Der Zugewinn wird an die Kälberhalter weitergegeben. Kälber bis 800 € sind keine Seltenheit und Jungtiere (Fresser) von 1200 bis 1400 € schon der Standard. Die Wertschöpfung bleibt trotz Boom nicht im Mastbetrieb. Auch hier gilt: Aufzüchter, die längerfristige und preisfeste Verträge mit Abnehmern haben, schauen in die Röhre. Aber freiwillige Anpassungen an die sprunghaften Kälberpreise fehlen überall. Schließlich, so die Kälber- und Mutterkuhhalter, haben sie lange Zeit mit schlechten Preisen die Zeche gezahlt. „Jetzt sind wir auch mal dran“ rufen sie auch zurecht.
Der Marktbeobachter wundert sich über die äußerst ungewöhnlichen Markttrends, die in diesem Umfang niemand vorausgesehen hat. Wer ist der Gewinner, wer der Verlierer dieser Entwicklung. Selbst innerhalb der Landwirtschaft sind die Positionen hart umkämpft und mit den Abnehmern erst recht. Der aufgeheizte Markt hat die Verhältnisse kräftig durcheinandergeschüttelt. Das gilt nicht nur für den konventionellen, sondern auch für den Biomarkt. Auch hier ist die sonst relativ geregelte Preisstruktur ins Wanken geraten. Biobullen unter konventionellem Preis trotz hoher Nachfrage sind keine Seltenheit und haben mit den Kosten nichts zu tun.
Ein neues Gleichgewicht zwischen Erzeugererlösen für Kalb, Jungbulle, Schlachtkuh und Färse ist noch nicht gefunden und die Preisverhältnisse zwischen Erzeugung, Verarbeitung, Ladentheke und Gastronomie müssen neu austariert werden. So lange herrscht ein bisschen Wildwest – oder ist dies „das neue Normal“?