Der von der Ampel vorgelegte Entwurf für ein neues Tierschutzgesetz steht von unterschiedlichster Interessensseite heftig in der Kritik. Für Umwelt- und Tierschutzverbände ist er „zu schwach“, für den Bauernverband „eine Bedrohung für die Tierhaltung in Deutschland“ und für die Opposition im Bundestag ist er unter anderem „völlig überzogen“. Nachbesserungsbedarf wird aber auch aus den Reihen der Ampelfraktionen gesehen.
Tierschutzbund: Deutschland sollte Vorreiter im Sachen Tierschutz sein
Zum Welttierschutztag am 4. Oktober fordert der Deutsche Tierschutzbund, den zu schwachen Entwurf der Bundesregierung für das neue Tierschutzgesetz umfassend nachzubessern. Das parlamentarische Verfahren zur Novellierung des Gesetzes ist vergangene Woche mit der 1. Lesung im Deutschen Bundestag gestartet. Der vom zuständigen Minister Cem Özdemir vorgelegte Entwurf jedoch werde dem Staatsziel Tierschutz nicht gerecht, kritisiert der Tierschutzbund. Der diesjährige Welttierschutztag steht daher unter dem Leitmotto „Tiere schützen, nicht verraten. Neues Tierschutzgesetz – jetzt“.
„`Der Staat schützt die Tiere` heißt es seit über 20 Jahren in der deutschen Verfassung. Diesem Staatsziel Tierschutz gilt es nun gerecht zu werden und Tiere durch das Tierschutzgesetz vollumfänglich vor Schmerzen, Leiden und Schäden zu bewahren“, sagt Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes. Es sei unsäglich, dass wirtschaftlichen Interessen noch immer mehr Bedeutung als dem Wohl der Tiere beigemessen würde. „Abstriche und Kompromisse im Tierschutz bedeuten Schmerz und Leid für fühlende Lebewesen. Umso mehr liegen unsere Hoffnungen nun bei den Parteien im Parlament. Diese müssen sich nun zu einem guten Entwurf zusammenfinden, der den Namen Tierschutzgesetz auch verdient.“
Mit dem Gesetzentwurf in seiner jetzigen Form ist das Bundeslandwirtschaftsministerium zwar einzelne wichtige Punkte angegangen, aus Sicht des Deutschen Tierschutzbundes jedoch nicht konsequent genug. So wird das Anbinden von Rindern nicht grundsätzlich verboten, Amputationen wie das Kürzen der Ringelschwänze bei Schweinen oder der Rute bei jagdlich geführten Hunden bleiben zulässig. „Die Novellierung des Tierschutzgesetzes ist eine historische Chance, um den Tierschutz im Land voranzubringen. Deutschland sollte Vorreiter im Sachen Tierschutz sein, anstatt sich von Tiernutzerverbänden Stillstand oder gar Rückschritte im Tierschutz diktieren zu lassen. Jetzt gilt es!“, so Schröder.
BUND: Viele Lücken und Ausnahmen
Der Gesetzentwurf enthält nach Ansicht des BUND viele Lücken und Ausnahmen und droht an Agroindustrieinteressen zu scheitern. Dazu erklärt Olaf Bandt, BUND-Vorsitzender: „Die Menschen wollen kein Fleisch mit Tierqualen. Dazu muss ein neues Tierschutzgesetz nun beitragen. Wir fordern die tierhaltende Industrie auf, ihre Widerstände gegen Tierwohl in den Ställen zu beenden. Tierschutz ist kein Bonus. Er ist seit 2002 Staatsziel. Entsprechend wirksam muss auch die Gesetzgebung sein“
Der Entwurf enthält aus Sicht des BUND wichtige geplante Veränderungen für den Tierschutz, wie ein grundsätzliches Verbot der Anbindehaltung, weitergehende Einschränkungen beim Abschneiden von Körperteilen (Hörner bei Kühen wie auch Schwänzen bei Schweinen) sowie eine genauere Definition der Qualzucht. Denn das Qualzucht-Verbot war bisher ein theoretisches, da es an Eindeutigkeit fehlte, wann Qualzucht stattfindet, so der BUND.
Leider gelte das aber auch im vorliegenden Gesetzesentwurf für problematische Züchtungen in der Landwirtschaft, die weiterhin nicht erfasst werden. Rinder, die sich nicht mehr ohne menschliche Hilfe fortpflanzen können, oder Geflügel, bei dem bei bis zu 90 Prozent der Tiere das Brustbein bricht, würden auch mit der Novellierung nicht bekämpft. Daher sei vor der Verabschiedung eine Überarbeitung nötig. Auch habe die dauerhafte Ausnahme bei der Anbindehaltung nichts mehr in einem Tierschutz-Gesetz zu suchen. Besonders problematisch ist für den BUND der Gesetzentwurf beim Kupieren von Schweineschwänzen: Seit mehr als 30 Jahren gelte hier europaweit ein Verbot. Doch statt diese Regelung national in Kraft und umzusetzen, werde Bürokratie auf- statt Tierleid abgebaut.
„Auch Tiere in der Landwirtschaft bedürfen Schutz“, erklärt der BUND-Vorsitzende, „durch die vielen Ausnahmen im Entwurf führt das Gesetz für sie aber nicht zu einem angemessenen Tierschutz. Insbesondere bei der Anbindehaltung muss der Gesetzgeber dringend nachbessern. Sie muss ohne Ausnahmen nach spätestens 10 Jahren beendet werden.“
Der BUND hat ein Forderungspapier an die zuständigen Abgeordneten von zwei der drei Koalitionsfraktionen, Anke Hennig (SPD) und Dr. Zoe Mayer (Grüne) übergeben, um noch deutliche Verbesserungen zum Wohl der Tiere zu erreichen.
DBV: deutliche Korrekturen notwendig
24.105 Unterschriften gegen den in den Deutschen Bundestag eingebrachten Entwurf für eine Gesetzesnovelle des Tierschutzgesetzes hat der Bauernverband (DBV) an den Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft übergeben.
Der Vizepräsident des Deutschen Bauernverbandes und Präsident des Bayerischen Bauernverbandes, Günther Felßner, mahnt dabei erneut dringende Korrekturen an: „Wer für Tierschutz ist, muss diese Änderungspläne ablehnen. Anstelle einer praxistauglichen Weiterentwicklung unserer heimischen Nutztierhaltung drohen Betriebsaufgaben, eine weitere Verlagerung der Tierhaltung ins Ausland und vermehrte Importe tierischer Lebensmittel aus Ländern mit deutlich geringeren Tierwohlanforderungen, als wir sie hierzulande bereits umsetzen. Ist dem Tierwohl damit gedient? Sicher nicht!“
Die deutschen Bauern stehen für Tierschutz, sagt auch der Veredelungspräsident des Deutschen Bauernverbandes, Hubertus Beringmeier. „Tierschutz ja, aber nicht so. Dieser Gesetzentwurf schafft an einigen Stellen mehr Tierleid als Tierschutz. Die Vorschläge sind von vielen Betrieben in dieser Form schlicht nicht umsetzbar und werden diese ins Aus drängen. Dieses Gesetz ist eine Bedrohung für die Tierhaltung in Deutschland“, so Beringmeier.
Auch wenn der Gesetzentwurf einige positive Maßnahmen enthalte, fordert der Deutsche Bauernverband bei anderen Aspekten im Bereich der Rinder-, Schweine- und Schafhaltung deutliche Korrekturen. Insbesondere bei Schweinen löst die geplante Regelung zum Kupieren nicht das Problem des Schwanzbeißens. Hier wäre dem Tierwohl nicht gedient. Hinzu komme ein enormer, zum Teil täglicher Dokumentationsaufwand, der weit über EU-Vorgaben hinausschießt und heimische Betriebe überproportional belasten würde. Auch die derzeit in der Praxis bewährte Kombinationshaltung mit 120 Tagen Bewegung im Jahr muss nach Ansicht des DBV unbefristet Bestand haben. Überhöhte Anforderungen wie sie hierfür jetzt im Gesetzentwurf gefordert würden, kämen für viele Betriebe einem Verbot gleich. Eine Haltungsform wie die Anbindehaltung brauche Perspektiven für die Weiterentwicklung anstatt eines Komplettverbotes. „Gerade für ertragsschwache Standorte und Grünlandregionen wie den Alpenraum hätte ein Komplettverbot gravierende Folgen: Wenn diese Betriebe wegbrechen, verlieren wir damit auch Artenvielfalt, regionale Wertschöpfung und touristische Attraktivität. Es droht ein massiver Strukturbruch“, so der DBV.
Erste Lesung im Bundestag
In der 1. Lesung des Gesetzentwurfs im Bundestag bezeichneten Vertreter:innen aus der Union den Entwurf als „völlig überzogen“ und dass „der Bürokratieaufwuchs der rote Faden dieses Entwurfs zu sein“ scheint. Sie kritisierten insbesondere die im Entwurf vorgesehenen Regelungen zum Thema „Beendigung nicht kurativer Eingriffe“, das Enthornen von Rindern, die Beendigung des Kupierens von Ferkelschwänzen und das Kupieren von Schwänzen bei Lämmern.
Die Linke hat „auf die Alibiprojekte“, die mit dem Entwurf vorgelegt werden, „keine Lust – wie so viele Menschen in diesem Land“ und fordert die Ampel auf „Bessern Sie nach“. Für das BSW „legt die Ampel uns ein neues Tierschutzgesetz vor, zu dem Experten zu Recht sagen, dass es absolut ungenügend ist; denn es bringt viel zu wenig Verbesserungen.“
Für die SPD sind alle Argumente, von „geht gar nicht“ bis „viel zu wenig“, wichtig und sollen in das weitere Prozedere einbezogen werden. „Daher erwarten wir auch von allen Beteiligten Kompromissfähigkeit. Verhinderung ist kein Erfolgsmodell“ sonst würden unter Umständen wieder Gerichte entscheiden, erklärt die SPD-Abgeordnete Susanne Mittag. Trotz der mit dem Entwurf vorgelegten Fortschritte beim Tierschutz sieht Anke Hennig als SPD-Tierschutzbeauftragte noch erheblichen Verbesserungsbedarf. „Das parlamentarische Verfahren bietet uns die Chance, hier nachzuverhandeln“, so Hennig.
„Tierschutz mit Augenmaß“ will die FDP und unter anderem beim Thema „Verbot von nicht kurativen Eingriffen“ in den anstehenden Beratungen auf praktikable Lösungen drängen. Der FDP-Abgeordnete Ingo Bodtke erklärt: "Wir stehen auch dazu, dass die ganzjährige Anbindehaltung von Rindern unter Tierschutzaspekten ein Ende haben muss. Deshalb setzen wir uns für die Abschaffung dieser Haltungsform in zehn Jahren ein. Allerdings sollte die etablierte Kombihaltung, welche den Tieren viel Zeit auf der Weide ermöglicht, in landwirtschaftlichen Betrieben mit maximal 50 Rindern erhalten bleiben. Gerade in Kleinbetrieben in Bayern und in Baden-Württemberg können konventionelle Kombinationshalter oftmals die baulichen Vorgaben in ihren Stallungen nicht umsetzen. Die Kombinationshaltung ist somit eine Option für die kleinbäuerlichen Familienbetriebe im Nebenerwerb. Die Bauernfamilien mit ihrer Tierhaltung leisten besonders in den Alpenregionen einen wichtigen Beitrag zum Erhalt der einzigartigen Kulturlandschaft mit ihren Almen und Weiden.“