Töten männlicher Küken tierschutzrechtlich nur noch übergangsweise zulässig

Das wirtschaftliche Interesse an speziell auf eine hohe Legeleistung gezüchteten Hennen ist für sich genommen kein vernünftiger Grund i.S.v. § 1 Satz 2 des Tierschutzgesetzes (TierschG) für das Töten der männlichen Küken aus diesen Zuchtlinien. Da voraussichtlich in Kürze Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Ei zur Verfügung stehen werden, beruht eine Fortsetzung der bisherigen Praxis bis dahin aber noch auf einem vernünftigen Grund. Das hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig heute entschieden und mitgeteilt. Gemäß § 1 Satz 2 TierSchG darf niemand einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen. Das Tierschutzgesetz schützt laut BVerwG – anders als die Rechtsordnungen der meisten anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union – nicht nur das Wohlbefinden des Tieres, sondern auch sein Leben schlechthin. „Vernünftig im Sinne dieser Regelung ist ein Grund, wenn das Verhalten gegenüber dem Tier einem schutzwürdigen Interesse dient, das unter den konkreten Umständen schwerer wiegt als das Interesse am Schutz des Tieres“, teilt das BVerwG mit. Im Lichte des im Jahr 2002 in das Grundgesetz aufgenommenen Staatsziels Tierschutz beruht das Töten der männlichen Küken für sich betrachtet nach heutigen Wertvorstellungen nicht mehr auf einem vernünftigen Grund. Die Belange des Tierschutzes wiegen laut BVerwG schwerer als das wirtschaftliche Interesse der Brutbetriebe, aus Zuchtlinien mit hoher Legeleistung nur weibliche Küken zu erhalten. Anders als Schlachttiere werden die männlichen Küken zum frühestmöglichen Zeitpunkt getötet. Ihre „Nutzlosigkeit“ stehe von vornherein fest. Zweck der Erzeugung sowohl der weiblichen als auch der männlichen Küken aus Zuchtlinien mit hoher Legeleistung ist allein die Aufzucht von Legehennen. Dem Leben eines männlichen Kükens werde damit jeder Eigenwert abgesprochen. Das ist nicht vereinbar mit dem Grundgedanken des Tierschutzgesetzes, für einen Ausgleich zwischen dem Tierschutz und menschlichen Nutzungsinteressen zu sorgen. Die bisherige Praxis wurde nach Ansicht des BVerwG allerdings - ausgehend von einer damaligen Vorstellungen entsprechenden geringeren Gewichtung des Tierschutzes - jahrzehntelang hingenommen. Vor diesem Hintergrund könne von den Brutbetrieben eine sofortige Umstellung ihrer Betriebsweise nicht verlangt werden. Bereits im Zeitpunkt der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts sei absehbar gewesen, dass in näherer Zukunft eine Geschlechtsbestimmung im Ei möglich sein würde. Die weitere Entwicklung hat diese Einschätzung bestätigt. Ohne eine Übergangszeit wären die Brutbetriebe gezwungen, zunächst mit hohem Aufwand eine Aufzucht der männlichen Küken zu ermöglichen, um dann voraussichtlich wenig später ein Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Ei einzurichten oder ihren Betrieb auf das Ausbrüten von Eiern aus verbesserten Zweinutzungslinien umzustellen. Die Vermeidung einer solchen doppelten Umstellung ist für das BVerwG in Anbetracht der besonderen Umstände ein vernünftiger Grund für die vorübergehende Fortsetzung der bisherigen Praxis. Mit einem symbolischen Kükenschreddern hat die Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt mit Unterstützung vom Deutschen Tierschutzbund e. V., der Erna-Graff-Stiftung und VIER PFOTEN – Stiftung für Tierschutz, vor dem Bundesverwaltungsgericht für den sofortigen Stopp des Kükentötens demonstriert. „Wir gehen hier weitestgehend mit einem Erfolg heraus“, erklärt Mahi Klosterhalfen, Präsident der Stiftung, unmittelbar nach dem Entscheid des BVwerG im Rahmen der Aktion auf facebook. Denn ab jetzt sei die Wirtschaftlichkeit kein vernünftiger Grund mehr für das Leiden der Tiere und ihre zu erleidenden Schäden.
13.06.2019

Mahi Klosterhalfen, Präsident der Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt, vor dem Bundesverwaltungsgericht. Quelle: Albert Schweizer Stiftung