Osteuropa ist im Ausnahmezustand und der Spargel wächst trotzdem. Rund eine viertel Million Menschen kommen jedes Jahr nach Deutschland, um als Saisonarbeitskräfte auf Gemüse- und Obstbaubetrieben zu ernten, zu pflegen, zu packen, dafür zu sorgen, dass die meist empfindliche Frischware saisonal und regional auf unsere Esstische kommt. Die meisten dieser Saisonkräfte kommen aus Rumänien, Bulgarien, Polen und Ungarn, aber mittels staatlicher Anwerbeabkommen auch aus Nicht-EU-Ländern wie der Republik Moldau, Georgien oder eben auch der Ukraine. Nachdem bereits die vergangenen zwei Jahre die Corona-Pandemie viele Unsicherheiten und auch rechtliche Verschlechterungen für die Arbeitsmigranten beim Thema Saisonarbeit mit sich brachte, sind die Bedingungen nun durch den Krieg Russlands gegen die Ukraine, durch Millionen flüchtender Menschen gerade in den Hauptrekrutierungsländern, noch viel unwägbarer. Der Deutsche Bauernverband (DBV) wirbt bereits erneut in den politischen Gremien um Zugeständnisse, weil er eine Mangelsituation befürchtet. Während der Corona-Krise waren es Zugeständnisse wie eine Verlängerung der Zeit von aktuell wieder 70 Tagen, in der Saisonarbeitskräfte sozialversicherungsfrei angestellt werden dürfen (in den vergangenen zwei Jahren wurden diese Zeiten auf 115 bzw. 102 Tage angehoben) und eine Erhöhung der erlaubten Wochenarbeitszeiten. Hinzu kam die Erfindung der Arbeitsquarantäne, die die Arbeitsmigranten nach Ankunft 14 Tage am Arbeits- und Schlafplatz isolierte, versorgungstechnisch dem Arbeitgeber ausgeliefert. Da die Impfsituation in Osteuropa nach wie vor schwieriger ist als in Deutschland, könnte dieses unwürdige Instrument auch in diesem Jahr Bestand haben.
Krankenversicherung ab sofort
Eine Veränderung sollte sich in der Frage der Sozialversicherungspflicht ergeben. Hatten sich doch die Ampelparteien in ihren Koalitionsvertrag geschrieben: „Für Saisonbeschäftigte sorgen wir für den vollen Krankenversicherungsschutz ab dem ersten Tag.“ Der DBV hat sich bereits dagegen ausgesprochen, diese Regelung – zukünftig auch noch gepaart mit einem deutlich höheren Mindestlohn – belaste die Betriebe so sehr, dass sie nicht mehr konkurrenzfähig seien. Gleichzeitig gibt es die Kritik von landwirtschaftlichen Betrieben, die seit Jahren versuchen, über die ganze Saison bewährte Kräfte einzubinden und nicht im Rein-raus-Verfahren die Belegschaften zu wechseln. Diese Betriebe haben durch ihr soziales Verhalten Wettbewerbsnachteile – eine Realität, die der Bauernverband nicht benennt, wohl aber Harald Schaum, stellvertretender Bundesvorsitzender der Gewerkschaft IG Bau: „Das bisherige Verfahren ist ungerecht denen gegenüber, die vernünftig mit ihren Mitarbeitern umgehen wollen“, sagt er und er geht davon aus, dass in den zuständigen Ministerien an einem Vorschlag dazu gearbeitet wird. Ihm ist wichtig, dass es tatsächlich um eine Verpflichtung zur gesetzlichen Krankenversicherung geht. Die bislang auch jetzt schon von Betrieben verwendeten privatwirtschaftlichen Kollektivversicherungen bieten aus seiner Sicht nur einen unzureichenden Schutz.
Der Bauernverband wehrt sich gegen diese Veränderung ebenso, wie er die Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro pro Stunde ablehnt. Auch wenn Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) betont, dass ja dadurch, dass die Anpassung erst ab Oktober greife, diese Saison noch davon ausgenommen sei und die Betriebe damit die Möglichkeit hätten, sich auf den höheren Mindestlohn einzustellen. Alle Seiten werden nicht müde, sich vorzurechnen, je nach Blickwinkel, wie viel teurer oder um wie viel weniger teuer Äpfel, Spargel, Erdbeeren werden, wenn ihre Ernter besser versichert und bezahlt werden.
Soziale Konditionalität
Dass Arbeitskräfte in der Landwirtschaft auch ansonsten zu besseren und besser kontrollierbaren Bedingungen angestellt werden sollen, dafür hat die EU-Kommission in der neuen GAP die Konditionalität auch im sozialen Bereich eingeführt. Allerdings betont Harald Schaum, dass die Sozialpartner – also auch die Gewerkschaften – bei der Erstellung des nationalen Strategieplans, der Grundlage für die Umsetzung der Konditionalität in den EU-Mitgliedsstaaten ist, bislang gar nicht beteiligt wurden. „Das muss dringend nachgeholt werden.“ Zudem gebe es offenbar noch gar keine Vorstellung dazu, wie denn die Umsetzung bestimmter Standards im Arbeits- und Gesundheitsschutz dann auch zu kontrollieren und mögliche Verstöße zu sanktionieren seien. „Müssen Betriebe dann Prämien zurückzahlen?“, fragt Schaum. Aus seiner Sicht sind die GAP wie auch die Krankenversicherungspflicht die zwei ganz großen Vorhaben, die die Bundesregierung nun schnell umsetzen muss.