IG BAU will bei Saisonarbeit weg von kurzfristiger Beschäftigung

Die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) will eine Abschaffung der kurzfristigen sozialversicherungsfreien Beschäftigung von Saisonarbeitskräften. „Unsere Forderung ist klar: Kurzfristig Beschäftigte in der Landwirtschaft müssen in Deutschland Anspruch auf den vollen Krankenversicherungsschutz haben, sie dürfen keine Beschäftigten zweiter Klasse sein“, erklärt der stellvertretende Bundesvorsitzende der IG BAU, Harald Schaum, bei der Vorstellung des Jahresberichts 2022 „Saisonarbeit in der Landwirtschaft“ der Initiative Faire Landarbeit. Für sämtliche Saisonarbeiter*innen, die nicht nachweislich im Herkunftsland krankenversichert sind, müsse ein voller Krankenversicherungsschutz sichergestellt werden. „Dieser umfassende Schutz sollte dabei der erste Schritt sein hin zu einer Überwindung des Modells der kurzfristigen Beschäftigung. Die gegenwärtige Praxis basiert auf der Annahme, ein großer Teil der Saisonarbeiter*innen übe die Arbeit in Deutschland nicht berufsmäßig aus. Alles deutet jedoch darauf hin, dass diese Annahme in den allermeisten Fällen falsch ist. Saisonbeschäftigte in der Landwirtschaft sollten grundsätzlich sozialversicherungspflichtig beschäftigt werden“, so Schaum.

Der Jahresbericht „Saisonarbeit in der Landwirtschaft“ 2022 listet erneut viele Arbeitsrechtsverletzungen auf. „Als sie nach zwei Monaten das Arbeitsverhältnis beendeten, zog die Landwirtin Ana, Vassily und Andrej von dem ohnehin sehr niedrigen Lohn zusätzlich jeweils 300 Euro ab. Die Begründung: Sie hätten illegal gearbeitet (was nicht der Fall war), und sie müsse dieses Geld zurückhalten, falls bei ihr als Arbeitgeberin eine Strafgebühr fällig würde.“ Dies ist für die IG BAU nur ein kleiner Ausschnitt aus den zahlreichen Fallbeispielen, die in dem neuen „Bericht 2022 – Saisonarbeit in der Landwirtschaft“ der Initiative Faire Landarbeit zu finden sind.

Intransparente Arbeitszeiten, fehlende Kontrollen, schlechte Krankenversicherungen, Arbeiten bei starker Hitze ohne Schutz, das sind oftmals die Bedingungen, unter denen die Saisonbeschäftigten aus dem Ausland bei uns arbeiten müssen. Dabei pflücken sie für uns die Erdbeeren, stechen den Spargel, lesen den Wein und verpacken Obst und Gemüse. In Beratungsgesprächen mit der Initiative zeigten sich deutlich die Probleme der Beschäftigten, so die IG BAU.

In vielen Betrieben stelle nicht die Arbeitszeit, sondern die Dokumentation der geernteten Menge die Grundlage für die Lohnabrechnung dar. Arbeitsstunden werden oftmals von Hand von der Betriebsleitung aufgeschrieben. So lässt sich nur schwer nachvollziehen, wie sich das Entgelt zusammensetzt und ob der gesetzliche Mindestlohn eingehalten wird. Hinzu komme, dass Überstunden nicht bezahlt werden und hohe Mieten sowie „Arbeitsmaterialien“ vom Lohn abgezogen werden. Da die Löhne meistens erst kurz vor der Abreise ausbezahlt werden, ist eine erfolgreiche Reklamation schwierig. Nötig wäre eine transparente digitale Zeiterfassung.

Nötig wären auch deutlich mehr und umfassende Kontrollen. Laut der Statistik des Zolls wurden im Jahr 2021 lediglich 1,1 Prozent der Landwirtschaftsbetriebe mit Beschäftigten überprüft, ob der Mindestlohn gesetzeskonform gezahlt wird. In der ersten Hälfte des Jahres 2022 nahm diese geringe Quote noch einmal ab. 8,6 Prozent aller Betriebsuntersuchungen im Jahr 2021 führten zu Verfahren wegen Verstoßes gegen das Mindestlohngesetz. Die Quote lag damit höher als im Baugewerbe oder den Branchen Spedition und Logistik.

In den vergangenen Jahren hatten die kurzfristig Beschäftigten oftmals ohne jegliche Krankenversicherung auf den Feldern gearbeitet. Seit dem Jahr 2022 gibt es jedoch eine gesetzliche Pflicht für die Betriebe, die Helfer*innen bei einer Krankenversicherung anzumelden. Dies geschah dann meistens bei einer sogenannten privaten Gruppen-Krankenversicherung (PGK). In den Beratungsgesprächen stellte sich jedoch schnell heraus, dass dieses Verfahren Lücken hat. So sind den Arbeitnehmer*innen oftmals gar keine Versicherungsnachweise ausgehändigt worden. Manche PGK übernahmen nicht alle Behandlungskosten, so dass die Betroffenen große Summen selbst bezahlen mussten. Kurzfristig Beschäftigte haben in den ersten vier Wochen keinen Anspruch auf Krankengeld. In mehreren Fällen wurden sie umgehend nach Hause geschickt und blieben auf ihren Kosten sitzen. Hier kann die Forderung nur lauten: voller Krankenversicherungsschutz für den gesamten Aufenthalt hier in Deutschland.

Der Sommer 2022 war – bedingt durch den Klimawandel – wieder einmal besonders heiß. Davon sind Erntehelfer*innen besonders betroffen, arbeiten sie doch den ganzen Tag unter der gleißenden Sonne. Viele Schutzvorkehrungen fehlten: Schattenplätze zum Abkühlen, ausreichend Trinkwasser, Sonnencreme bis hin zur einfachen Kopfbedeckung. Die Initiative vermutet zudem, dass die Akkordarbeit die Beschäftigten so unter Druck setzte, so dass sie auf Pausen verzichteten. Auch hier müssen die Arbeits- und Gesundheitsschutzkontrollen deutlich intensiviert werden, damit die geltenden Regelungen auch in der Landwirtschaft eingehalten werden.

Die Erntesaison in Deutschland erstreckt sich in der Regel von März bis Oktober. Die meisten Beschäftigten, etwa 60 Prozent, kamen aus Rumänien. Weitere Herkunftsländer waren Polen, Ungarn, und Bulgarien. Vermehrt kamen aber auch Saisonarbeiter*innen aus der Ukraine und aus Ländern wir Kirgisistan und Usbekistan. Die Initiative Faire Landarbeit unternahm im vergangenen Jahr 48 Feldaktionen und erreichte dabei etwa 4.300 Saisonbeschäftigte. Wie schon in den Vorjahren wurden sie dabei des Öfteren von den Arbeitgeber*innen behindert. So wichen die Mitarbeiter*innen der Initiative beispielsweise auf nahegelegene Supermärkte aus, in denen die Beschäftigten einkauften und kontaktierten sie dort.

Die Initiative Faire Landarbeit ist ein Bündnis der gewerkschaftsnahen Beratungsstellen Faire Mobilität, dem Europäischen Verein für Wanderarbeiterfragen und dem Beratungsnetzwerk „Gute Arbeit“ von Arbeit und Leben, der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) sowie weiteren Organisationen. Seit dem Jahr 2018 erscheint regelmäßig der Jahresbericht zur Saisonarbeit in der Landwirtschaft.