Gedanken zum Milchmarkt

Bei der Mitgliederversammlung des European Milk Board (EMB) im Frühjahr 2017, die Milchkrise der Vorjahre war noch frisch in Erinnerung, beschrieb der damalige EMB-Vorsitzende Romuald Schaber die mögliche Zukunft der Milcherzeugung in Europa. Schaber warnte damals vor einer Situation, die er als Dauerkrise bezeichnete: zwar kein Absturz mehr auf Milchpreise unter 25 Cent, aber eine dauerhafte Kostenunterdeckung über Monate und Jahre, mit der Folge, dass die allermeisten Betriebe von der Substanz zehren. Heute, zwei Jahre später, ist diese Situation, man könnte sie auch als „schleichende Milchkrise“ bezeichnen, bittere Realität. Niemand bestreitet mehr ernsthaft die Kostenberechnung des Milchmarkerindexes, demzufolge stets über 40 Cent pro kg für die Milcherzeugung aufgewendet werden müssen. Trotzdem werden die Milchlieferanten zumindest in Norddeutschland dauerhaft seit nunmehr anderthalb Jahren, nach dem kurzen „Zwischenhoch“ Ende 2017, mit 30 bis 35 Cent abgespeist. Auch die Futterknappheit und die erhöhten Futterkosten nach dem Dürresommer letztes Jahr, die die Kosten nochmals steigen ließen, hatten keine Auswirkung auf den Milchpreis. Vollständiger Verkauf des Interventions-Milchpulvers, seit Wochen rückläufige Milchanlieferung in Deutschland – die Milch bleibt weiterhin billig. Ein funktionierender Markt sieht anders aus! Wirtschaftlicher Druck und Entmutigung Einmal mehr wird das extreme Machtgefälle von Handel und Verarbeitern über die Molkereien bis zu den Milcherzeugern deutlich. Immer noch bestreiten Molkereien ihre Expansions- und Weltmarktprojekte auf dem Rücken und auf Kosten der Bäuerinnen und Bauern. Gerade große, stark gewachsene Betriebe erreichen nicht die von klugen Beratern errechneten Deckungsbeiträge und rutschen in die Schulden- und Arbeitsfalle. Schlimmer ist, dass kleinere, an sich gut aufgestellte Betriebe, die nicht auf den Wachstumshype hereingefallen sind, ebenfalls Substanz verlieren und vor allem auch den Mut weiterzumachen. Der Ausstieg erfolgt heute nicht mehr bei Erreichen des Rentenalters, wenn die Hofnachfolge anstünde, sondern schon vorher. Gute Verpachtungsmöglichkeiten und ein aufnahmefähiger Arbeitsmarkt auch für Quereinsteiger machen es möglich. Rolle des Bauernverbands Eine fatale Rolle spielt der Bauernverband: Mit Durchhalteparolen, Einfordern von staatlicher Hilfe wie in der Dürre, der Vorgabe absurd niedriger Preisziele („An 33 Cent müssen sich die Molkereien messen lassen“) und mit Ablenkungsdiskussionen über gesellschaftliche Anforderungen und Vorgaben hält er die Milchbauern ruhig bzw. beschäftigt sie anderweitig. Gleichzeitig arbeiten viele Bauernverbandsvertreter in Funktionen bei Genossenschaftsmolkereien mit an der Billigstrategie. Und nicht zuletzt verhindert der Bauernverband als einzige landwirtschaftliche Vertretung im Lenkungsgremium der Milchsektorstrategie jede wirksame Verbesserung der Marktposition der Milcherzeuger. Zusatzproblem DMK Als größter deutscher Genossenschaftsmolkerei kommt dem Deutschen Milchkontor eine besondere Verantwortung für den Milchmarkt zumindest in Norddeutschland zu. Nach heftigen Turbulenzen mit Protesten von Bäuerinnen und Bauern während der Milchkrise und einer wahren Kündigungswelle hat das DMK erhebliche Milchmengen verloren und unter dem Motto „Marge statt Menge“ eine Neuausrichtung versprochen. Bei der ordentlichen Vertreterversammlung wurde gar eine „Vision 2030“ verkündet! Innovative Produkte, eine stärkere Orientierung an den Kundenwünschen, aber auch die gezielte Erschließung vielversprechender Exportmärkte wurden in Aussicht gestellt. Die Milcherzeuger und der zu zahlende Milchpreis kamen in dieser Vision nicht vor. Immerhin räumt Molkereichef Ingo Müller ein, die DMK habe „die Leidensfähigkeit ihrer Landwirte in der Vergangenheit oft strapaziert“. Wieso in der Vergangenheit? Nüchtern betrachtet sieht auch jetzt die Realität hinter der Vision trübe aus. Seit Monaten wird ein nicht konkurrenzfähiger Milchpreis gezahlt, mit zurzeit 30 Cent liegt er um bis zu vier Cent unter dem der Wettbewerber. Die Unternehmensstrategie wirkt unkoordiniert und sprunghaft, beinhaltet aber nach wie vor hohe Investitionen wie 135 Millionen Euro für ein neues Babynahrungswerk am Standort Strückhausen. Im Management kommt es häufig zu Wechseln. Aktuell werden ehemalige Genossen, die teilweise seit Jahren nicht mehr ans DMK liefern oder sogar ganz aus der Milcherzeugung ausgestiegen sind, mit Nachaudits überzogen. Jetzt nach der Vertreterversammlung steht die Auszahlung der Geschäftsanteile der vielen Kündiger an, die letztlich auch durch Einsparungen beim Auszahlungspreis aufgebracht werden dürfte. Das zieht neue Verärgerung und voraussichtlich neue Kündigungen nach sich. Hier zeichnet sich eine Abwärtsspirale ab, die dem DMK letztendlich die Rohstoffbasis entziehen könnte. Unter diesen Umständen erscheint es fraglich, ob das Unternehmen das Jahr überhaupt noch erreicht, für das seine Zukunftsvision konzipiert wurde. Was tun? Viele Lösungsansätze sind bekannt, wie die Einführung eines Kriseninstruments und die Stärkung der Position der Milcherzeuger durch eine Branchenstrategie, die den Namen wirklich verdient. Hier wäre vor allem die Verpflichtung zu Verträgen mit Mengen-, Preis- und Qualitätsvereinbarungen vor der Milchlieferung zu nennen. In allen diesen Bereichen sind die gegenwärtige Bundesregierung und speziell die Landwirtschaftsministerin nicht bereit, Rahmenbedingungen vorzugeben, sondern schieben die Verantwortung auf die Branche, wohl wissend, dass dabei nichts Wirksames herauskommen kann. In den Niederlanden sind die Milchauszahlungspreise signifikant höher. Neben staatlichen Vorgaben wie der Reduzierung der Kuhzahlen durch die Phosphorquote haben dazu auch Wertschöpfungsstrategien gerade der großen Genossenschaftsmolkereien beigetragen. Friesland Campina und andere setzen stark auf Weidehaltung, getragen auch vom Handel und der gesamten Gesellschaft, mit dem Erfolg, dass praktisch nur noch Weidetrinkmilch gekauft werden kann. So zahlt F/C für gentechnikfreie Weidemilch inzwischen zusätzlich zum besseren Grundpreis noch 2,5 Cent mehr pro Liter aus. Dann wird sogar eine Rückumstellung auf Weidehaltung wirtschaftlich interessant. Vielleicht wäre, wenn der Handel mitzieht, auch in Deutschland eine solche Qualitätsstrategie denkbar, im Norden mit Weidemilch, im Süden vielleicht mit Heumilch. Diese Milcharten könnten in die im Aufbau befindlichen mehrstufigen Label der Handelsketten eingeordnet werden als zweithöchste Stufe nach der Bioqualität. So könnte wenigstens in einem Teilbereich der konventionellen Milcherzeugung, der besonders natur- und tierfreundlich wirtschaftet, eine höhere Wertschöpfung erreicht werden. Gerade bäuerliche Betriebe, die tendenziell eher so wirtschaften, könnten damit von gesellschaftlicher Anerkennung profitieren.