Multikrise und neue Strategien in der Schlachtindustrie

Marktbeobachtungen von Hugo Gödde

Die Multikrise am Schweinemarkt ist nicht auf die Erzeugung begrenzt, sondern trifft auch die Schlachtindustrie. Die Forderung nach Umbau der Fleischwirtschaft ist längst keine radikale Forderung von Tierschützern mehr, sondern konkrete Aufgabe der Unternehmen. Corona, ASP, Exportbremse, sinkender Fleischkonsum hat die alte Zielstellung gedreht. Die Auslastung der Kapazitäten („Schlachthaken“) war in der Vergangenheit das Erfolgskriterium Nr.1. Wer möglichst viele Tiere unter möglichst günstigen Kosten schlachten konnte, spielte in der Bundesliga. Spitzenreiter konnten Schweineschlachtungen zum Nulltarif erledigen, wenn man Nebenprodukte wie Blut (für Kosmetika), Schleimhäute (für chemische Produkte), Exkremente (Biogas) o.a. optimal vermarktet bekam. Heute heißt maximale Kapazitätsauslastung nicht Kostenführerschaft, sondern eher Vergrößerung des Verlustes – auch durch Steigerung der Lagerbestände. Damit wird die Rationalisierung vor ganz neue Probleme gestellt.

Wie immer stellen sich in der Krise beide Herausforderungen. Die Kosten müssen gesenkt bzw. in Griff behalten werden und zugleich muss eine neue Strategie entwickelt werden.

Neue Zeiten

Klar ist allen Unternehmen, dass die alten Zeiten des Schlachtens bis zum Abwinken mit billigen Werksarbeitern aus Osteuropa und niedrigen Kosten für Energie, Transport, Verpackung usw. vorbei sind. Westfleisch z.B. hat für sich errechnet, dass ihnen das Ende der Werksarbeit durch Subunternehmen incl. des neuen Tarifvertrages etwa 20 Mio. € in 2021 gekostet hat. Der Mindestlohn von 12 € ab Oktober soll zusätzlich mit einer halben Mio. monatlich zu Buche schlagen. (Nebenbei bemerkt belegen die Zahlen, dass sich das alte System der Werksarbeit für die Fleischindustrie „gelohnt“ hat.)

„Das schwächste Jahr in der gesamten Schlacht- und Verarbeitungsbranche“ nennt Westfleisch-Vorstandsvorsitzender Niederstuke das Jahr 2021. Und Vion und Tönnies stimmen ihm zu. Hieß es noch vor zwei, drei Jahren, dass die Rohstoffsicherung an oberster Stelle stehe und man deshalb mit möglichst vielen Betrieben Verträge abschließen müsste, haben sich die Ziele nun geändert. Fast alle Konzerne haben in 2021 durchgeschlachtet, um im Vertrauen auf bessere Zeiten den Landwirten etwas Luft beim Schweinestau bzw. beim Kühlhausstau zu geben. Mit dem Ergebnis, dass weiterhin die Bestände in den Gefrieranlagen hoch sind, wie auch der Geschäftsführer der Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands (ISN) Torsten Staack auf der ISN-Mitgliederversammlung konstatieren musste. Hatte man bisher noch Hoffnung, die vor Monaten billig eingekauften Lagerbestände in der Grillzeit gut verkaufen zu können, muss man bisher feststellen, dass der Absatz in diesem Jahr ca. 15-20% unter Vorjahr liegt, auch weil das Fleisch deutlich teurer geworden ist. Zum Beleg für schlechte Geschäfte weisen Insider darauf hin, dass manche Verarbeiter sogar schichtenweise die Produktion von Grillfackeln reduziert haben, wofür man in früheren Jahren extra Saisonarbeiterinnen eingestellt hat.        

Durchschlachten kann sich keiner mehr leisten, eher sind reduzierte Schichten und Schlachtzahlen auf der Tagesordnung – auch weil man zu wenig (gesunde) Mitarbeiter findet. Konzentration auf die Vertragsbetriebe, keine Erneuerung von kurzfristigen Verträgen ist die Devise. Man erwarte einen beschleunigten Strukturwandel und müsse Kapazitäten abbauen, heißt es aus allen Chefetagen.

Kosten müssen runter

Alle Kosten müssen auf den Prüfstand. Manche haben dafür teure Unternehmensberatungen beauftragt (einige meinen „Sanierer“). Westfleisch nennt etwa 120 Positionen, die überprüft werden. Und tatsächlich sollen nach eigenen Angaben aktuell wieder leicht schwarze Zahlen geschrieben werden.
Weiterhin stehen Weiterverarbeitung, Convenience und SB-Fleisch oben auf der to-do- Liste – auch Fleischersatzprodukte, worüber man in Genossenschaften aber nicht gern redet.
Andere setzen auf neue Maschinen und Roboter. Da die Arbeitskraft (zu) teuer wird und schwer zu bekommen ist, wird technisiert, was irgendwie Sinn macht. Der Umbau der Fleischindustrie wird in den Großbetrieben zunehmend auch optisch sichtbar. Die Arbeit der Betriebsräte und Gewerkschaften wird trotz besserer Gesetze eher noch herausfordernder.

Umbau und Tierwohl

Alle Branchengrößen setzen zudem auf die Tierwohlkarte, hauptsächlich bisher getrieben von der LEH-Haltungsstufe 2 der Initiative Tierwohl. Hier würde wenigstens noch Geld verdient, heißt es hinter vorgehaltener Hand. Vor allem wenn noch 5xD dazukommt, also die ausländische Konkurrenz ausgebremst ist.

Westfleisch nennt deshalb auch regionale Produktion, Vertragsbetriebe und Tierwohl „das Ticket für die Zukunft“. Vion ergänzt es mit Bio, Müller (Ulm) und  Tönnies mit Haltungsstufe 3 und Bio, auch wenn es noch eine Nische ist.  

Diversifizierung muss von einer Branche, die nur Größe kannte, erst noch gelernt werden. Reduzieren von Schlachtbändern und gar Standorten führt aber erst einmal zu Konzentration von Betriebsstätten, nicht zu mehr regionalen Schlachtstätten. Die Idee von Schlachthäusern in jeden Landkreis ist weiter weg denn je. Die Vorstellung von Tiertransportbeschränkungen auf vier oder sechs Stunden, sollte sie Brüssel oder Berlin auf dem Schirm haben, gilt immer noch als Horrorvorstellung.

Schlachthofneubau aus der Zeit gefallen?

Da kommt die Planung von Westfleisch, Nr. 2 der deutschen Schweineschlachter im westfälischen Hamm, doch sehr überraschend. Dort soll neben dem bisherigen 40 Jahre alten Standort im Ortsteil Uentrop, wo zurzeit etwa 43.000 Schweine wöchentlich geschlachtet werden, auf einem freien 3,4 ha großen Gelände einer der modernsten Schlacht- und Zerlegebetriebe Deutschlands komplett neu entstehen. In Zukunft sollen hier im Zweischichtsystem durchschnittlich ca. 90.000 Schweine geschlachtet werden – mehr als das Doppelte. Das Genehmigungsverfahren, in dem sich die Planung aktuell befindet, sieht eine Spitzenkapazität von 108.000 Schweinen vor. Mit dem Zukunftsprojekt, so die Konzernverantwortlichen, stelle sich das Unternehmen auf die Anforderungen der Fleischproduktion in zehn Jahren ein. Die Genossenschaft investiere, berichtet die regionale Zeitung, mit „Unterkante“ 250 Mio. € eine „Riesensumme“. Das entspreche dem Investitionsvolumen von Westfleisch von acht Jahren. Von 750 Mitarbeitern werde das Personal „in Richtung“ 2000 gehen.

Nachdem in der jüngsten Sitzung der Bezirksvertretung das Projekt vorgestellt wurde, auf der es vor allem um die zu erwartenden Auswirkungen auf Luft, Lärm, Antibiotika-Rückstände im Abwasser und weitere Emissionen ging, wächst die Unruhe in der Bevölkerung. Im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung waren zuvor bereits 700 Einwendungen eingegangen und ein Aktionsbündnis „Stoppt Westfleisch“ gegründet worden.

Auch in der Landwirtschaft und besonders in den Erzeugergemeinschaften der Sekundärgenossenschaft Westfleisch ist das Erstaunen groß. Gerade hat der Konzern mit seinen 4925 Mitgliedern und 2440 Betrieben mit Schweinemastverträgen noch das schlechteste Jahr in der Unternehmensgeschichte bekanntgeben müssen, da kommt die Diskussion um die Mega-Investition zur Unzeit. Ein geschäftsführendes Vorstandsmitglied wiegelt erst einmal ab. „Die Planungen haben wir vor vier Jahren begonnen. Da hören wir auf der Zielgeraden nicht auf.“ Jedenfalls bleiben viele Fragen offen. Geht es um eine Vorratsgenehmigung, um Fehlplanung oder hat das Umdenken erst kürzlich eingesetzt?

21.06.2022
Von: Hugo Gödde

Westfleisch plant am Standort Hamm einen kompletten Neubau. Bildquelle: Westfleisch