Der genossenschaftliche Raiffeisenverband stellt sich gegen Milchbäuerinnen und -bauern

Der Deutsche Raiffeisenverband (DRV) hat im Rahmen eines Parlamentarischen Frühstücks in Berlin die Studie „Analyse und Effekte von Milchliefervertragsänderungen bei Umsetzung des Art. 148 der GMO in Deutschland“ vorgestellt, die einer Umsetzung des Art. 148 GMO eine klare Absage erteilt. Entschiedener Widerspruch zu der Studie und deren vom DRV geteilten Ergebnissen kommt von Milcherzeugern, dem Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM), der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) und dem MEG Milch Board.

BDM: Analyse bedient Vollkasko-Mentalität der Molkereien

Das von Molkereien finanzierte Ife-Institut kommt in einer vom Deutschen Raiffeisenverband DRV in Auftrag gegebenen Analyse – durchgeführt von den Professoren Dr. Holger Thiele (ife-Institut) und Dr. Torben Tiedemann (FH Kiel) – zum Ergebnis, dass bei einer Umsetzung des Artikel 148 GMO in nationales Recht kaum Vorteile für die Milcherzeuger auszumachen wären. Ganz im Gegenteil, ihrer Ansicht nach kämen Kosten in Höhe von jährlich rund 100 Mio. € auf die Milcherzeuger zu. Eine Stärkung der Erzeuger sähen sie nicht. Zudem sehen die Professoren ein Risiko dahingehend, dass sich durch die Umsetzung des Artikel 148 GMO der Strukturwandel in der Molkereiwirtschaft verstärken würde, teilt der BDM mit.

„Da haben zwei Wissenschaftler genau das Ergebnis geliefert, das ihre Auftraggeber sich gewünscht haben“, stellt BDM-Vorsitzender Karsten Hansen fest. „Wenn man das auf den großen Rest der Geschäftswelt überträgt, in der vertragliche Vereinbarungen Grundlage jeder Geschäftsbeziehung sind, würde das Studienergebnis bedeuten, dass man alle Verträge am besten unterlassen sollte, weil man dadurch nur überflüssige Kosten produziert. Man könnte fast lachen, wenn es für die Milchviehhalter nicht so ernst wäre.“

„Die Argumentation der Professoren Thiele und Tiedemann zeigt deutlich, wie extrem an einer kompletten Verlagerung des Marktrisikos auf die Milchviehhalter festgehalten werden soll“, betont BDM-Vorstand Manfred Gilch. Die entstehenden Kosten von jährlich rund 100 Mio. Euro begründen die Professoren in erster Linie mit der Preisabsicherung, die für die Molkereien durch die Vertragsbindung notwendig würde. Den Molkereien entstünden dadurch Kosten zwischen 63 und 151 Mio. €/jährlich.

„Wie selbstverständlich wird davon ausgegangen, dass diese Kosten die Milchviehhalter tragen müssen, indem man die Milcherzeugerpreise entsprechend kürzt. Gleichzeitig wird in der Studie auch empfohlen, dass die Absicherung der zukünftigen Rohmilchverwertung über Terminmärkte am besten gleich eigenverantwortlich durch die milcherzeugenden Betriebe selbst erfolgen sollte“, so Gilch und weiter. „Noch deutlicher kann man die Vollkasko-Mentalität der Molkereien zu Lasten der Milcherzeuger nicht zum Ausdruck bringen. Die Tatsache, dass man nicht einmal einen Gedanken daran verschwendet, wie das Marktrisiko gleichmäßiger innerhalb der Wertschöpfungskette verteilt werden könnte, spricht Bände. Und eben weil das so ist, brauchen wir ja überhaupt ein Umdenken und die Umsetzung des Art. 148 GMO. Dann nämlich müssen die Marktbeteiligten sich wirklich gemeinsam mit der Marktentwicklung befassen, um keine wirtschaftlichen Fehler zu machen.“

„Ich fühle mich für dumm verkauft“, kritisiert auch Milchbäuerin und BDM-Vorständin Ursula Trede. „Will man uns hier vormachen, dass Preisabsicherungssysteme uns Bäuerinnen und Bauern nichts kosten? Und ist nicht auch hinreichend bekannt, dass börsennotierte Preisabsicherungen in der Realität nur für einen gewissen Teil der Milchmengen funktionieren?“

„Sehr viel sinnvoller wäre es, sich Gedanken darüber zu machen, wie man den Milchmarkt so managen könnte, dass die Milcherzeuger mit ihren Abnehmern aus einer Position der Marktstärke heraus Vertragsbedingungen aushandeln können, die dazu beitragen, für unsere Betriebe wirtschaftliche Perspektiven zu schaffen“, fordert Karsten Hansen dazu auf, den Gedankenhorizont auch in wissenschaftlichen Analysen zu erweitern.

AbL: Art. 148 GMO muss dringend wirksam werden

Statt die Forderungen der Bäuerinnen und Bauern für eine Vertragspflicht vor Lieferung ernst zu nehmen und dafür Lösungen zu suchen, führt das Gutachten lediglich mögliche Schwierigkeiten an. heißt es bei der AbL. Ottmar Ilchmann, AbL-Milchbauer und Landesvorsitzender in Niedersachsen, erklärt: "Mit diesem Gutachten zeigt der Raiffeisenverband einmal mehr, wie weit er sich als Genossenschaft von den Bäuerinnen und Bauern entfernt hat. Dabei sollen Genossenschaften von ihrem Ursprungsgedanken her für Bäuerinnen und Bauern handeln und dazu beitragen, dass Synergien beim Ein- und Verkauf gebündelt werden, um Bäuerinnen und Bauern zu stärken. Der Verband der Genossenschaften stellt sich mit diesem Parlamentarischen Frühstück gegen die Forderungen der Milchbäuerinnen und Bauern, nämlich künftig ihre Milch nicht mehr zu liefern und im Nachhinein den Preis zu erfahren, sondern ihre Milch überhaupt verkaufen zu können. Dafür sind Verträge notwendig, in denen vorab Preise, Menge und Dauer festgeschrieben werden. Deshalb muss der Artikel 148 Gemeinsame Marktorganisation in Deutschland dringend wirksam angewendet werden. Erst dann können wir überhaupt am Markt teilnehmen, wie es in jedem anderen Wirtschaftszweig üblich ist. Die BayWa zeigt gerade eindrücklich, wie ein Genossenschaftsprinzip zu Lasten von uns Bäuerinnen und Bauern unterwandert wurde. Der Raiffeisenverband stellt sich mit diesem Gutachten ebenfalls gegen uns."

MEG Milch Board: Industriefreundliches Ergebnis

Das ife-Institut für Ernährung und Ernährungswissenschaft und der Fachbereich Agrarwirtschaft der Fachhochschule Kiel haben im Auftrag des Raiffeisenverbandes das Diskussionspapier „Analyse und Effekte von Milchliefervertragsänderungen bei Umsetzung des Art. 148 der GMO in Deutschland“ erstellt. Entsprechend industriefreundlich sind die Ergebnisse, teilt die MEG Milch Board mit.

Die Ergebnisse stehen laut MEG Milch Board in vielen Punkten in diametralem Gegensatz zu der wettbewerbsökonomischen Studie des renommierten Büros Lademann aus dem Jahr 2019, die zu dem Schluss gelangt ist, dass im Voraus konkret vereinbarte Preise für eine konkrete Liefermenge wettbewerbsökonomisch zwingend höher ausfallen als einseitig nachträglich durch die Molkereien festgelegte Preise. Die gegensätzliche Argumentation der ife-Gutachter überzeugt nach Ansicht der MEG Milch Board schon im Ansatz nicht. Sie gehen davon aus, dass der Wettbewerb und Vertragsabschluss zwischen zwei Marktteilnehmern geringere Milchpreise zur Folge haben als die jetzige Situation, in der die Molkerei einseitig ohne Wettbewerbsdruck allein den Auszahlungspreis bestimmt. „Hier werden theoretische Milchpreise von 35 Cent genannt,“ stellt der Vorstandsvorsitzende der MEG Milch Board Frank Lenz fest. „Praktisch wird es zu diesem Preis keine Milchproduktion in Deutschland geben.“

Aus Sicht der MEG Milch Board geht die Studie von grundsätzlich falschen Voraussetzungen aus. Soweit durch die verpflichtende Einführung vertraglicher Vereinbarungen von einem Eingriff in den Markt gesprochen wird, wird schon der Grundgedanke des Art. 148 verkannt, der die Erzeuger in der Wertschöpfungskette stärken soll. Die Erkenntnis, dass die Erzeuger nicht an der Wertschöpfung partizipieren, sondern durch das System der Andienungspflicht einem Wettbewerbsausschluss unterliegen, ist spätestens seit der Sektoruntersuchung Milch des Bundeskartellamtes offenkundig. „Es geht darum, durch die verpflichtende Vereinbarung konkreter Mengen und Preise vor der Lieferung den Wettbewerb zu überhaupt erst zu eröffnen“, stellt der Vorstandsvorsitzende der MEG Milch Board Frank Lenz klar. „Momentan existiert kein Markt, an dem die Erzeuger eigenverantwortlich teilhaben könnten. Einen Eingriff in den Markt, wie vom ife-Institut befürchtet, kann es damit gar nicht geben. Vielmehr wird ein freier Markt erst eröffnet, indem die vorliegenden Wettbewerbsausschlüsse abgebaut werden.“

Im Ergebnis wird nach Ansicht der MEG Milch Board deutlich, dass die Studie zugunsten der Industrie verhindern möchte, dass die Politik das aktuelle System vom Kopf auf die Füße stellt und eine Preisbildung von unten nach oben ermöglicht. Ziel und Folge ist es, jegliche Marktrisiken von den Verarbeitern fernzuhalten und diese Risiken allein den Erzeugern aufzubürden bzw. bei diesen zu belassen.

„Nach wie vor erschließt sich nicht, aus welchem übergeordneten Grund es den ausgerechnet den Milcherzeugern verwehrt werden soll, eigenverantwortlich Verträge über die auf ihren Betrieben gewonnene Milch abzuschließen und in diesem Rahmen insbesondere die zu liefernde Menge und den zu zahlenden Preis mitzubestimmen. Diese Freiheit, auf der unsere gesamte Wirtschaftsordnung aufbaut, soll es für die Erzeuger offensichtlich auch weiterhin nicht geben, um die Profite der Industrie zu sichern.“ resümiert Lenz.