Einbeziehung von Produktionskosten möglich

Welche Lehren aus dem französischen Modell gezogen werden können.

Das Agrarbündnis setzt sich im Rahmen des Projektes „Agrarmärkte nachhaltig gestalten“ mit Instrumenten zur Stärkung der landwirtschaftlichen Erzeuger:innen in der Lebensmittelwertschöpfungskette auseinander. Im Rahmen des Projektes stand bei einer Veranstaltung die fachliche Auseinandersetzung mit dem in Frankreich im Jahr 2017 eingeführten EGALIM-Gesetz im Fokus. Indem Produktionskosten in die Preisbildungsprozesse einbezogen werden, sollte dieses Gesetz für mehr Marktgleichgewicht und eine bessere Verteilung der Wertschöpfung in der Lebensmittelkette sorgen und darüber den Bauern und Bäuerinnen ein gerechtes Einkommen ermöglichen. Das EGALIM-Gesetz schreibt vor, dass Produktionskosten veröffentlicht werden müssen. In Frankreich wurde das Institut de l'Élevage (Idele, www.idele.fr) vom Branchenverband Milch (CNIEL) damit beauftragt, ein repräsentatives Verfahren zur Kostenermittlung zu entwickeln. Dies hat das Idele in Zusammenarbeit mit landwirtschaftlichen Buchhaltungszentren und Beratungsorganisationen realisiert. Das unter dem Namen Couprod eingeführte Verfahren ist von den Branchenorganisationen anerkannt und veröffentlicht die darüber ermittelten Ergebnisse zu den Produktionskosten. Für deren Berechnung werden dem Idele die nötigen Daten jedes Jahr von den landwirtschaftlichen Buchstellen übermittelt. Aktuell sind dies Daten einer repräsentativen Stichprobe von 4.000 französischen Milcherzeugungsbetrieben, die nach realer Verteilung der Milcherzeugungsbetriebe in den französischen Regionen zusammengestellt ist. Allerdings liegen die über Couprod veröffentlichten Produktionskosten um noch mindestens ein Jahr zurück. Deshalb werden den Marktteilnehmer:innen zusätzlich verschiedene Preisindizes zu landwirtschaftlichen Betriebsmitteln bereitgestellt. Anders als bei den freiwilligen deutschen Initiativen (Orientierungspreis Milch, Bio-MMI, MMI) werden vom Idele die Produktionskosten für vier unterschiedliche Referenzsysteme der Milcherzeugung ausgewiesen: jeweils für konventionelle und ökologische Milchviehbetriebe in Berggebieten und in der Ebene.

Beteiligung bei Kostenberechnung
Es gibt einige wichtige Aspekte bei der Kostenberechnung, die nur mit einer frühzeitigen Beteiligung der Erzeugerseite und über gemeinsame Einigungsprozesse für alle Seiten zufriedenstellend gelöst werden können. Gerade aus der Perspektive der Erzeuger:innen gibt es viele Fallstricke, die bei der Entwicklung des methodischen Konzeptes zur Ermittlung der Produktionskosten beachtet werden müssen. Das Idele veröffentlicht für die vier Referenzsysteme der Milchproduktion jeweils sowohl die Gesamt-Produktionskosten (alle laufenden Kosten inkl. Arbeitskosten, Abschreibungen und kalkulatorische Kosten) und den Selbstkostenpreis (Abzug der Erlöse aus weiteren Betriebszweigen sowie Abzug aller gekoppelten und entkoppelten Beihilfen von den Gesamt-Produktionskosten). Beide Referenzergebnisse können wiederum auf zwei verschiedenen Arbeitskostenniveaus basieren (1,5-facher bzw. zweifacher Mindestlohn). Das Arbeitszeitaufkommen in landwirtschaftlichen Betrieben ist statistisch nur unzureichend erfasst. Erst nach Kritik von Milcherzeugervertreter:innen wurde neben dem 1,5-fachen auch der zweifache Mindestlohn zur Ermittlung der Arbeitskosten verwendet. Aus Sicht der französischen Erzeuger:innen ist die Berechnung der Arbeitskosten dennoch unbefriedigend gelöst, weil sich der verwendete Mindestlohnsatz von 21.421 Euro pro Jahr (plus pauschal 30 Prozent Sozialbeiträge) auf den tarifvertraglichen Standard einer 35-Stunden-Arbeitswoche bezieht. Neben der unrealistischen, viel zu niedrigen Arbeitszeit und der Höhe der angesetzten Sozialbeiträge stehen zudem der Abzug von Beihilfen, die nicht mit der Milcherzeugung zusammenhängen (z. B. konkrete Leistungen für den Umweltschutz) in der Kritik. Nötige Gewinne und Abschreibungen für Investitionen, steigende Zinskosten und die Inflation sind in den Produktionskosten ebenfalls nicht berücksichtigt.

An Bedeutung gewonnen
Eine immense Bedeutung hat die Aktualität der vorgelegten Referenzindikatoren. Die vom
Idele veröffentlichten Ergebnisse zu den Produktionskosten sind nicht jahresaktuell, die für 2022 veröffentlichten Kosten basierten auf den Daten von 2020, die für das Jahr 2023 auf Daten von 2022. Für die Verarbeiter:innen galten die veröffentlichten Zahlen aber sofort als das „Maß der Dinge“. Durch den Ukraine-Krieg und die Inflation hat es viele Preisverschiebungen und Kostensteigerungen im Agrarsektor gegeben. Das EGALIM-Gesetz führte deshalb in Frankreich zu viel zu geringen Milchauszahlungspreisen („Das Gesetz hat uns eingesperrt“). Dies war für die Milcherzeuger:innen außerordentlich frustrierend. Die Ausweisung verschiedener Produktionskostenindikatoren (Gesamtkosten, Selbstkostenpreis) war bei den Verhandlungen zusätzlich verwirrend. Auch liegen nicht für alle Kostenarten auch Daten zur Preisentwicklung vor. Zu welchem Zeitpunkt die Indikatoren veröffentlicht und welche Preisindizes und Preisanpassungsmechanismen in Verträgen berücksichtigt werden, sind deshalb wichtige Verhandlungsaspekte. Das EGALIM-Gesetz hat in Frankreich insbesondere im Milchsektor eine immense Bedeutung gewonnen und zu großen Diskussionen geführt. In Deutschland wird über das EGALIM-Gesetz und seine Wirkungen bisher nur sehr allgemein berichtet. Der Deutsche Bauernverband und auch die Milchindustrie lehnen solche Instrumente kategorisch ab. Dabei nutzen sie das verkürzte Scheinargument der „Gefahr der staatlichen Preisregulierung“. Aber auch unter den eigenständigen Milcherzeugerverbänden herrscht eine große Skepsis, u. a., weil die Gesetzesinitiative in Frankreich längst nicht die erwarteten positiven Wirkungen auf die Milcherzeugerpreise hatte.

Betriebe besser bezahlt
Aber EGALIM hat auch zu Fortschritten und Veränderungen im Milchmarkt geführt und erleichtert Erzeuger:innen die Verhandlungen. Durch die Vielfalt des Milchsektors werden die Indikatoren sehr unterschiedlich genutzt. Die in den Verträgen getroffenen Regeln zwischen den Erzeuger:innen und Verarbeitern unterscheiden sich in der Realität sehr stark, abhängig davon, ob es sich um genossenschaftliche oder private Molkereien handelt, aber auch von den unterschiedlichen Produkten oder Kunden. Es gibt beispielhafte Drei-Parteien-Verträge zwischen Erzeugern, Verarbeitern und LEH, in denen die Preisformeln angepasst und eigene Indizes verwendet werden. Dadurch ist der Anteil der Milcherzeugungsmenge, dessen Preis ausgehend von den Produktionskosten verhandelt wird, größer geworden. Die Milcherzeugerpreise weisen mittlerweile eine größere Differenz auf. Gerade Molkereien, die mit dem Lebensmitteleinzelhandel zusammenarbeiten, wenden das EGALIM-Gesetz zum Teil zu 100 Prozent an. Dort werden die Erzeugerbetriebe besser bezahlt. Für die französischen Erzeuger:innen besteht grundsätzlich die Herausforderung, den Anteil der in Verträgen mit Preisformel vermarkteten Milch zu vergrößern. Bei den Verhandlungen stehen sich Akteure mit sehr unterschiedlichem Fachwissen gegenüber. Viele Erzeugerorganisationen sind nicht stark genug gegenüber den Verarbeitungsunternehmen. Durch die Vertragsgestaltung muss Transparenz am Markt geschaffen werden. Es braucht nicht nur Verträge zwischen Erzeugern und Handel, sondern eine Bündelung in wirkungsvollen Erzeugungsgemeinschaften. Das französische Beispiel zeigt, dass die Berücksichtigung von Produktionskosten als Referenzindikator für die Vertragsgestaltung möglich ist.

Auszug aus dem AgrarBündnis-Impulspapier 1/2024: Chancen neuer Regelungen zur Vertragsgestaltung in der Lebensmittelwertschöpfungskette am Beispiel des Milchsektors.