AbL veröffentlicht Perspektiven und Positionen von Betroffenen zur neuen Gentechnik

Anlässlich der angekündigten und zwischenzeitlich erfolgten Veröffentlichung der Studie der EU-Kommission zur neuen Gentechnik hat die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) im Vorfeld im Rahmen einer Pressekonferenz eine umfangreiche Broschüre mit Diskussionsbeiträgen zu neuen Gentechnik-Verfahren vorgestellt. Die AbL will damit der insbesondere von der Agrar-, Ernährungs- und Chemieindustrie vorangetriebenen Diskussion mit dem Ziel einer Deregulierung der neuen Gentechniken eine „ausgewogene Diskussion“ entgegensetzen. Annemarie Volling, Gentechnik-Expertin der AbL und Initiatorin der Broschüre, erklärt: „Für die AbL und die Gentechnikfreie Bewegung ist klar: Neue Gentechnik ist Gentechnik und muss auch als solche nach Gentechnikrecht reguliert werden. Dies hat nicht zuletzt der Europäische Gerichtshof 2018 in einem weitreichenden Urteil bestätigt. Unsere heute veröffentlichte Broschüre stellt die Perspektiven und Positionen von Betroffenen und verschiedenen Wissenschaften dar. Mit ihrer jeweiligen Expertise liefern diese wichtige Beiträge zu einer ausgewogenen Diskussion.“ Die landwirtschaftliche Perspektive beleuchtet Elisabeth Waizenegger, Milchbäuerin im Allgäu und Mitglied im AbL-Bundesvorstand: „Bäuerinnen und Bauern haben vielerorts mit enormem Engagement Gentechnikfreie Regionen sowie Vermarktungswege für gentechnikfreie Produkte aufgebaut. Für den konventionellen Landbau ist die Gentechnikanbaufreiheit Europas ein wichtiger Wettbewerbsvorteil. Im Ökolandbau ist der Einsatz von Gentechnik verboten. Eine Deregulierung der neuen Gentechnik-Verfahren, bei der nicht mehr nachvollziehbar wäre, ob und wenn ja, wo welche Gentechnik-Konstrukte freigesetzt wurden, würde diese Vermarktungsschienen unmöglich machen, da wir die Gentechnikfreiheit nicht mehr garantieren und somit unserer Verantwortung gegenüber unseren Kund*innen nicht mehr gerecht werden könnten.“ Für Dr. Eva Gelinsky, politische Koordinatorin der Interessengemeinschaft für gentechnikfreie Saatgutarbeit (IG Saatgut) existieren die Produkte respektive „Superpflanzen“, die mittels neuer Gentechnik von deren Befürwortern versprochen werden, noch nicht. "Ein genauerer Blick in die Entwicklungspipelines der Unternehmen zeigt: solche ‚Superpflanzen‘ gibt es noch nicht. Häufig vertreten sind dagegen Eingriffe in den Stoffwechsel (veränderte Fettsäure oder Stärke) und Herbizidresistenzen. Weitere Produkte, die sich bislang auf dem Weg zur Kommerzialisierung befinden, zielen auf eine zahlungskräftige Nachfrage im globalen Norden ab und haben mit einer Bekämpfung des Welthungers wenig zu tun. Anstatt auf gentechnische Lösungen zu hoffen, benötigen wir mehr Geld und mehr Stellen für eine praxisnahe, partizipative Forschung und eine gentechnikfreie konventionelle und biologische Züchtung.“ Aus Züchterperspektive bewertet Dr. Carl Vollenweider, der ökologische Getreidesorten und heterogene Populationen auf dem Dottenfelderhof züchtet, die neuen Gentechnik-Verfahren: „Die vorgeschlagenen einfachen technischen Lösungsansätze durch Gentechnik werden den komplexen Herausforderungen der landwirtschaftlichen Praxis nicht gerecht. Höhere Erträge und Trockenheitstoleranz sind komplexe Eigenschaften, an deren Ausprägung viele Gene beteiligt sind. Die Pflanzen müssen sich unter variablen Bedingungen in ständiger Wechselwirkung mit Boden- und Witterungsverhältnissen und agronomischen Maßnahmen bewähren. Alternative Ansätze der ökologischen und konventionellen Züchtung, die mehr Diversität in Sorten und Anbausystemen verankern, müssen deutlich stärker in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt werden.“ Alexander Hissting, Geschäftsführer des Verbandes Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG) erläutert die Nachweisbarkeit neuer Gentechnik-Produkte und die Perspektive der „Ohne Gentechnik“ Wirtschaft. „‚Ohne Gentechnik‘ steht bei Verbraucherinnen und Verbrauchern hoch im Kurs. Dabei gilt für sie: Gentechnik ist Gentechnik, egal ob ‚alt‘ oder ‚neu‘. Deshalb müssen Gene Editing, CRISPR und Co. ausnahmslos weiterhin als Gentechnik reguliert bleiben. Auch für Land- und Lebensmittelwirtschaft sowie den Handel ist das essenziell. Sonst wären Transparenz, Rückverfolgbarkeit und Wahlfreiheit dahin. Die Behörden müssen endlich auch Importe auf illegale Produkte neuer Gentechnik kontrollieren. Etwa mit dem Nachweisverfahren für Cibus-Raps, dessen Entwicklung der VLOG zusammen mit anderen finanziert hat, weil EU und Mitgliedsstaaten viel zu lange untätig waren.“ Katrin Brockmann, Rechtsanwältin in Berlin mit den Schwerpunkten Verwaltungsrecht und Bürgerliches Recht, sieht die Koexistenz als begrenzenden Faktor für eine Deregulierung. „Laut Antwort der Bundesregierung auf den Fragenkatalog zur EU-Kommissions-Studie wurden wissenschaftliche Untersuchungen zur Deregulierung für neue Gentechniken umfangreich gefördert. Die Ergebnisse stellen Deregulierung oft als scheinbar alternativlos dar. Die Folgen einer Deregulierung für die gentechnikfrei produzierende Wirtschaft wurden in diesen Arbeiten zumeist ignoriert. Dies verblüfft, da die gentechnikfreie Wirtschaft ohne Transparenz im Anbau und Kennzeichnung neuer und alter Gentechnik unmöglich ist. Koexistenz ist der begrenzende Faktor für Deregulierung, völlig unabhängig von den Fragen der Risiken“, so die Juristin. Die Broschüre mit dem Titel „Crispr & Co. Neue Gentechnik - Regulierung oder Freifahrtschein?“ steht zum Download hier bereit oder kann hier bestellt werden.