Heftige Reaktionen auf Aldi’s Abkehr vom Billigfleisch

Der Coup des Discounters Aldi für mehr Tierwohlfleisch sorgt immer noch für Wirkungen auf den Fleischmärkten. Von Überraschung über Lob und Freude bis zu Skepsis und deutliche Zurückweisung reicht das Spektrum der Antworten auf die Ankündigung des Marktführers. Aldi selbst äußerst sich eher zurückhaltend, gibt sich aber entschlossen, der Ankündigung auch Taten folgen zu lassen. „Das Ding drehen wir nicht wieder zurück,“ stellten die Aldi Nord und Süd Manager Klein und Scholbeck in einem top agrar-Interview klar. In der letzten Woche hatten sie die Bombe platzen lassen, dass Aldi bis 2025 keine Rinder, Schweine, Hähnchen und Puten mit niedrigen (gesetzlichen) Standard mehr verkaufen will. Und ab 2026 wird 33% und ab 2030 vollständig Frischfleisch der Haltungsstufe 3 (Außenklima) und 4 (Bio bzw. Auslaufhaltung) angeboten. Damit setzt ausgerechnet der führende Discounter ein Statement für mehr Tierwohl in einem ehrgeizigen Zeitraum und überholt alle bisherigen Planungen der bauernverbandsnahen Initiative Tierwohl (ITW) oder der Borchert-Kommission, die diese Ziele erst 2040 erreichen will. Während NGO’s wie der Deutsche Tierschutzbund oder Neuland Westfalen das Vorgehen begrüßten, wurde der Bauernverband (DBV) von dem Vorstoß überrumpelt und zeigt sich verunsichert über die Ziele ausgerechnet von Aldi. Der bayerische Verbandspräsident Heidl vermutet, dass es dem Discounter nur dreist um seine Gewinnspanne gehe. DBV-Veredelungspräsident Beringmeier ist „von dem Alleingang stark irritiert“ und glaubt, dass Aldi Nord und Süd mit dem Schnellschuss einen Fehler gemacht haben, will sie „aber wieder einfangen“, wie er bei top agrar versichert. „Ich möchte noch einmal betonen. Die Tierhaltung in Deutschland ist gut!“ Gerade das bestreitet aber der Händler faktisch ebenso wie die Borchert-Kommission, die z.B. die jetzige Schweinehaltung für nicht gesellschaftlich akzeptiert und nicht zukunftsfähig hält. Aldi sieht einen „klaren Trend“ seiner Kundinnen und Kunden „hin zu mehr Nachhaltigkeit und höherem Tierwohl,“ nicht nur vorübergehend, sondern dauerhaft. Damit widerspricht erstaunlicherweise der führende Billiganbieter der üblichen These, dass die Verbraucher zwar für bessere Tierhaltung seien, aber beim Einkauf vor dem Mehrpreis zurückschreckten. Mit diesem Argument weist seit Jahren die Branche die Forderungen nach besserer Tierhaltung zurück. Die anderen ziehen sofort nach
Nicht überraschend zogen andere Handelskonzerne umgehend nach. Kaufland und Rewe listen ab sofort frisches Schweinefleisch der (gesetzlichen) Haltungsstufe 1 aus. Auch Lidl will bis Ende 2021 sein gesamtes Schweinefrischfleisch auf Stufe 2 (Stallhaltung plus = ITW) umstellen. In den Frischetheken von Kaufland gibt es seit etwa zwei Jahren nur Schwein, Hähnchen und Pute der Stufe 3 (Stall mit Außenklima). Das erreiche man nicht mit Absichtsbekundungen, sondern indem man konkrete Maßnahmen umsetze, weist Kaufland-Geschäftsführer Rauschen den Konkurrenten zurecht. Deshalb werde man die Kooperationen mit „seinen Vertragslandwirten für Schweinefleisch“ verdoppeln. Als einziger Händler hat Kaufland bisher mit den Landwirten direkte Verträge (und nicht über die Schlachthöfe) gemacht. Für die Zukunft wird Kaufland allerdings noch etwas auf den Preis drauflegen müssen. Bisher zahlt die zur Schwarz-Gruppe gehörende Schwester von Lidl nur einen Aufpreis von 20 ct/kg (12 Cent für die Haltung und 8 Cent für die GVO-freie Fütterung) und damit deutlich weniger als andere Einzelhändler. Auch Rewe und Edeka bringen ihre Programme „Strohwohl“, „Hofglück“ oder „Bauernliebe“ für die Zukunft stärker in Stellung. Alle machen deutlich, dass es kein Zurück gibt. Der Marktbeobachter meint:
Die Agrarbranche sucht noch eine einheitliche Antwort und sieht sich unter Zeitdruck gesetzt. Man klagt, dass der Handel weder die Baugesetze noch die Genehmigungen berücksichtigt hat, keinen Preis angibt und sich vielleicht sogar im Ausland bediene - die Landwirte also das Risiko tragen. Aber das tragen die Bauern nicht allein. Mit dem konkreten Zeitrahmen macht sich Aldi angreifbar. Man kann und will sich keinen Fehlschuss erlauben, mit dem man sich auf Dauer unglaubwürdig machen würde. Im Gegenteil werden durch die Zielsetzung endlich Fakten geschaffen, die die Agrarwirtschaft immer wieder einfordert: Eine klare Perspektive und Planbarkeit – zudem mit ambitionierten Zeitplänen. Das wird eine Mammut-Herausforderung. Bisher war die Branche mit dem Alibi-Tierschutz der Initiative Tierwohl (10% mehr Platz und etwas Beschäftigungsmaterial) zufrieden, deren Zeit wohl in wenigen Jahren zu Ende geht. Nun muss man sich neue Aufgaben ausdenken. Sie könnte für die Übergangszeit eine Rolle spielen. Aber niemand kann sich mehr hinter der Politik oder den Parteien verstecken, die es nicht geregelt bekommen. Aldi und die anderen Händler überholen die zögerliche Tierhaltungspolitik der Bundesregierung der letzten acht Jahre mit einem Auftritt. Der Handel macht die Politik und wird faktisch zum Schrittmacher des Umbaus der Tierhaltung. Deutlicher kann man die Kritik nicht formulieren. Die regierende Agrarpolitik taucht ab und der agrarpolitische Sprecher der CSU im Bundestag, Auernhammer, beklagt pikanterweise den „Überbietungswettbewerb“ für mehr Tierschutz. Zeichen stehen auf Offensive
Andere Markttreue sehen in dem Antritt des Handels vielleicht noch eine Chance, die Borchert-Pläne auszuhebeln und auf die Selbstheilungskräfte der Wirtschaft zu setzen. Aber auch davor hat Aldi ein Stoppschild gesetzt. Natürlich wird der Kunde nicht den gesamten Aufpreis zahlen wollen oder können. Die Umsetzung der Finanzierungsvorschläge der Borchert-Kommission mit der staatlichen Förderung über eine erhöhte Mehrwertsteuer oder eine Tierwohlprämie sind Voraussetzung der Frischfleischinitiativen des Handels. Für die Politik, besonders die nächste Regierung ist es wohl die letzte Chance, das Heft des Handelns wieder in die Hand zu bekommen. Der Aldi-Vorstoß ist eine Steilvorlage für die Umsetzung von „Borchert“. Auch für die Branche und die Verbände-Vertreter des „Weiter so“ sollte endgültig klar geworden sein, dass Offensive die beste Strategie ist. Um es mit einem Fußball-Trainer zu sagen: Vorne schießt man die Tore zum Sieg, hinten kann man vielleicht die Niederlage verhindern.