Die „Plattform landwirtschaftliche Sozio-Ökonomie“, ein Zusammenschluss von Vertreter:innen aus Wissenschaft, Verbänden und landwirtschaftlichen Institutionen, hat ein
Memorandum zu sozialen Aspekten einer nachhaltigen Landwirtschaft vorgelegt und fordert SPD, Grüne und FDP auf, in ihren Koalitionsverhandlungen zum Thema Landwirtschaft die sozialen Rahmenbedingungen stärker zu berücksichtigen. Das Memorandum versteht sich als Petition zur Verankerung agrarsozialer Fragen im anstehenden Transformationsprozess der Landwirtschaft und geht in sieben Punkten auf den konkreten Handlungs- und Forschungsbedarf ein.
Frieder Thomas vom AgrarBündnis e.V., der die Plattform koordiniert, stellt fest: „Im Sondierungspapier von SPD, Grünen und FDP wird eine grundlegende Transformation der Landwirtschaft skizziert. Erfahrungsgemäß dominiert jedoch ein ökonomischer und technologischer Blick auf diesen Wandel. Aber innovative ökologische Produktionsweisen und deren Unterstützung durch Fördermittel reichen nicht aus. Die soziale Dimension der Transformation ist in der aktuellen gesellschaftlichen Debatte unterentwickelt. Es mangelt an Ansätzen und Studien, die die Veränderungen der Land- und Ernährungswirtschaft als komplexes gesellschaftliches Phänomen betrachten.“
Lutz Laschewski, Mitarbeiter des Thünen-Instituts für ländliche Räume, weist auf die Komplexität der Situation hin: „In der Landwirtschaft verändern sich nicht nur die Anbautechniken. Es gibt eine wachsende Vielfalt an Lebensstilen. Das Rollenverständnis der traditionellen Familienbetriebe ändert sich. Die Hofnachfolge findet nicht mehr selbstverständlich innerhalb der Familie statt. Wir stehen vor Veränderung von Betriebsmodellen und Eigentumsverhältnissen. Neue Technologien verändern das Arbeitsleben. Familienarbeitskräfte werden weniger, die Zahl der abhängig Beschäftigten nimmt zu. Wir wissen viel zu wenig, wie die Betriebe mit all diesen Phänomenen umgehen. Wenn wir aber eine nachhaltige Landwirtschaft in Bezug auf Ökologie und Ökonomie anstreben, dann brauchen wir auch bei den sozialen Rahmenbedingungen Stabilität.“ Laschewski sieht diese Festellung durch den aktuellen Bericht der Zukunftskommission Landwirtschaft bestätigt. Aus diesem Befund ergibt sich ein erheblicher politikrelevanter Forschungsbedarf, der derzeit durch wissenschaftliche Programme nicht eingefordert und durch die vorhanden institutionalisierten Strukturen auch kaum bedient werden kann.
Frauke Pirscher von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg erklärt mit Blick auf das Verhältnis zwischen Landwirtschaft und Gesellschaft ein: „Ein wachsender Anteil der Gesellschaft verfügt weder unmittelbar noch indirekt über Kenntnisse der Lebenswirklichkeit der landwirtschaftlichen Bevölkerung. Das beeinflusst das Verhältnis zwischen Landwirtschaft und Dorf, zwischen städtischen und ländlichen Regionen, zwischen Konsument:innen und Produzent:innen. Und natürlich geht es bei der Transformation nicht allein um die Landwirtschaft: Auch die Konsumpraktiken stehen heute auf vielfältige Weise selbst zur Diskussion.“
Deshalb fordert die Plattform landwirtschaftliche Sozio-Ökonomie, dass die sozialwissenschaftlichen Perspektiven auf die Landwirtschaft in wissenschaftlichen und politischen Diskursen mehr Raum einnehmen. Forschung und Beratung müssen gestärkt werden. Nur mit einem Bewusstsein für agrarsoziale Fragen kann laut der Plattform der anstehende Transformationsprozess gelingen.