Volksbegehren in der Republik

Erst war es nur in Bayern, dann kamen sie auch in Baden-Württemberg und Berlin-Brandenburg: Volksbegehren zum Schutz der Artenvielfalt. „Rettet die Bienen“ war der eingängige Slogan in Bayern, mit dem es den Initiatoren gelang, 18,4 Prozent der Wahlberechtigten zur Unterschrift zu animieren. Die Details der inzwischen in Gesetzen festgeschriebenen Regelungen und vor allem ihre Auswirkungen auf die Landwirte traten während des Prozesses hinter dem Slogan zurück. Wer wollte auch kein Bienenretter sein? Ohne die konkreten Umsetzungen nochmals zu beleuchten (siehe BS 3/19), zeigt der Ablauf die große, auch emotionale, Anteilnahme an dem Volksbegehren in Bayern, eine für die Landwirtschaft wichtige Entwicklung, auch wenn diese nicht gerade erst begonnen haben dürfte. Die Gesellschaft entdeckt ihr Interesse an der Landwirtschaft. Vielleicht war es die Einführung des Biosiegels im Jahr 2001, vielleicht waren es die Kampagnen gegen Gentechnik auf den Feldern, mit denen die Auseinandersetzungen um die Art und Weise, in der unsere Lebensmittel auf den Feldern wachsen, so in die Öffentlichkeit getragen wurden, dass diese daran Anteil nahm. Bei Bio wohl eher kritisch hinterfragend, bei Gentechnik sich informierend ablehnend. In den vergangenen Jahren sind – durch die Berichterstattung, aber auch durch gezielte Informationskampagnen, die immer wieder auftretenden Lebensmittelskandale und eine immer schärfere Diskussion um die Berechtigung von EU-Subventionen für Landwirte – auch die Qualität der Tierhaltung, der Schutz des Grundwassers und ganz aktuell der Artenschutz in den Fokus des gesellschaftlichen Interesses gerückt. Und ganz offensichtlich gibt es große Diskrepanzen zwischen den gesellschaftlichen Vorstellungen und der landwirtschaftlichen Wirklichkeit. Der vom Bauernverband immer wieder eingeforderte Vertrauensvorschuss, „ Wir wissen wie es geht. Wir machen das schon!“, wird nicht mehr gewährt. Stattdessen wollen alle mitreden. Und damit steht die Angst der in der Stadt Lebenden vor Giftwolken aus Pestiziden, mit Nitrat verseuchtem Grundwasser und einer ausgeräumten toten Landschaft der Angst der in der Landwirtschaft Tätigen gegenüber, die sich einer anonymen Menge von Kritikern gegenüber sehen, die ein nicht selten diffuses Bild von Landwirtschaft zeichnet, immer neue Auflagen fordert und meist wenig Einblicke in den landwirtschaftlichen Alltag und die ökonomische Situation auf den Betrieben hat. Grund für Veränderung Dass es aber nicht einfach nur um mehr Bullerbü, um die Verwirklichung eines städtischen Traums von Landlust geht, das zeigen die verschiedenen wissenschaftlichen Studien. Der Weltagrarbericht zeigt, dass eine kleinbäuerliche Landwirtschaft nach ökologischen Grundsätzen die Welternährung sichert, Ressourcen und Natur schont und demokratische Strukturen fördert. Für Deutschland benennt der wissenschaftliche Beirat die Probleme in der Tierhaltung, der Nitratbericht erfasst die Grundwassersituation und der UN-Artenschutzbericht (IPBES) warnt vor einem massiven Insektensterben. Und über allem droht der Klimawandel massive Veränderungen an. Was wäre leichter und beruhigender, als die Schuldigen zu suchen und von ihnen die „nötigen“ Veränderungen zu fordern. Ist es das, was gerade passiert? Wir haben erkannt – ihr müsst handeln? Ein Dilemma Bei einem vom WWF initiierten zweijährigen Gesprächsprozess zwischen Landwirtschafts- und Naturakteuren wurde das weitgehende Fehlen von Naturschutz in der „produzierenden Landwirtschaft“ bemängelt. „Das liegt auch daran, dass einerseits die Fachkräfte des Naturschutzes in ihrer Ausbildung in der Regel die Grundlagen und Praxis der Landwirtschaft kaum kennenlernen – und andererseits die bäuerliche Lehre und das Landwirtschaftsstudium nur sehr wenig Wissen über ökologische Zusammenhänge mit sich bringen.“ so das zusammenfassende Protokoll. Zu den wenig wahrgenommenen Anforderungen an Bäuerinnen und Bauern zählen in besonderer Weise die ökonomischen Herausforderungen. Wirtschaften im System Natürlich bestehen ökonomische Abhängigkeiten in der gesamten Landwirtschaft, ganz unabhängig von der Wirtschaftsweise. Vor allem haben sich aber über Jahrzehnte, gefördert von einer Politik, die günstige Lebensmittel garantieren will, Abnahme und Verarbeitungsstrukturen entwickelt, die schon aufgrund ihrer Größe die freie Wahl des Abnehmers landwirtschaftlicher Produkte einschränken. Genannt seien hier nur die Molkereien oder die großen Getreidehandels- und Schlachtunternehmen. Spezialisierung, Rationalisierung und damit Kostenersparnis waren und sind die bekannten Reaktionen auf den Höfen. Wie in vielen anderen Bereichen auch wurden externalisierte Kosten für Umwelt und Gewässerschutz nicht eingepreist, wird Tierschutz nicht bezahlt, solange das Schnitzel nicht an Marktwert leidet. Mach doch Bio In allen derzeit bekannten Volksbegehren zum Artenschutz wird ein deutlicher Ausbau des ökologischen Landbaus gefordert. Vielleicht liegt es an den Worten Ökologie und ökologischer Landbau, dass bei vielen Menschen das Gefühl entsteht: Wenn nur alle Bio machen, ist auch der Artenschutz gesichert. Dabei war die „Ökologie“ ursprünglich eine neutrale Wissenschaftsdisziplin, die sich auch durch die Impulse des Club of Rome in den 70er Jahren zu einer positiven Norm entwickelte, die heute einen umweltverträglichen Umgang mit der Natur beschreibt. Ökologischer Landbau ist also gut und konventioneller schlecht? Der in diesem Zusammenhang entscheidende Unterschied in der Wirtschaftsweise ist der Verzicht auf chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel und mineralische Dünger. Unbeachtet bleibt allerdings die für die Artenvielfalt entscheidende Frage nach den Größen- und Landschaftsstrukturen. Übersehen wird, dass auch ökologisch wirtschaftende Betriebe unter einem zunehmenden ökonomischen Druck stehen. Dessen massive Auswirkungen auf Strukturen und Wirtschaftsweisen zeigt der auf Natur und Agrarthemen spezialisierte Journalist Stephan Börnecke in seinem Beitrag in der Ökologie&Landbau (1/19) auf: „ Aber wachsende Schlaggrößen, verringerte Saumstrukturen, hohe Saatgutreinheit, intensive, wenn auch mechanische Unkrautbekämpfung sowie ein hoher Anteil an Wintergetreide können viele Vorteile des Ökolandbaues wieder zunichtemachen. Dieser unheilvolle, aus ökonomischem Druck entstehende Trend muss aufgehalten werden.“ Vielfalt braucht Strukturen Schon in der 90er Jahren zeigten faunistische Untersuchungen in der Wetterau, östlich von Frankfurt, dass die Vielfalt auf dem Acker in erster Linie von dessen Größe und den zur Verfügung stehenden Saumstrukturen als Rückzugs- und Wiederbesiedlungsrefugium abhängt. Ob die Fläche ökologisch oder konventionell bewirtschaftet wurde, spielte, wenn überhaupt, nur eine nachgeordnete Rolle. Für die untersuchten Käfer, Spinnen und Schwebfliegen stellt der Acker einen extremen Lebensraum dar. Bestanden mit vorwiegend einer Pflanze bietet er keine Vielfalt und wird mit der schlagartigen Ernte im Sommer zur lebensfeindlichen „Wüste“. Es sind also die vielfältigen Feldränder, Hecken und Gräben, die Vielfalt ermöglichen. Und dabei bieten Strukturen mit kleinen Feldern mehr als große. Den Schlag einfach teilen und Weizen neben Gerste anbauen, löst dieses Problem nicht. Im Gegensatz zu den Forderungen nach einer Trennung von intensiv landwirtschaftlich genutzten Gebieten und Naturschutz weist Prof. Dr. Teja Tscharntke, Leiter der Abteilung Agrarökologie der Uni Göttingen, auf die enge Verflechtung von Biodiversität und Landwirtschaft hin: „Viele Arten sind auch für den Landwirt von Nutzen. In den Kulturlandschaften Europas sind viele schützenswerte Arten an extensiv bewirtschaftete Lebensräume angepasst. Diese Arten sind durch die zunehmende landwirtschaftliche Intensivierung bedroht.“ In ihrer interdisziplinären Studie zur Frage nach Trennung oder Integration von Naturschutz in „Produktionslandschaften“ argumentieren die Forschenden für eine stärkere Integration dieser beiden kontrastierenden Konzepte. „Moderne und nachhaltige Agrarlandschaften erfordern sowohl landsparende und ertragreiche Produktionsgebiete, unberührte Lebensräume als auch extensiv bewirtschaftete Flächen. Diese Kombination ermöglicht nicht nur die höchste Artenvielfalt, sondern fördert auch Ökosystemdienstleistungen wie die Bestäubung und biologische Schädlingsregulierung durch Insekten und Feldvögel. Diese sind für eine nachhaltige Agrarproduktion essenziell“, so der Autor Dr. Ingo Grass. Gemeinsam umbauen Wenn es jetzt zu Recht darum geht, die negativen Auswirkungen einer einseitig auf Produktivität getrimmten Landwirtschaft mit niedrigen Preisen und geringen Gewinnspannen abzubauen und damit in einer gesamtheitlichen Betrachtung die Qualität des Produktionsprozesses und in der Folge auch der Produkte zu erhöhen, bedarf dies eines Prozesses, bei dem die Landwirte die zentrale Rolle haben, aber nicht allein gelassen werden dürfen. Ganz besonders, wenn man landwirtschaftliche Strukturen erhalten will, die überhaupt erst in der Lage sind, die Vielfalt auf den Äckern, Wiesen und Feldern zu erhalten.