Bayern: Volksbegehren Artenvielfalt kritisiert mangelhafte Umsetzung der mit der Landesregierung vereinbarten Ziele und Maßnahmen

Vier Jahre nach dem in Bayern erfolgreichen Volksbegehren Artenvielfalt, das auch von der AbL Bayern unterstützt wurde, zieht der Trägerkreis eine ernüchternde Bilanz bezüglich der Umsetzung der damals am Runden Tisch vereinbarten Ziele und Maßnahmen und übt deutliche Kritik an der bayerischen Landwirtschaftsministerin Michaele Kaniber (CSU). Die sieht demgegenüber alle Maßnahmen umgesetzt, Bayern bei der Sicherung der Biodiversität auf Top-Niveau und beim Ökolandbau als Vorreiter und kritisiert ihrerseits den Trägerkreis.

Der Trägerkreis des Volksbegehrens, die Ökologisch-Demokratische Partei Bayern (ÖDP), der Landesbund für Vogelschutz in Bayern (LBV), die bayerischen Grünen und die Gregor Louisoder Umweltstiftung (GLUS), sehen ihr Anliegen in Übereinstimmung mit dem kürzlich von fast 200 Staats- und Regierungschefs in Montreal beschlossenen internationalen Biodiversitätsabkommen. Die wichtigsten Bausteine des bayerischen Volksbegehrens, um auf das Konto des internationalen Abkommens einzuzahlen, sind dabei laut Trägerkreis die Umsetzung eines Biotopverbunds, der Ausbau des Ökolandbaus und die Reduktion des Pestizideinsatzes.

Die Volksbegehren-Zielmarke, den Öko-Landbau auf 30 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche auszudehnen, ist für den Trägerkreis eines der wichtigsten Ziele, um eine reale Veränderung für die Artenvielfalt zu erreichen. Dieses Ziel werde aber selbst vom Staat selbst nicht erreicht und auch beim Einkauf der öffentlichen Hand liege der Anteil von Biolebensmitteln „im kaum messbaren Bereich“. Als Fazit bleibe nur: „Die Ministerin muss dringend an ihren gesetzlichen Auftrag erinnert werden, den ihr 2019 so viele Menschen gegeben haben“, so Agnes Becker, Beauftragte des Volksbegehrens und ÖDP-Landesvorsitzende.

Datengrundlage für Pestizideinsatz weiterhin nötig

„Bayern ist Vorreiter mit einem gesetzlich verankerten Pestizidreduktionsziel. Sowohl auf EU-Ebene als auch in Montreal wurde beschlossen, dass die negativen Auswirkungen von Pestiziden bis zum Jahr 2030 halbiert werden sollen“, schreibt der Trägerkreis. Und der LBV-Vorsitzende Norbert Schäffer erklärt: „Um negative Einflüsse auf Lebensräume und Tier- und Pflanzenarten zu reduzieren, muss insbesondere der Pestizideinsatz verringert werden. Wir brauchen dafür eine solide Datengrundlage für den Einsatz von Pestiziden und ein konkretes Reduktionsziel in Abhängigkeit der Schädlichkeit der Wirkstoffe sowie eine Reduktion der mit Pestiziden bewirtschafteten Fläche.“

Einsatz für Biotopverbund läuft schleppend

Im Dezember 2022 wurde der zweite Statusbericht zum Biotopverbund der Staatsregierung veröffentlicht. Er ist nach Ansicht des Trägerkreises deutlich ausführlicher und schlüssiger mit nachvollziehbaren Kriterien für die Auswahl von Flächen für den Biotopverbund. Dazu erklärt Ludwig Hartmann, Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen im Bayerischen Landtag: „Mit einem echten Biotopverbund können wir das Artensterben in Bayern aufhalten. Da wollen, da müssen wir hin – und mit uns rund 18 Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung in Bayern! Anstatt Biotop-Einöden braucht es ein weit verzweigtes Geflecht über das ganze Land. Um dahin zukommen, muss die Staatsregierung endlich Kartenmaterial erstellen, von dem deutlich abzulesen ist, wo Kern- und Verbindungsflächen des Verbundes bestehen und wo Lücken klaffen. Besser heute als morgen gilt es, diese Lücken gezielt zu schließen und die Qualität der Kernflächen zu verbessern. Erst dann wird ein bayerischer Biotopverbund Wirkung zeigen. Die Staatsregierung ist aber vier Jahre nach dem erfolgreichen Volksbegehren weiter viel zu träge. Anstatt auf freiwillige Mithilfe zu warten, muss sie aktiv und ressortübergreifend auf mögliche Kooperationspartner zugehen!“

Sorge: Landtag will Ausweisung von Schutzgebieten keine Priorität einräumen

Die Natur braucht nach Ansicht des Trägerkreises Rückzugsorte, an denen der Mensch nicht eingreift und stört. „Dafür brauchen wir unsere Schutzgebiete.“ Sowohl in der Biodiversitätsstrategie der EU als auch im Montreal-Abkommen wurde festgelegt, dass 30 Prozent der Erdoberfläche als Schutzgebiete ausgewiesen werden sollen. Die bayerischen Naturwälder sind laut Trägerkreis wichtiger Bestandteil für die Ausweisung eines grenzüberschreitenden Schutzgebietsnetzes. „Die Bayerische Staatsregierung hat mit der Ausweisung nutzungsfreier Naturwälder auf insgesamt 83.000 Hektar, zuletzt in den Illerauen und im Nürnberger Reichswald, entschlossene Schritte zur Umsetzung des Volksbegehrens unternommen. Große Sorgen bereiten uns aber aktuelle Anträge aus dem Landtag, nach denen sich Bayern von den nationalen und internationalen Bemühungen zur Ausweisung von Schutzgebieten distanzieren und entgegen der gesetzlichen Festlegung durch das Volksbegehren dem Schutz der biologischen Vielfalt im Staatswald keine Priorität einräumen soll“, kommentiert Claus Obermeier, Vorstand der Gregor Louisoder Umweltstiftung.

Kaniber: Vereinbarte Ziele und Maßnahmen umgesetzt und angepackt

„Bayern sichert Biodiversität auf Top-Niveau“, erklärt angesichts der Kritik des Trägerkreises die Bayerische Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber. Was am Runden Tisch Arten- und Naturschutz an Gemeinsamkeit erreicht worden sei, dürfe jetzt nicht zerredet werden, der Konsens nicht aufs Spiel gesetzt werden. Kaniber verwies darauf, dass das Landwirtschaftsministerium nahezu alle Maßnahmen des Runden Tisches umgesetzt habe. Maßnahmen mit späteren Zielen oder Daueraufgaben seien durchweg angepackt. Der Freistaat Bayern sei mit den 2019 beschlossenen Maßnahmen Vorbild für andere Bundesländer. „Der Freistaat ist führend bei Agrarumweltmaßnahmen. Auch unser neues Kulturlandschaftsprogramm bleibt im bundesweiten Vergleich einmalig. Wir haben die höchsten Fördersätze für den Ökolandbau bundesweitet. Es ist enttäuschend, wie schlecht Teile des Aktionsbündnisses über die zahlreichen Aktivitäten der Staatsregierung Bescheid wissen. Ich erwarte mir, dass das Aktionsbündnis ehrlich mit den aktuellen Zahlen und dem Erreichten umgeht. Mit Hilfe der Öko-Modellregionen bringen wird außerdem die regionale und ökologische Produktion weiter voran. Wir unterstützen alle Betriebe dabei, nachhaltiger und ökologischer zu arbeiten und zu regionalen Wertschöpfungsketten beizutragen. Wer die Umsatzeinbrüche aktuell bei Bio ignoriert, schiebt nur den Bauern die Schuld zu. Der Ausbau des Ökolandbau ist nur entlang der Marktentwicklung möglich, sonst entsteht ein zusätzlicher Preisdruck auf Ökobauern“, erklärt die Ministerin.

Beim Ökolandbau sei Bayern in Deutschland Vorreiter nicht nur bei der finanziellen Unterstützung, sondern mit dem neuen Programm BioRegio 2030 auch beim Schwerpunkt Beratung vor Ort und Unterstützung der Vermarktung. Der Freistaat unterstütze den Ökolandbau jährlich mit rund 110 Millionen Euro. „Aber klar ist, dass die Verbraucher bei der derzeitigen Inflation beim Einkauf stärker auf den Preis achten. Deshalb brauchen wir die Umweltverbände als Partner, die dafür werben müssen, dass die Kunden beim Einkauf auf Regional und Bio achten. Bio einkaufen kann man nicht befehlen, auch wenn manche scheinbar davon träumen“, so Kaniber.

Auch in den staatlichen Gütern werde die Vorbildfunktion gelebt. Neben dem Versuchsgut Neuhof seien auch die Flächen des Staatsguts Schwaiganger im Mai 2020 auf ökologische Bewirtschaftung umgestellt worden. Damit betrage der Ökoanteil bei den Bayerischen Staatsgütern bereits seit 2021 30 Prozent.

Kaniber betonte ferner den gesamtgesellschaftlichen Auftrag des Volksbegehrens. „Auch die Gartenbesitzer, die Kommunen, die Wirtschaft und die Kirchen müssen Verantwortung übernehmen, wir brauchen für weitere Fortschritte alle Beteiligten“, so Kaniber. Jeder könne und müsse einen Beitrag für mehr Biodiversität leisten. Die Bayerische Landwirtschaftsministerien erklärte aber auch, dass verschiedene Zielkonflikte die Bemühungen erschweren würden: „Wenn wir in ganz Bayern mit Steuergeldern Zäune in die Landschaft stellen sollen, um unsere Weidetiere vor dem Wolf zu schützen, dann dient das der gewollten Biotopvernetzung sicher nicht. Geben die Bauern die Weidehaltung von Schafen, Ziegen oder Rinder gar auf, wäre das ein deutlicher Verlust für die Biodiversität.“

21.02.2023
Von: FebL/PM

Der Trägerkreis des Volksbegehrens Artenvielfalt am vierten Jahrestag (oben von links: Claus Obermeier/GLUS, Agnes Becker/ÖDP, Ludwig Hartmann/Die Grünen, Norbert Schäffer/LBV) sowie Michaela Kaniber. Fotos: Volksbegehren Artenvielfalt; Hauke Seyfarth/StMELF