Bei Fahrten über Land fällt mir dieses Jahr auf, dass noch an vielen Stellen Heu steht. Streifen an Rainen, Böschungen und Straßenrändern, aber auch kleine Inseln in vielen Hausgärten. Ebenso die vielen Ecken, Winkel oder Bachränder, die noch nicht gemäht worden sind. Das hat sicherlich damit zu tun, dass die Themen Artenschutz und Artenvielfalt momentan sehr präsent sind. Das Schöne daran ist, dass die Menschen dies alles tun, ohne dass es bis jetzt irgendeine Regelung dazu gibt. Natürlich wird man auch im Naturschutzbereich um Vorschriften nicht herumkommen. Ein Beispiel sind die Gewässerabstandsflächen, die nur so flächendeckend durchzusetzen sein werden. Aber oft könnte sicherlich mit Information und manchmal auch Diskussion schon sehr viel erreicht werden.
Viele Naturschutzvertreter – und auch manche Politiker – würden jetzt gerne die ordnungsrechtliche Keule schwingen und sehen Verbote, Vorschriften und Gesetze als die Mittel der Wahl bei der Umsetzung von mehr Artenvielfalt. Viele von ihnen kämpfen schon seit Jahren, wenn nicht gar Jahrzehnten, für mehr Natur- bzw. Artenschutz und wurden bis jetzt nie so richtig gehört. Dass sie nun die Gunst der Stunde, in der die Forderung aus der Mitte der Gesellschaft kommt, nutzen wollen, um möglichst schnell viel zu erreichen, ist verständlich. Es stellt sich aber die Frage, ob auf diese Weise, ohne eine aktive Mitnahme der Bäuerinnen und Bauern, nicht dem Biodiversitätsziel mehr geschadet als genutzt wird. Ich würde mir wünschen, dass die Vertreter des Naturschutzes genauer analysieren, warum manche ihrer Forderungen oder Äußerungen selbst bei Bäuerinnen und Bauern, die für den Artenschutz aufgeschlossen sind, großes Unverständnis oder Unmut hervorrufen. Ich wünsche mir auch, dass sie sich wirklich bewusst machen, dass genau diese Bäuerinnen und Bauern zum Erreichen der Naturschutzziele notwendig sind.
Es ist unbestritten, dass der Verlust der Artenvielfalt dramatische Ausmaße angenommen hat. Aber das Thema ist sehr komplex. Der Erhalt der Vielfalt lässt sich nicht nur auf dem einen Königsweg erreichen. Es gibt eben nicht nur die Alternative falsch oder richtig, sondern wie so oft ganz viel dazwischen. So wären auch bei 100 % Ökolandbau die Probleme nicht automatisch gelöst. Sicher, eine massive Reduktion von Pestiziden und mineralischem Dünger oder weitere Fruchtfolgen würden unbestritten ein großen Beitrag zum Arten- und Naturschutz leisten. Ein Mehr an Strukturen in der Flur wäre damit aber nicht automatisch verbunden. Dabei sind diese Übergangsbereiche mit ihren vielfältigen Lebensräumen für die Biodiversität enorm wichtig. Ein strukturreicher konventioneller Betrieb kann durchaus einen größeren Beitrag für die Artenvielfalt leisten als ein intensiv geführter Ökobetrieb mit großen Schlägen und wenig Struktur.
Es sind aber nicht nur die großen Projekte, die der Artenvielfalt dienlich sind. Oft sind es Maßnahmen, die ohne viel Aufwand bei der Bewirtschaftung mit erledigt werden können, z. B. mal eine Ecke stehen lassen und erst beim nächsten Schnitt mit mähen. Das schafft ökologische Inseln, die für manche Tierarten, z. B. Insekten, überlebensnotwendig sind. In diesen Fällen geht es hauptsächlich um die Vermittlung der Zusammenhänge, das Drandenken und Ausprobieren.
Ein Aspekt darf allerdings bei der ganzen Diskussion um mehr Artenschutz und Artenvielfalt nicht zu kurz kommen: Diese Tätigkeiten, die wir Bäuerinnen und Bauern hier verrichten, müssen als gesellschaftliche Leistungen anerkannt werden und, wenn sie nicht „nebenher“ laufen, sondern aufwändiger sind, auch von der Gesellschaft entlohnt werden. Am deutlichsten würde diese Anerkennung ausgedrückt durch eine Bindung der EU-Direktzahlungen u. a. an ökologische Kriterien, denn im bestehenden agrarpolitischen System hat eine Landwirtschaft, die auch die Biodiversität berücksichtigt, das Nachsehen. Es ist ein Paradox, dass über die zweite Säule im Prinzip der Versuch unternommen wird, die negativen Folgen dieses Systems, das in der ersten Säule gestützt wird, zu reparieren oder wenigstens abzumildern.
Um bei diesem Thema wirklich etwas voranzubringen, muss es gelingen, die Beteiligten, also Bäuerinnen und Bauern, Naturschützer, Wasserwirtschaft und Landschaftspfleger, schon im Vorfeld anstehender Entscheidungen an einen Tisch zu bringen. Wenn es den Beteiligten dann gelingt, ihre Feindbilder hintenanzustellen, um die Beweggründe der jeweils anderen zu verstehen und im nächsten Schritt gemeinsam Lösungen zu erarbeiten, dann kann etwas richtig Rundes dabei herauskommen.