Soziale Bewegungen und indigene Völker stellen sich gegen den UN-Gipfel zu Ernährungssystemen und fordern echten Wandel der Ernährungssysteme

Vom 24. bis 26. Juli 2023 findet in Rom, einberufen vom Generalsekretär der Vereinten Nationen (UN), eine Bestandsaufnahme zu dem vor zwei Jahren erfolgten Gipfeltreffen der UN zur Transformation der Lebensmittelsysteme, um den Hunger zu bekämpfen, statt. Die Veranstaltung unterstreicht laut Veranstalter, dass die Transformation der Lebensmittelsysteme der Schlüssel zur Verringerung der CO2-Emissionen und zur Einhaltung des 1,5C-Ziels des Pariser Abkommens ist und dass sie die Zusammenarbeit mit großen Lebensmittel- und Agrarunternehmen erfordert. In einer Erklärung (People’s Autonomous Response to the UNFSS) prangern die größten Bewegungen für globale Ernährungsgerechtigkeit, Kleinbäuer*innenorganisationen sowie indigene Völker stellvertretend für Millionen Menschen auf der ganzen Welt den umstrittenen Ansatz der Vereinten Nationen im Kampf gegen Hunger und Unterernährung an.

In seiner Eröffnungsrede zu der Veranstaltung (UN Food Systems Summit+2 Stocktaking Moment;UNFSS+2) erklärt UN-Generalsekretär António Guterres: "Die globalen Ernährungssysteme sind kaputt - und Milliarden von Menschen zahlen den Preis dafür. Mehr als 780 Millionen Menschen hungern, während fast ein Drittel aller produzierten Lebensmittel verloren geht oder verschwendet wird. Mehr als drei Milliarden können sich keine gesunde Ernährung leisten".

„Kaputte Lebensmittelsysteme“ sind nach Ansicht des Generalsekretärs jedoch nicht unvermeidlich. „Sie sind das Ergebnis von Entscheidungen, die wir getroffen haben. Es gibt mehr als genug Lebensmittel auf der Welt, um sie zu verteilen. Es gibt mehr als genug Geld, um effiziente und nachhaltige Lebensmittelsysteme zu finanzieren, um die Welt zu ernähren, und gleichzeitig menschenwürdige Arbeit für diejenigen zu unterstützen, die die Lebensmittel anbauen, die wir essen", so Guterres.

Die Dringlichkeit koordinierter Maßnahmen zur Überwindung der globalen Hungerkrise betonen auch Vertreter*innen der People’s Autonomous Response to the UNFSS und heben dabei die Notwendigkeit hervor, besonders die Rechte und Forderungen der am stärksten von der Hunger-, Klima- und Gesundheitskrise betroffenen Menschen zu erfüllen. Sie kritisieren die Orientierung des UNFSS-Ansatzes an den Interessen der Lebensmittel- und Agrarkonzerne.

„Der UNFSS hat nicht nur unsere Rechte und die strukturellen Ursachen der Krisen ignoriert“, sagt Saúl Vicente vom International Indian Treaty Council, „die Absicht der Organisatoren des Gipfels ist es, uns das Projekt konzern- und industriegeleiteter Ernährungssysteme als Transformation zu verkaufen.“

Die Bewegungen und Organisationen, die sich dem Gipfel entgegenstellen, fordern eine dringende Abkehr von konzerngesteuerten Modellen der Ernährungsindustrie und eine Ausrichtung an agrarökologischen und gemeinschaftlich verwalteten Ernährungssystemen, die dem Gemeinwohl Vorrang vor dem Profit weniger einräumen.

„Die Rechte der Menschen auf Zugang zu und Kontrolle über Land und produktive Ressourcen müssen garantiert und agrarökologische Produktionsmodelle sowie bäuerliches Saatgut gefördert werden“, erklärt Ibrahima Coulibaly, Präsident des Netzwerks westafrikanischer Bäuer*innen und landwirtschaftlicher Produktionsorganisationen (ROPPA).

Der UN-Gipfel von vor zwei Jahren löste eine beispiellose weltweite Gegenmobilisierung aus. Hauptanliegen der Gipfelkritiker*innen war und ist der wachsende Einfluss von Konzernen und ihren Lobbyorganisationen innerhalb der Vereinten Nationen.

„Ernenne den Bock nicht zum Gärtner“, warnt Patti Naylor von der US-amerikanischen Organisation National Family Farm Coalition: „Die Agrar-, Lebensmittel- und Datengiganten scheren sich nicht um demokratische Entscheidungsstrukturen in den Vereinten Nationen – sie nutzen die UN ausschließlich für ihre Profite.“

Ein echter Wandel der Ernährungssysteme für die Menschen und den Planeten sei dringend notwendig und möglich. Bei den derzeitigen Hungerzahlen werde die UN ihr Ziel für nachhaltige Entwicklung (SDG), den Hunger bis 2030 zu beseitigen, jedoch nicht erreichen. Diese anhaltende und systemische Krise ist das Ergebnis von politischem Versagen. Sie sei das Resultat der Verfolgung eines problematischen Weges, der zur Verschärfung von Ungleichheiten und Abhängigkeiten, zur Zerstörung der Umwelt und der Biodiversität sowie zu Folgewirkungen führt, welche die globale Schulden- und Klimakrise verschärfen.

„In den letzten zwei Jahrzehnten haben Menschen aus der ganzen Welt konkrete und wirksame Strategien zur Bewältigung der Klima- und Ernährungskrise vorgestellt, die auf der Achtung der sozialen und ethnischen Vielfalt, Gerechtigkeit sowie der Menschen- und Kollektivrechte beruhen. Dazu gehören vor allem Ernährungssouveränität, Agrarökologie, Revitalisierung der biologischen Vielfalt, territoriale Märkte sowie eine solidarische Wirtschaft“, so Shalmali Guttal von Focus on the Global South. „Die Beweise sind überwältigend – die Lösungen, die von Kleinbäuer*innen und indigenen Völkern entwickelt wurden, ernähren nicht nur die Welt. Sie fördern auch die Geschlechter-, soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit, die Stärkung der Jugend, Arbeiter*innenrechte und die tatsächliche Widerstandsfähigkeit gegen Krisen. Warum sehen die politischen Entscheidungsträger*innen das nicht und bieten keine angemessene Unterstützung?“

Ein neuer FIAN International Bericht, Food Systems Transformation – In which direction?, der parallel zu der Erklärung der People’s Autonomous Response to the UNFSS veröffentlicht wurde, fordert eine Änderung der Welternährungsarchitektur , um Entscheidungsfindungen zu gewährleisten, die dem Gemeinwohl und dem Menschenrecht auf Nahrung Vorrang einräumen.

„Die Gemeinschaften an der vordersten Front der Ernährungskrise werden von den Konzernen als Alibi benutzt, um Gewinne zu steigern. Die Tragödie ist, dass die politischen Entscheidungsträger*innen auf dem Ernährungssysteme-Gipfel die weitaus wirksameren Ideen sozialer Bewegungen zur Beendigung des Hungers ignorieren“, sagt Raj Patel, Professor, preisgekrönter Autor und Filemacher.

„In Zeiten wachsenden Hungers und zahlreicher Krisen ist es dringender denn je, dass die Regierungen und die Vereinten Nationen uns zuhören“, fordert Perla Álvarez von La Vía Campesina. „Wir rufen Sie auf: Ändern Sie die Richtung und unterstützen Sie unsere Forderungen und Bemühungen für eine ernährungssouveräne Zukunft, die auf den Menschenrechten sowie den Prinzipien der Agrarökologie, Fürsorge, Gerechtigkeit, Vielfalt, Solidarität und Rechenschaftspflicht basiert.“

Zu den Unterzeichnern der People’s Autonomous Response to the UNFSS gehören aus Deutschland unter anderem: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, Agrar Koordination, Forum Umwelt und Entwicklung, Netzwerk Solidarische Landwirtschaft, INKOTA-netzwerk, FIAN, Brot für die Welt.