Kommt jetzt der schnelle "Tierwohl-Cent"?

Als eine Konsequenz aus den Bauernprotesten hat Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir einen „Tierwohl-Cent“ als konkreten Schritt zu einer dauerhaft gesicherten Finanzierung für den Umbau der Tierhaltung vorgeschlagen. Eine solche, von der Borchert-Kommission als Tierwohl-Abgabe benannte Fleisch-Abgabe, findet auch Unterstützung von Verbraucher- und Tierschutzorganisationen.

Laut Minister Özdemir könne sein Ministerium und das Finanzministerium ein Modell für einen „Tierwohl-Cent“ schnell aufschreiben. Erforderlich dafür sieht er ein „klares Bekenntnis“ der gesamten Ampel und die Unterstützung der Opposition. „Wer sich da vom Acker macht, zeigt der Landwirtschaft die rote Karte“, so der Minister. Den von der Borchert-Kommission genannten Aufschlag von 40 Cent pro Kilogramm Fleisch hält Özdemir für nicht erforderlich, es könne mit weniger ausgekommen werden. Auch Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) sagte, wenn man die Probleme nicht über eine Veränderung im Mehrwertsteuersystem angehen wolle, sei ein „Tierwohl-Cent“ die sinnvollste Möglichkeit, die notwendigen Investitionen jetzt zur Verfügung zu stellen.

Tierschutzbund: Tierwohlabgabe muss Zusatzgelder für den Umbau der Tierhaltung generieren

Angesichts der erneut aufflammenden Debatte um eine so genannte Tierwohlabgabe, wiederholt Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, seine Forderung, die Einnahmen aus einer solchen Abgabe zweckgebunden für Investitionen in mehr Tierschutz in der landwirtschaftlichen Tierhaltung zu verwenden. Schröder warnt davor, diese Abgabe nur als Maßnahme zu debattieren, um Haushaltslöcher zu stopfen oder die zurückgenommenen Kürzungen beim Agrardiesel und der KFZ-Steuer im Agrarsektor zu kompensieren.

„Eine so genannte Tierwohlabgabe kann ein vernünftiger Schritt sein, um Landwirte zielgerichtet bei Investitionen in mehr Tierschutz in der landwirtschaftlichen Tierhaltung zu unterstützen. Ich warne aber davor, diese Abgabe in der aktuellen Debatte dazu zu missbrauchen, um Haushaltslöcher zu stopfen. Die Abgabe muss zusätzliche Gelder bringen, weil der Staat bisher keine ausreichenden Fördermittel für Stallumbauten und mehr Tierschutz zur Verfügung stellt. Zudem muss dringend geklärt werden, mit welchen Kriterien die Verwendung der zweckgebundenen Mittel hinterlegt wird“, so Schröder.

Sollte geplant sein, diese Gelder für den Umbau der Systeme nach staatlichem Kennzeichen für die Stufen „Stall“ und „Stall+Platz“ zu verwenden, dann wäre das nach Ansicht des Tierschutz-Präsidenten ein Missbrauch dieser Zusatzeinnahmen. „Denn das System „Stall+Platz“ hat nichts mit Tierschutz zu tun. Der vom mecklenburg-vorpommerschen Landwirtschaftsminister Till Backhaus ins Rennen geworfene Vorschlag, die bisher vorgesehene und ohnehin zu knapp bemessene Förderung über 1 Milliarde Euro für Stallumbauten zu streichen und dafür die geplante Streichung der Agrardieselsubvention auszugleichen und zurückzunehmen, ist absurd, und würde ein Ende jedweder notwendigen Transformation der Tierhaltung bedeuten“, erklärt Schröder. Wer Haushaltslöcher stopfen wolle, der könne zum Beispiel die bisher noch geltende Subventionierung von tierischen Lebensmitteln beenden. Laut Umweltbundesamt würde allein die Anhebung der Mehrwertsteuer für Fleisch von 7 auf 19 Prozent insgesamt 5,4 Milliarden Euro Mehreinnahmen bringen.

ProVieh: Tierwohlabgabe zügig umsetzen

Die Nutztierschutzorganisation ProVieh fordert nach eigenen Worten seit langem den nachhaltigen Umbau der Tierhaltung hin zu einem artgemäßen Haltungssystem. Sie begrüßt daher die jüngsten Äußerungen von Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir zur Einführung der Tierwohlabgabe, die im Rahmen des Dialogs im Zuge der Bauernproteste in Berlin endlich auch auf Unterstützung aus den Reihen von SPD und FDP trifft, so ProVieh. Die Tierwohlabgabe könne die langfristige Finanzierung für den dringend notwendigen Umbau der Tierhaltung sicherstellen. ProVieh ruft die Bundesregierung dazu auf, die Tierwohlabgabe zügig umzusetzen und damit einen nachhaltigen Beitrag zur Schaffung tierschutzkonformer landwirtschaftlicher Betriebe zu leisten.

"Die Tierwohlabgabe ist eine langfristige Finanzierungsmöglichkeit für einen echten Umbau der Tierhaltung und den permanenten Ausgleich höherer Betriebskosten in der Tierwohlhaltung. Damit könnten die drängenden Probleme von Anbindehaltung über Qualzucht bis hin zu Verstümmelungen angegangen und die Zukunft der tierschutzkonformen landwirtschaftlichen Tierhaltung in Deutschland gesichert werden. Schon wenige Cent mehr pro Kilo Fleisch würden bedeuten, dass unsere Landwirt:innen Tiere besser schützen können – so, wie es laut Umfragen gesellschaftlich gewünscht wird. Wer es mit einer zukunftsfähigen Tierhaltung in Deutschland wirklich ernst meint, muss einer Tierwohlabgabe zustimmen", betont Anne Hamester, Geschäftsführerin von ProVieh.

Die aktuellen Bauernproteste machen die Notwendigkeit einer solchen Finanzierung laut ProVieh noch einmal besonders deutlich. Für Planungssicherheit, eine langfristige Finanzierung des Umbaus und den Erhalt der Tierhaltungsbetriebe auf hohem Tierschutzniveau werden verschiedene Finanzierungsinstrumente diskutiert. ProVieh setzt sich für eine zweckgebundene und mengenbezogene Tierwohlabgabe ein, um sicherzustellen, dass die Einnahmen tatsächlich in den Umbau der Landwirtschaft fließen. Diese Abgabe könnte beispielsweise auf alle tierischen Produkte erhoben werden und so gezielt bei den Betrieben ankommen.

ProVieh betont die Verhältnismäßigkeit der geforderten Erhöhungen für eine tiergerechte Erzeugung. Die vorgeschlagene Tierwohlabgabe würde den Warenkorb einer durchschnittlichen Verbraucherin oder eines durchschnittlichen Verbrauchers in Deutschland um 35 Euro pro Jahr verteuern, die Wertschätzung für tierische Erzeugnisse steigern und weitere wichtige Anreize für weniger Lebensmittelverschwendung setzen. Die Kostensteigerung ist damit gerecht und gerechtfertigt, um den im Grundgesetz verankerten Tierschutz als Staatsziel in Deutschland endlich zu gewährleisten

vzbv: Tierwohlabgabe darf keine Dauerlösung sein

Der Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv) äußerte sich gegenüber top agrar ebenfalls positiv zu einer Tierwohlabgabe. Diese dürfe aber keine Dauerlösung sein. „Verbraucher:innen wünschen sich höhere Standards bei der Tierhaltung. Das zeigt die Empfehlung des Bürgerrats Ernährung, der sich für eine Tierwohlabgabe ausspricht, um den Umbau der Tierhaltung zu finanzieren", sagte Ramona Pop, Vorständin des vzbv. Ohne finanzielle Unterstützung werde sich die derzeitige Tierhaltung aller Voraussicht nach nicht verändern. Deshalb sei die Tierwohlabgabe ein wichtiger Schritt hin zu einer zukunftsfähigen Tierhaltung. Doch der vzbv fordert eine Befristung. "Die Tierwohlabgabe kann und darf aber nicht die Dauerlösung sein. Den Umbau durch Steuergelder zu unterstützen ist sinnvoll, allerdings zeitlich beschränkt. Langfristig müssen sich am Markt kostendeckende Preise bilden", sagte Pop laut top agrar.

In dem aktuellen Frust der Landwirt:innen sieht der vzbv ein Symptom einer tiefergehenden Grundproblematik. Die Landwirtschaft müsse grundlegend transformiert werden, doch es fehle an klaren politischen Leitlinien. Zwar werde über den Umbau von Subventionen und Bürokratieabbau diskutiert, das konkrete Ziel dieser Maßnahmen sei jedoch unklar.

„Verbraucher:innen wünschen sich, dass ihre Lebensmittel zu höheren Tierschutz-, Umwelt- und Sozialstandards erzeugt werden. Das zeigen auch die vorgestellten Empfehlungen aus dem Bürgerrat Ernährung. Diese sehen unter anderem eine Tierwohlabgabe vor, welche den Umbau der Tierhaltung finanzieren und die bäuerliche Landwirtschaft unterstützen soll. Viele Landwirt:innen sind bereit für Veränderungen und setzen sich für eine nachhaltigere Landwirtschaft ein. Dafür brauchen sie jedoch Unterstützung, unter anderem durch faire Preise, gerechte Marktstrukturen und finanzielle Förderung von Nachhaltigkeitsmaßnahmen“, erklärt Popp.

Die Folgen der Corona Pandemie und des russischen Angriffs auf die Ukraine hätten gezeigt: „Ein ‚Weiter so‘ können wir uns bei der Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion nicht leisten. Die Bundesregierung muss ein Gesamtkonzept für eine zukunftssichere Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion vorlegen. Die Maßnahmen aus der Zukunftskommission Landwirtschaft müssen umgesetzt werden. Davon profitieren dann auch die Verbraucher:innen.“