Umbau der Tierhaltung über Mehrwertsteuererhöhung auf Fleisch muss zu 100 Prozent auf den Höfen landen

Die Finanzierung des Umbaus der Tierhaltung über eine Erhöhung der Mehrwertsteuer auf Fleisch wird vom Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverband (WLV) grundsätzlich begrüßt, muss dabei jedoch zu 100 Prozent auf den Höfen landen. Abgelehnt wird diese Finanzierungslösung demgegenüber vom Bundesverband der Deutschen Wurst- und Schinkenproduzenten (BVWS).

Die von der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) vorgeschlagene Finanzierung des Umbaus der Tierhaltung sieht eine Mehrwertsteuererhöhung für Fleischprodukte auf den Regelsatz vor, sodass zur Finanzierung des Tierwohls die Mehrwertsteuer von derzeit sieben auf dann 19 Prozent angehoben werden könnte. Der WLV begrüßt grundsätzlich den Ansatz zur Mehrwertsteuererhöhung auf Fleischprodukte, sieht jedoch noch erheblichen Korrekturbedarf.

„Voraussetzung für die Finanzierung von mehr Tierwohlställen über eine Anhebung der Mehrwertsteuer auf Fleischprodukte ist, dass gesetzlich verankert wird, dass die so gewonnenen Mehreinnahmen vollumfänglich – ich sage ausdrücklich zu 100 Prozent – auf die Höfe gelangen und hier für den Umbau, Neubau oder Anbau von Ställen hin zu mehr Tierwohl genutzt werden können. Zudem muss die Anhebung des Mehrwertsteuersatzes schrittweise, entsprechend dem Finanzierungsbedarf für Tierwohlmaßnahmen, erfolgen. Darüber hinaus ist sicherzustellen, dass die Finanzierungsmittel für alle Betriebe – unabhängig von ihrer Größe – zugänglich sind“, betont Hubertus Beringmeier, der Präsident des WLV.

Die Mehrwertsteuerhöhung auf Fleisch muss nach Maßgabe des WLV für Betriebe eine Planungssicherheit von mindestens 20 Jahren bieten. Dies könnte über langfristige Verträge mit landwirtschaftlichen Betrieben abgesichert werden. Darüber hinaus bedarf es nach Einschätzung des WLV dringender Änderungen des Bundesimmissionsschutzgesetzes. Bisher sei eine Privilegierung oder Abweichung von den Vorgaben des Bundesimmissionsschutzgesetzes im Sinne einer Verbesserungsgenehmigung für Tierwohlställe nicht ausreichend gegeben. Änderungen vorhandener Stallbauten hin zu mehr Tierwohl können in der Folge bisher nicht realisiert werden. „6.800 schweinehaltende Betriebe in Westfalen-Lippe, eine der viehhaltungsstärksten Regionen Deutschlands, sind mit Blick auf die Zukunft der Tierhaltung seit Jahren in Wartestellung. Das vom Bundeslandwirtschaftsministerium initiierte und im vergangenen Jahr verabschiedete Bundesförderprogramm mit einem Volumen von 1 Milliarde Euro kann ein erster Anschub sein. Für einen breiten Umbau der Tierhaltung ist die Förderung jedoch nicht ausreichend“, unterstreicht Hubertus Beringmeier.

BVWS befürchtet gravierende Auswirkungen auf die Branche

Der Bundesverband der Deutschen Wurst- und Schinkenproduzenten (BVWS) lehnt die von der ZKL vorgeschlagene Anhebung des reduzierten Mehrwertsteuersatzes auf tierische Produkte – anders als der WLV – entschieden ab. Eine solche Anhebung hätte seiner Ansicht nach „gravierende wirtschaftliche Auswirkungen auf unsere Branche“. Durch sinkende Umsätze und Gewinne könnten Unternehmen gezwungen sein, Stellen abzubauen, ihre Produktion einzuschränken oder in das benachbarte Ausland zu verlagern. Dies hätte nicht nur negative Auswirkungen auf die Fleischwarenproduktion in Deutschland, sondern auch auf die gesamte Wertschöpfungskette, einschließlich Landwirtschaft und Einzelhandel. Angesichts dieser weitreichenden wirtschaftlichen und strukturellen Folgen sei die Verteuerung tierischer Produkte um 12 % völlig fehl am Platz.

Durch die staatliche Verteuerung von Fleisch und Fleischprodukten würden einkommensschwache Bevölkerungsgruppen überproportional stark belastet werden und könnten sich hochwertige tierische Lebensmittel nur noch sehr eingeschränkt leisten. Zudem würde die Anhebung der Mehrwertsteuer auf tierische Produkte besonders hochwertige Produkte im gehobenen Preissegment, wie beispielsweise Ware der höheren Haltungsstufen und Bio-Ware, zusätzlich verteuern und damit die bereits heute bestehende sehr eingeschränkte Nachfrage der Verbraucher weiter reduzieren. Die hierfür vorgeschlagene Kompensation über eine höhere Tierwohlprämie würde zu Lasten der Schweinehalter der Haltungsformen Frischluftstall und Auslauf/Weide gehen, denn der bereitgestellte Betrag von einer Milliarden Euro für einen Zeitraum von vier Jahren für den Umbau der Tierhaltung kann nur einmal verteilt werden. Eine Mehrwertsteuererhöhung auf Fleisch und Fleischerzeugnisse in Deutschland würde auch zu einem erheblichen Wettbewerbsnachteil gegenüber ausländischen Unternehmen führen. In anderen Ländern der Europäischen Union gebe es keine vergleichbare Steuerbelastung für tierische Erzeugnisse. Dies würde bedeuten, dass deutsche Unternehmen im internationalen Wettbewerb klar benachteiligt wären, Marktanteile verlieren und die heimische Produktion vermehrt durch Importe ersetzt würde.
„Die Anhebung der Mehrwertsteuer dient nicht dem Umbau der Landwirtschaft, sondern zielt auf den Abbau der landwirtschaftlichen Tierhaltung“, erklärt der BVWS und verweist auf Äußerungen von Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir, der laut Tagesspiegelbericht vom 11.04.2024 begrüße, dass die Kommission anrege, die Mehrwertsteuer auf Fleisch schrittweise zu erhöhen und gleichzeitig bei Obst und Gemüse auf null zu setzen, denn dies „hätte auch eine gesundheitsförderliche Lenkungswirkung und unterstützt so auch die Ackerbauern und den Gartenbau“.

Unter anderem mit Verweis auf zunehmende regulatorische europäische und nationale Anforderungen in Bezug auf Nachhaltigkeit und Umweltschutz sehen sich die Wurst- und Schinkenproduzenten einem Strukturwandel ausgesetzt, der eine konsequente Anpassung an die sich verändernden Verbraucherpräferenzen, Nachhaltigkeitsziele und technologische Entwicklungen erfordert. „Durch die nun geplante Anhebung der Mehrwertsteuer auf tierische Produkte werden die von unseren Unternehmen bereits eingeleiteten Transformationen konterkariert und ad absurdum geführt. Wir sind überzeugt, dass sich ein nachhaltiger Wandel anders besser durchsetzt“, erklärt die BVWS-Präsidentin Sarah Dhem. Wie die bereits eingeleiteten Transformationen aussehen und wie sich dieser Wandel besser durchsetzen lässt, teilt der BVWS in seiner Stellungnahme nicht mit.

24.04.2024
Von: FebL/PM

Eine höhere Mehrwertsteuer auf Fleischerzeugnisse muss nach Ansicht des WLV zur Finanzierung des Umbaus der Tierhaltung 100 Prozent auf den Höfen landen. Foto: Marco Rückauer/Pixabay