Ja zum Umbau der Tierhaltung mit Finanzierung der Mehrkosten

In der Agrarpolitik sind Versuche, große Problemlagen durch ein Gesamtkonzept lösen zu wollen, mindestens selten. An Konflikten und Zündstoff gibt’s kein Mangel, aber an konstruktiven Lösungen umso mehr, ganz besonders, wenn sie im Konsens widerstreitender Interessen entstehen. Umso mehr Beachtung verdienen die Empfehlungen zum grundlegenden Umbau der deutschen Nutztierhaltung, die jetzt das „Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung“ unter dem Vorsitz des ehemaligen Bundeslandwirtschaftsministers Jochen Borchert (CDU) vorlegt und an Bundesministerin Julia Klöckner (CDU) übergeben hat. In der „Borchert-Kommission“ haben seit April 2019 Verbände aus Land- und Fleischwirtschaft, Umwelt- und Verbraucherschutz, Bundesländer sowie Wissenschaftler/innen und Praktiker/innen mitgearbeitet.

Handlungsbedarf

Ausgangspunkt des Papiers ist die nüchterne Feststellung, dass „große Teile der Nutztierhaltung gegenwärtig weit von den gesellschaftlich gewünschten Haltungsbedingungen entfernt“ seien. Die bisherigen Maßnahmen reichten nicht aus, „um im gesamten Sektor ein hinreichendes Tierwohlniveau zu erreichen“. Alle Mitglieder des Kompetenznetzwerkes sehen handfesten Veränderungsbedarf. Als Ziel formulieren sie „die vollständige Überführung der deutschen Nutztierhaltung“ bis zum Jahr 2030 mindestens in Stufe 1 des vom BMEL geplanten dreistufigen Tierwohlkennzeichens und bis 2040 mindestens in Stufe 2. Für die Schweinemast heißt Stufe 2: rund 50 Prozent mehr Platz, spaltenfreie und weiche oder eingestreute Liegeflächen, möglichst Kontakt zu Außenklima und kein Schwanzkupieren. Aber „Tierschutz kosten Geld“. Für die Stufe 2 wird mit Mehrkosten von (netto) 38 Ct/kg Schlachtgewicht gerechnet (+23 %), für die Stufe 3 sind es 59 Cent/kg mehr (+ 36 %). „Angesichts offener Märkte sowohl innerhalb der EU wie zunehmend auch an den EU-Außengrenzen sowie einer begrenzten Zahlungsbereitschaft von Verbraucherinnen und Verbrauchern an der Ladenkasse ist offensichtlich, dass die Kosten eines hohen Tierwohlniveaus für den Sektor insgesamt nur zu geringen Teilen am Markt erlöst werden können. Eine Finanzierungsstrategie, die neben den Mehrerlösen aus einer Marktdifferenzierung maßgeblich auf einer staatlichen Förderung beruht, würde der Nutztierhaltung hingegen eine Erhöhung der Wertschöpfung pro Produkteinheit erlauben, die potentiell Mengenrückgänge ausgleichen könnte („Qualitäts- statt Mengenwettbewerb“ oder „Weniger-aber-besser-Strategie“)“, heißt es im Papier.

Tierwohlprämie für Mehrkosten

Folglich plädiert das Kompetenznetzwerk dafür, die höheren Kosten zu 80-90 Prozent durch eine staatliche Förderung auszugleichen. Weil die laufenden Kosten den größten Anteil an den Mehrkosten haben, solle der Schwerpunkt der Förderung auf einer jährlichen Tierwohlprämie liegen. Der Förderbedarf für alle Tierarten zusammen wird für das Jahr 2025 auf 1,2 Mrd. Euro und für 2040 auf 3,6 Mrd. Euro pro Jahr geschätzt. Damit die Bauern und Bäuerinnen sich darauf verlassen können, dass die Förderung die nächsten Berliner Regierungswechsel übersteht, soll die Förderung in Verträgen zwischen Staat und den einzelnen Betrieben „über eine Laufzeit von z.B. 20 Jahren“ festgelegt werden.

Tierwohlabgabe zur Finanzierung

Zur Finanzierung des Förderbedarfs von absehbar stolzen 3,6 Milliarden Euro pro Jahr hat das Kompetenznetzwerk mehrere Möglichkeiten diskutiert. Als beste bzw. aussichtsreichste Lösung erscheint dem Kreis eine Tierwohlabgabe, die rechtlich als mengenbezogene Verbrauchssteuer gestaltet wird (ähnlich der Alkopopsteuer). Die Tierwohlabgabe solle auf der Endverbraucherstufe wie z.B. dem Supermarkt oder Restaurant erhoben werden, um inländische und importierte Lebensmittel gleich zu belasten. Denkbar sei ein Steuersatz von 40 Cent je kg Fleisch und Fleischverarbeitungsprodukte, zwei Cent je kg Milch, Frischmilchprodukte und Eier sowie von 15 Cent pro kg Käse, Butter und Milchpulver. Um Haushalte mit niedrigem Einkommen durch die Einführung der Tierwohlabgabe nicht stärker zu belasten, empfiehlt das Gremium eine sozialpolitische Flankierung etwa durch eine Anhebung der Hartz-IV-Sätze, eine Absenkung der Einkommenssteuer in niedrigen Einkommensgruppen oder durch pauschale Transfers an Haushalte mit niedrigem Einkommen.

Ordnungsrecht anziehen

Die „Borchert-Kommission“ spricht sich aber nicht nur für eine Förderung von deutlich mehr Tierwohl aus. In Kombination mit Förderung soll auch das Ordnungsrecht verschärft werden: Im Jahr 2030 soll Stufe 1 des BMEL-Tierwohlkennzeichens zum gesetzlichen Mindeststandard werden, im Jahr 2040 dann die Stufe 2. Zwingende Voraussetzung dafür sei allerdings, dass die EU die Fortführung der Förderung zulasse für diejenigen Tierwohlanforderungen, die „über das EU-Niveau und insbesondere über das Niveau in den wichtigsten EU-Wettbewerbsländern“ hinausgehen. Außerdem müsse das Genehmigungsrecht geändert werden, damit Ställe auch zu Tierwohlställen umgebaut oder solche auch neu gebaut werden können. Nun liegt das Papier auf den Tischen von Bundesministerin und Bundestagsfraktionen. Borchert möchte erreichen, dass der Bundestag in einer breit getragenen Entschließung die Empfehlungen der Kommission begrüßt und die Bundesregierung zur Umsetzung auffordert. Der Berufstand wiederum müsse die Chance erkennen und seinerseits Druck auf die politisch Verantwortlichen ausüben: „Abwarten reicht nicht.“