Grünland übers Kuhmaul nutzen!

Meine Eltern hatten medizinische Berufe: Hebamme und Arzt. Vermutlich wurde ich deswegen schon früh Geburtshelfer. Das erste Kalb, bei dessen Geburt ich spontan half, hieß – in Anlehnung an meinen Spitznamen – Klein-Ossi. Später, während Lehre und Studium, sind Kühe meine Leidenschaft geworden – der Kuhherde bei Morgengrauen vom Schuppendach des Lehrbetriebes aus zuzuschauen, während der Altbauer unten nach mir suchte, waren absolute Glücksmomente. Seit dieser Zeit haben bei mir Milchviehhalter einen Stein im Brett.

Was ich damals lernte: Um Kühe kümmert man sich auf dem Hof besonders intensiv, da gibt es eine besondere Tier-Mensch-Beziehung. Und wenn es zum Schlachthof ging, gab mir der Lehrherr einen Heiermann (fünf D-Mark) für die Treiber mit, damit seine Kuh vor Ort nicht lange warten musste. Im Frühling kam die Herde zeitig auf die Weide. Die Tiere fraßen vor allem Gras und machten daraus Milch, aus der leckere Produkte für uns Menschen wurden. Und sie hatten dabei im Vergleich zu Mastschweinen und Bullen ein gutes Leben.

Doch stimmt das heute noch? Laut Statistik ist die Weidehaltung rückläufig, trotz aller Beteuerungen, wie gut und wichtig Weide für Tiere, Umwelt und Klima ist. Das ist kein Wunder: Jahrzehntelang wurden Laufställe für größere Kuhbestände gefördert und die Bindung der Milchquote an die Futterfläche wurde aufgelöst. In Ostdeutschland kommt noch grade jede zehnte Kuh aufs Grünland. Laut Rinderreport Schleswig-Holstein liegt der Kraftfuttereinsatz bei sogenannten „Spitzenbetrieben“ bei über 30 Doppelzentnern, bei Kuhverlusten von über fünf Prozent! Die jahrzehntelange einseitige Zucht auf maximale Milchleistung fordert ihren Tribut. Um die Tiere irgendwie nach Laktationseinsatz durchzubringen, wird gedrencht, werden Infusionen verabreicht; der Einsatz von Hormonen zur Fruchtbarkeitsbehandlung wurde zum Normalfall. Trotz immer besserer landwirtschaftlicher Ausbildung zeichnet die großangelegte Praerie-Studie von 2020 in puncto Tiergesundheit ein verheerendes Bild. Ich bin froh, dass aber auch wieder immer mehr Landwirte – entgegen der Offizialberatung – andere Wege als die maximale Leistung anstreben.

Und der Markt? Vor wenigen Monaten lagen die Milchpreise auf einem Allzeithoch, nun bricht er ein. Von dem Auf und Ab sollte man sich nicht irremachen lassen, die Orientierung am Weltmarktpreis ist ja politisch gewollt gewesen. Daran wird man kurzfristig kaum etwas ändern können. Viel wichtiger ist doch die Frage, wohin die Reise längerfristig gehen wird. Ackerflächen werden knapper und teurer, die Klimadebatte wird mit steigenden Hitzerekorden und häufigeren Dürren immer schärfer werden.

Und die Verbraucher reagieren bereits: Der Absatz nicht nur von Frischmilch und Butter, sondern auch von Käse ist rückläufig. Laut BLE wurden 2022 umgerechnet vier Prozent weniger Milchprodukte verzehrt, das entspricht 15 Liter pro Kopf und Jahr. Klar, die Preise waren im vergangenen Jahr hoch, Verbraucher haben nicht nur weniger Fleisch gegessen, sondern auch häufiger zu Hafermilch und Margarine gegriffen. Doch dass nun auch der Verzehr von Käse, der eigentlich klassische Ersatz für Wurst auf dem Brot, zurückgeht, lässt mich aufhorchen. Vielleicht stehen wir vor einer Zeitenwende. Firmen wie Formo können schon heute identisches Milchprotein im Fermenter herstellen und kommen mit ihren Produkten bald auch bei uns auf den Markt. Es ist doch nur eine Frage der Zeit, wann dort in riesigen Industrieanlagen zu ähnlichen Kosten Milch und Käse ohne Kuhbeteiligung produziert werden können. Für das Klima und den Flächenverbrauch sind das vermutlich gute Nachrichten, für die Nahrungsmittelindustrie auch. Doch wo bleiben da die Bauern und Bäuerinnen?

Ich glaube, dass bei der Milch kein Weg daran vorbeigeht, in Zukunft auf Qualität, Tierwohl und gute Grundfutterverwertung zu setzen. Die Nutzung des Grünlandes übers Kuhmaul ist eine Win-win-win-Lösung, für Tierwohl, Artenvielfalt und Klima. Dass Weidemilch sich auch für die Milcherzeuger rechnet, dafür sollten wir uns gemeinsam gegenüber Milchwirtschaft, LEH und Politik einsetzen.
Ansonsten könnte der Milcherzeugung eine ähnlich schwierige Zukunft drohen wie der Schweinehaltung.