Die Versorgungssicherheit gewährleistet der ländliche Raum

Strom aus erneuerbaren Energien legt deutlich zu, erzeugt wird er vor allem auf dem Land.

Der Ausbau des erneuerbaren Stroms übertrifft die gesetzten Ziele und hat im ersten Halbjahr 2024 einen Anteil von fast 60 Prozent erreicht. Insbesondere Photovoltaik (PV) wird im Rekordtempo ausgebaut, im letzten Jahr gab es einen Zuwachs von über 14.000 Megawatt (Ziel der Bundesregierung waren 10.000 MW). Es gibt inzwischen über 3,5 Millionen Besitzer von PV-Anlagen. Am Ende des Jahres werden es weit über vier Millionen sein. Zudem sind inzwischen über eine Million Batteriespeicher installiert.

Auch Windkraft nimmt endlich Fahrt auf. Bei Neugenehmigungen hat es im ersten Halbjahr 2024 einen Zuwachs um 32 Prozent gegeben, allerdings konzentriert auf einige Bundesländer, die die neuen Gesetze der Ampel nutzen. Andere Bundesländer, insbesondere Bayern und Sachsen, betreiben nach wie vor Verhinderungspolitik, klagen aber über zu wenig Strom und fehlende Stromleitungen. Vom Ausbau der Erneuerbaren profitieren Landwirtschaft und ländlicher Raum in besonderer Weise: Unzählige PV-Anlagen auf Dächern von Bauernhöfen, Biogasanlagen und Beteiligungen oder Verpachtungen an Windkraftflächen zeugen davon.

 

Günstiger Strom

Die Strompreise für Neuverträge sind für Verbraucher, Gewerbe und Industrie dank des Ausbaus der Erneuerbaren günstiger als vor Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine. Abgeschafft ist auch die EEG-Umlage. Die immer noch kursierende Erzählung vom angeblich ständig steigenden Strompreis ist ein Märchen, das mit der Wirklichkeit nichts mehr zu tun hat.

Die Eigenerzeugung von Strom aus erneuerbaren Quellen steigt erfreulich an. Dieser Strom wird ohne Nutzung des öffentlichen Netzes (und ohne Netzentgelte) direkt – ggf. nach Zwischenspeicherung – verbraucht. Jede und jeder kann inzwischen günstig Strom selbst erzeugen: Bauernhöfe, Hauseigentümer, Mieter mit Balkonsolaranlagen, Gewerbe und Industrie mit PV (auf Dächern und Parkplätzen von Gewerbebetrieben), Windkraft (z. B. Windkraftanlagen bei Salzgitterstahl) und Bioenergie (z. B. Altholz bei Boehringer Ingelheim). Strom ist nicht länger allein in der Macht von drei oder vier Stromkonzernen. In rasantem Tempo wird die Stromversorgung dezentral und damit unempfindlicher gegen kriegerische, terroristische oder Cyber-Attacken. Und die Stromversorgung ist in kurzer Zeit sehr viel unabhängiger vom Import von Energierohstoffen geworden, von russischer Kohle, Erdgas und Uran.

Nicht zuletzt: Die Stromerzeugung ist sehr viel klimafreundlicher geworden. Nur noch weniger als 20 Prozent des Stroms stammen aus Braun- und Steinkohle. Wenn behauptet wird, die Kohleverstromung und der dadurch verursachte CO2-Ausstoß seien angestiegen, so erweist sich auch dies als faktenfreies Märchen. Der CO2-Ausstoß ist 2023 auf den Tiefststand von 674 Millionen Tonnen gesunken. Das Klimaziel des Klimaschutzgesetzes (maximal wären 720 Millionen Tonnen zulässig gewesen) wird deutlich übererfüllt. Auch die Landwirtschaft hat ihr Sektorziel eingehalten. Nur der Verkehr hat seins gravierend überschritten. Das wird aber durch die CO2-Einsparung im Energiesektor deutlich überkompensiert.

 

Also alles gut im Strombereich?

Nein, nicht wenn man die diskutierten Lösungen für das aktuell wichtigste Problem betrachtet: nämlich den Ausgleich der schwankenden Stromproduktion von Sonne und Wind und damit die Versorgungssicherheit, wenn zu wenig Wind- und Sonnenstrom vorhanden sind. Auch bei zu viel Wind- und Sonnenstrom gibt es ein Problem, weil dann der erneuerbare Strom keinen Marktwert mehr hat und Einspeisevergütungen zukünftig absehbar entfallen werden. Die Lösungen sind, anders als vielfach behauptet, technisch verfügbar. Es geht jetzt darum, welche den Vorzug erhalten und wer profitieren wird. Ein Teil des Problems wird durch Batteriespeicher aller Größen gelöst werden, angefangen vom häuslichen Speicher bis hin zu Großspeichern, die beispielsweise den Tagesverbrauch von 80.000 Haushalten decken. Zur Lösung beitragen werden die zeitdynamischen Stromtarife, die jeder Stromanbieter ab dem 1. Januar 2025 anbieten muss. Der Strompreis schwankt je nach Tageszeit und der zeitlich steuerbare Verbrauch wird in die Stunden verlegt, in denen reichlich billiger Wind- und Sonnenstrom vorhanden ist.

Die Bundesregierung setzt in ihrer Kraftwerksstrategie auf den Neubau von Erdgaskraftwerken, von denen der größere Teil wasserstofffähig sein soll. Das ist sehr teuer und klimafeindlich. Selbst wenn Erdgaskraftwerke nach zehnjähriger Übergangszeit auf grünen Wasserstoff umgerüstet werden, würden bis dahin mindestens fünf Millionen Tonnen CO2 pro Jahr zusätzlich emittiert.

 

Biomassepaket

Durch die Flexibilisierung der vorhandenen rund 10.000 Biogasanlagen kann die notwendige flexible Leistung von 12.000 MW sofort klimafreundlich geliefert werden. Dazu ist allerdings eine Umrüstung der Anlagen in Biomassespeicherkraftwerke notwendig. Bisher produziert der größere Teil der Biogasanlagen noch 24 Stunden an jedem Tag im Jahr Strom, also sowohl im Sommer bei Stromüberschuss dank hoher PV-Erzeugung als auch im Winter bei Stromdefizit. Zukünftig müssen Biomasse und Biogas saisonal gespeichert und nur in Strommangelzeiten (maximal ein Viertel der Jahresstunden) – dann aber mit vierfach höherer Leistung – Strom einspeisen. Dazu wird keine zusätzliche Biomasse, kein zusätzlicher Hektar Mais benötigt.

Natürlich kostet diese Umrüstung Geld. Sie ist aber viel billiger und schneller umzusetzen als neue Gaskraftwerke und stärkt die Wirtschaftskraft des ländlichen Raums. Die gegenwärtige Kraftwerksstrategie verschafft der Gasindustrie ein wettbewerbswidriges Monopol für flexible Stromerzeugung. Die spannende politische Auseinandersetzung wird auch mit Blick auf das Wettbewerbs- und Kartellrecht in der EU stattfinden: Monopol im Interesse der Gaskonzerne oder dezentrale Lösung durch Landwirtschaft und ländlichen Raum?

Hoffnung macht ein jetzt von Bundeswirtschaftsminister Habeck angekündigtes „umfassendes Biomassepaket“. Durch eine Überarbeitung des Energiewirtschaftsgesetzes soll flexibel nutzbarer Strom aus Biomasse dazu beitragen, die wetterabhängigen Schwankungen der Stromerzeugung aus Sonne und Wind auszugleichen und Biomasseanlagen sollen stärker in die Wärmeversorgung integriert werden. Als „positives Beben in Berlin“ begrüßt der Fachverband Biogas das von Minister Habeck angekündigte „Biomassepaket“ und fordert, „schnell Nägel mit Köpfen zu machen und die guten Ansätze in konkrete Maßnahmen umzusetzen“.

 

Dr. Thomas Griese, ehrenamtlicher stellvertretender Vorsitzender des Landesverbandes Erneuerbare Energien NRW und ehem. Staatssekretär im Umwelt- und Landwirtschaftsministerium NRW und später im Umwelt- und Energieministerium Rheinland-Pfalz