Kommentar: Agrarpolitik ist plötzlich wieder ein Thema

Damit hat die Politik vermutlich nicht gerechnet. Die über Nacht beschlossenen Sparmaßnahmen im Agrarbereich sollten durch den Wegfall der Dieselbeihilfe und die Streichung des Kraftfahrtsteuerprivilegs knapp eine Milliarde Euro im Haushalt des Bundes einsparen. Beide Maßnahmen zusammen hätten die allermeisten Betriebe hart getroffen, ohne dass sie etwas hätten kompensieren können. Das war dann doch zu viel für die Betriebe, und ein nie da gewesener Bauernprotest war die Folge.

Aber wenn wir ehrlich sind, geht es den Bäuerinnen und Bauern nicht nur um den Wegfall der Agrardieselvergünstigung – die Aufhebung der Kfz-Steuerbefreiung war zwischendurch wieder zurückgenommen worden – es ist mehr, was sich die letzten Jahre aufgestaut hat. Rote Gebiete, in denen das Düngen stark eingeschränkt wird, eine Pflanzenschutzreduzierungsstrategie erst vom Bund und dann von der EU, die einige Betriebe in Existenznöte bringt und andere weitestgehend verschont, sowie, nicht zu vergessen, fehlende Planungssicherheit beim Stallbau sind noch nicht alle Punkte, die den Landwirt(innen) viele Sorgen machen. Viele haben das Gefühl, dass die persönlichen Schicksale, die durch ordnungsrechtliche Vorgaben betroffen sind, den Politikern egal sind.
Das soll nicht heißen, dass Probleme beim Umwelt- und Gewässerschutz nicht real, gesellschaftliche Anforderungen an eine andere Tierhaltung nicht da seien und diese Punkte nicht auf die Tagesordnung müssten, aber Lösungsansätze, welche von den Betrieben auch umgesetzt werden können, lassen bislang auf sich warten.
Leider gilt noch bis heute, Betriebe mit Produktivitätssteigerungen und Kosteneffizienz fit zu machen, damit sie möglichst billig Rohstoffe erzeugen können. Aber die Begleiterscheinungen sind seit Jahren nicht mehr zu übersehen. Das sollte aber allen klar machen, dass wir um eine Transformation der Landwirtschaft nicht drum herumkommen. Die Umsetzung der Düngeverordnung mit ihren extremen Auswirkungen auf die Betriebe hat uns doch gezeigt, dass, wenn man früher eingegriffen hätte, die Maßnahmen vermutlich viel moderater hätten ausfallen können. Der Spielraum für die allermeisten landwirtschaftlichen Betriebe, zusätzliche gesellschaftliche Leistungen aus dem eigenen Betrieb zu finanzieren, ist jedoch seit Jahren nicht besonders groß.

Hier haben sowohl die Borchert-Kommission für die Tierhaltung als auch die Zukunftskommission für die gesamte Landwirtschaft gute Ansätze erarbeitet. Und das vor allem in einem breiten Bündnis aus fast allen Landwirtschafts-, Tierschutz- und Umweltverbänden sowie Verbraucherorganisationen. Dass die Politik diese Ergebnisse bislang ignoriert hat, zeigt leider, wie unwichtig die eigene Lebensmittelerzeugung geworden ist. Dabei können gerade bäuerliche Betriebe all die Herausforderungen verbinden, wenn man ihnen die gesellschaftlichen Leistungen angemessen honoriert. Hier wird aber seit Jahrzehnten gemauert, statt die Agrargelder der EU endlich nach sozialen Kriterien zu verteilen. Und wenn Cem Özdemir bei der Übergabe der Protestnote der AbL anlässlich der internationalen Agrarministerkonferenz in Berlin sagt, die AbL sei ja ein sehr kleiner Verband und er müsse auch auf das hören, was der große Bauernverband will, dann ignoriert er, dass dieser die allermeisten Betriebe seit Jahren nicht vertritt. Aber trotzdem wäre es wünschenswert, wenn sich die landwirtschaftlichen Verbände in diesen Tagen einig wären. Nur wenn wir jetzt versuchen, möglichst geschlossen aufzutreten, können wir einen gewissen politischen Willen der Ampelregierung nutzen, um für die Landwirtschaft etwas zu erreichen.

31.01.2024
Von: Martin Schulz, AbL-Bundesvorsitzender, Neuland-Schweinebauer in Niedersachsen