Transformation des Ernährungssystems kann Artensterben aufhalten

Unsere Ernährungsweise und Lebensmittelproduktion muss sich grundlegend ändern, um der Zerstörung von Lebensräumen und dem Artensterben Einhalt zu gebieten. Diese Erkenntnis ist nicht neu, doch eine am 21. Dezember in Fachjournal „Nature Sustainability“ erschienene Studie untermauert dies erneut. Wenn sich die aktuellen Trends fortsetzen, könnten 2-10 Millionen Quadratkilometer Land bis 2050 in Agrarflächen umgewandelt werden – meist zulasten natürlicher Lebensräume. Ein internationales Forscherteam prognostiziert nun, dass fast 90% aller Arten dadurch ihren Lebensraum teilweise verlieren könnten. „Wir haben abgeschätzt, wie sich die landwirtschaftliche Expansion zur Ernährung einer immer wohlhabenderen Weltbevölkerung auf etwa 20.000 Arten von Säugetieren, Vögeln und Amphibien auswirken wird“, erklärt Hauptautor Dr. David Williams von der Universität Leeds. „Fast 1.300 Arten werden wohl mindestens ein Viertel ihres verbleibenden Lebensraums verlieren und hunderte könnten mindestens die Hälfte verlieren. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass sie aussterben werden.“ Doch es bestehe auch Hoffnung: Das Artensterben könnte gebremst werden, wenn wir uns gesünder ernähren, weniger Lebensmittel verschwenden, eine nachhaltige Ertragssteigerung gelingt und Landnutzung auf globaler Ebene geplant wird. „Wir müssen sowohl unsere Ernährungsgewohnheiten als auch die Art und Weise unserer Lebensmittelproduktion ändern“, so Dr. Williams. Die Forscher entwickelten ein Modell, um zu prognostizieren, wo es wahrscheinlich zu einer Ausweitung von Agrarflächen kommen wird. Es basiert zum einen auf Beobachtungen, wie sich die Bodenbedeckung zwischen 2001 und 2013 veränderte und zum anderen auf Daten zu Faktoren, die voraussichtlich Einfluss darauf haben werden, dass sich die Landnutzung verändert, z.B. die Eignung eines Gebiets für die Landwirtschaft, die Nähe zu anderen Agrarflächen oder Marktzugang. Dieses Modell verknüpften die Wissenschaftler mit Schätzungen zum Bedarf an Agrarflächen zwischen 2010 und 2050, basierend auf der Bevölkerungszahl, dem Pro-Kopf-BIP und dem Ernteertrag in einzelnen Ländern. So konnten sie vorhersagen, wo und wie stark sich die landwirtschaftliche Fläche künftig wohl ausweiten wird. Dies setzen die Wissenschaftler dann in Beziehung zu Lebensraumkarten für fast 20.000 Amphibien-, Vogel- und Säugetierarten. Sie verwendeten eine kleinteilige räumliche Auflösung von 1,5×1,5 km, was die Bestimmung ermöglichte, welche Arten und Landschaften genau bedroht sind. So konnten sie berechnen, welchen Anteil des Lebensraums jede Art 2010-2050 verlieren wird. Untersucht wurde auch, ob die betroffenen Arten auf Agrarflächen überleben können. Laut den Forschern könnte die globale Anbaufläche unter einem Business-as-usual-Szenario von 2010 bis 2050 um 26% bzw. 3,35 Millionen km² wachsen. Große Zuwächse seien in Subsahara-Afrika, Süd- und Südostasien (v.a. Bangladesch, Pakistan und im Süden Malaysias) sowie im Norden Argentiniens und in weiten Teilen Zentralamerikas zu erwarten. Diese Zunahme werden angetrieben durch „einkommensabhängige Übergänge hin zu einer Ernährung, die mehr Kalorien und größere Mengen an tierischen Lebensmitteln enthält, kombiniert mit einem hohen prognostizierten Bevölkerungswachstum und niedrigen Ernteerträgen, die vor allem in Afrika südlich der Sahara nur langsam ansteigen werden“, schreiben die Autoren. Sie gehen davon aus, dass 87,7% der Arten (17.409 Arten) bis 2050 einen Teil ihres Lebensraums verlieren werden, wenn die derzeitigen Trends anhalten. Bei 6,3% der Arten würde sich der verfügbare Lebensraum nicht verändern und bei 6,0 % gar wachsen, da sie gut auf Agrarflächen klarkommen. Doch diese Mittelwerte verschleiern, wie gravierend sich Lebensraumverluste auf viele Arten auswirken. Bis 2050 könnten 1.280 Arten mindestens 25% ihres Lebensraums verlieren, wodurch die Gefahr steigt, dass sie in den nächsten Jahrzehnten aussterben könnten. 347 Tierarten würden mindestens 50% ihres verbleibenden Lebensraums verlieren und bei 96 Arten wären es gar 75%. Viele der Arten, die wahrscheinlich am stärksten betroffenen sein werden, stehen aktuell nicht auf der Liste der vom Aussterben bedrohten Arten und Naturschützer haben sie daher vermutlich noch nicht auf dem Schirm. „Eine proaktive Politik, die darauf abzielt, wie, wo und welche Lebensmittel produziert werden, könnte diese Bedrohungen reduzieren, wobei eine Kombination von Ansätzen potenziell fast all diese Verluste verhindern und gleichzeitig zu einer gesünderen Ernährung der Menschen beitragen könnte“, heißt es in der Studie. Um das Potenzial solcher proaktiven Ansätze zu untersuchen, entwickelten die Forscher ein Szenario, das vier Veränderungen in Nahrungsmittelsystemen einbezieht: das Schließen von Ertragslücken, einen weltweiten Übergang zu einer gesünderen Ernährung, die Halbierung von Lebensmittelverlusten und -verschwendung sowie eine globale landwirtschaftliche Flächennutzungsplanung, um Konkurrenz zwischen der Lebensmittelproduktion und dem Schutz von Lebensräumen zu vermeiden. Sie analysierten sowohl die Wirkung jedes einzelnen Ansatzes als auch in Kombination. Die gleichzeitige Umsetzung aller vier Szenarien würde den globalen Landbedarf bis 2050 um fast 3,4 Millionen km² im Vergleich zu 2010 und um 6,7 Millionen km² im Vergleich zu einem „Weiter wie bisher“ senken. In allen Regionen würden die Tierarten bis 2050 im Schnitt maximal 1% der Lebensräume verlieren und lediglich 33 Arten würde mehr als 25% ihres Lebensraums abhandenkommen – anstatt 1.280 Arten, wenn wir nichts ändern. Die Auswirkungen der einzelnen Ansätze unterscheiden sich je nach Region. So würde etwa eine Ertragssteigerung in Nordafrika, Westasien und Subsahara-Afrika, wo noch große Ertragslücken bestehen, große Vorteile bringen, aber die Wissenschaftler warnen auch, dass Ertragssteigerungen oft negative Folgen für die Arten haben, die im Agrarland leben. In Nordamerika, wo die Erträge bereits nahe am Maximum sind, bringe ein Ertragsplus hingegen kaum mehr Schutz für die Artenvielfalt. Die Umstellung auf eine gesündere Ernährung und die Verringerung der Lebensmittelverschwendung würden vor allem in reicheren Regionen mit einem hohen Pro-Kopf-Verbrauch an Kalorien und tierischen Lebensmitteln erhebliche Vorteile bringen. In Regionen mit geringem Fleischkonsum und hoher Ernährungsunsicherheit hingegen wird eine gesündere Ernährung dagegen einen geringeren Nutzen für die Biodiversität mit sich bringen. Eine globale Landnutzungsplanung allein würde die geringste Wirkung entfalten, da immer noch 1.026 Arten einen Verlust von mindestens 25% ihres im Jahr 2010 noch verfügbaren Lebensraums hinnehmen müssten. Subsahara-Afrika würde am meisten von dieser Maßnahme profitieren. Das Wissen um die Auswirkungen jedes einzelnen Ansatzes könne politischen Entscheidungsträgern und Naturschützern dabei helfen abzuwägen, welche Veränderungen in ihrem Land oder ihrer Region voraussichtlich den größten Nutzen bringen werden. „Es ist jedoch wichtig, dass wir alle diese Maßnahmen ergreifen“, betont Hauptautor Dr. Michael Clark von der Universität Oxford. „Kein einzelner Ansatz ist für sich allein ausreichend.“ Traditionelle Schutzmaßnahmen, wie die Einrichtung neuer Schutzgebiete oder Gesetze für vom Aussterben bedrohte Arten, genügten nicht. Die Ursachen der landwirtschaftlichen Expansion müssten angegangen werden. „Die gute Nachricht ist: Wenn wir ehrgeizige Änderungen am Lebensmittelsystem vornehmen, können wir fast alle Lebensraumverluste verhindern“, so Clark weiter. Das Fazit der Autoren: „Diese proaktiven Bemühungen, die Art und Weise, wie wir Nahrung produzieren und konsumieren, zu ändern, wird eine große Herausforderung sein, aber eine, die nicht vermieden werden kann, wenn wir alle Arten für künftige Generationen erhalten wollen.“ Eine Meldung von weltagrarbericht.de.