Die globalen Ziele zum Schutz der biologischen Vielfalt wurden bisher weitgehend verfehlt, der Verlust der biologischen Vielfalt schreitet ungebremst fort. Die globalen Ziele zum Schutz der biologischen Vielfalt müssten künftig als Mindestanforderungen in nationales Recht aller Mitgliedstaaten der UN-Biodiversitätskonvention (CBD), zu denen auch Deutschland gehört, übernommen werden. Das teilt das Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig mit und benennt damit einen von vier Vorschlägen zur Verbesserung der globalen Strategie zum Biodiversitätsschutz, die das iDiv als Teil eines Forscherteams unter gemeinsamer Leitung des Nanjing Instituts für Umweltforschung in China, der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU), von NatureServe und des iDiv macht. Diese Strategie wird derzeit neu ausgehandelt. Außerdem müssten die Finanzierung, die Wissensgrundlage und die Methoden zur Erfolgsmessung des Naturschutzes aufgebessert werden. In der Fachzeitschrift
Nature Ecology & Evolution nennen die Forscher Gründe für das Scheitern und zeigen konkrete Politikoptionen auf.
„Seit Gründung des Übereinkommens über die biologische Vielfalt (CBD) der Vereinigten Staaten 1992 in Rio de Janeiro verständigen sich die Mitgliedstaaten regelmäßig auf globale Strategien, wie der zunehmend rasante Verlust der biologischen Vielfalt aufgehalten werden kann. 2002 beschlossen die Staatsoberhäupter die so genannten 2010-Biodiversitätsziele. Acht Jahre später musste man feststellen, dass es kaum Fortschritte gab und legte 20 neue, noch ehrgeizigere Ziele für die nächsten zehn Jahre fest. Vergangenes Jahr wurde klar: Auch diese Latte hatte man gerissen. Der Verlust der biologischen Vielfalt schreitet ungebremst fort“, schreibt Sebastian Tilch, Abteilung Medien und Kommunikation des iDiv.
Dieses Jahr werden laut iDiv wieder neue Ziele verhandelt – Ziele, die bis 2030 gelten sollen. Die Entscheidung sollen bei der Vertragsstaatenkonferenz COP15 in chinesischen Kunming fallen. Um vorzubeugen, dass nicht wieder dieselben Fehler gemacht werden wie in den Jahren zuvor, haben chinesische Forscher um Prof. Haigen Xu vom Nanjing Instituts für Umweltforschung in Kooperation mit Prof. Henrique Pereira (iDiv, MLU) eine Analyse der Gründe für das bisherige Scheitern der Staatengemeinschaft vorgelegt. Darin konzentrieren sie sich vor allem auf die Umsetzung in den einzelnen Mitgliedstaaten.
Ihr Ergebnis: Die Zusagen auf UN-Ebene seien viel zu selten in nationales Recht übernommen worden. Vier der zwanzig sogenannten Aichi-Ziele finden sich in keinem einzigen der von den Regierungen vorgelegten Umsetzungsplänen (NBSAPs) wieder, darunter die Abschaffung umweltschädlicher Subventionen. Die anderen Ziele sein nur in 22 Prozent der NBSAPs stark genug formuliert worden, dass sie die Anforderungen der CBD-Beschlüssen erfüllten. Darüber hinaus seien die nötigen Finanzmittel viel zu gering, es gebe zudem zu große Wissenslücken zur Erfassung und wirksamen Bekämpfung von Biodiversitätsverlust. Außerdem würde die Umsetzung der versprochenen Ziele in den Mitgliedsstaaten nur unzureichend überprüft, da es zum Teil an wirksamen Indikatoren und Auswertungsmechanismen fehle.
„Zwar hat die CBD nun einen ersten Entwurf für ihre Post-2020-Strategie vorgelegt, der viele Verbesserungen gegenüber dem vorherigen Strategischen Plan für den Erhalt der Biodiversität enthält”, sagt Senior-Autor Pereira. „Die meines Erachtens wesentlichen Probleme bestehen hier jedoch weiter: Die Regierungen müssen keinen klaren Fahrplan vorlegen, wie sie die im Rahmen der CBD beschlossenen Ziele im eigenen Land erreichen und überprüfen wollen.“
Die Autoren schlagen vor, die CBD-Ziele so zu formulieren, dass sie als verpflichtende Mindestanforderungen in nationales Recht überführt werden können. Ähnlich wie beim Pariser Klimaschutzabkommen oder dem Washingtoner Artenschutzübereinkommen (CITES) sollten diese gesetzlich verbindlich sein. Finanzielle Mittel zur Förderung der Biodiversität sollten deutlich erhöht und hierfür auch neue Instrumente wie Zahlungen für Ökosystemleistungen (payments for ecosystem services), wie sie beispielsweise im Rahmen der Gemeinsamen EU-Agrarpolitik (GA) möglich sind, oder biodiversitätsrelevante Steuern eingeführt werden. Außerdem sollte die interdisziplinäre Erforschung von Trends und Ursachen des Biodiversitätsverlustes weltweit verstärkt und entsprechend ausgestattet werden, um die nötigen Maßnahmen entwickeln zu können. Außerdem sollte die CBD einen Mechanismus einführen, der die Einhaltung der Ziele der einzelnen Staaten prüft und diese gegebenenfalls zur Rechenschaft zieht.
„Die Auswirkungen des Biodiversitätsverlustes auf das menschliche Wohlergehen waren noch nie so deutlich wie heute. Ein Bewusstsein für die Misserfolge vergangener Bemühungen, effektiv auf die Biodiversitätskrise zu reagieren, können zukünftige Maßnahmen beeinflussen“, sagt Mike Gill, Direktor des Biodiversitätsindikatorenprogramms bei NatureServe und Mitautor der neuen Studie. „Unsere Ergebnisse bieten einige realistische und greifbare Lösungen, die eine nachhaltigere und wohlhabendere Zukunft ermöglichen können.“
Am iDiv sind Pereira und viele weitere Kollegen analysierend und beratend an verschiedenen Politikprozessen zum Naturschutz auf verschiedenen Ebenen beteiligt: Etwa im Rahmen der Vereinten Nationen im Weltbiodiversitätsrat IPBES und der CBD, auf EU-Ebene bei den Verhandlungen der gemeinsamen Agrarpolitik GAP oder EU-Biodiversitätsstrategie, sowie im nationalen, regionalen und lokalen Rahmen. Dabei hilft laut iDiv die gute Vernetzung des Forschungszentrums mit Forschern, Nichtregierungsorganisationen und Behördenvertretern in aller Welt.
Pereira freut sich laut der iDiv-Mitteilung über die Zusammenarbeit mit seinen chinesischen Co-Autoren als wichtige Akteure im Naturschutz aus einer der einflussreichsten Nationen der Welt. „Es ist inspirierend, einen so ehrgeizigen Vorschlag gemeinsam mit Kollegen aus dem Gastgeberland der COP15 zu verfassen, wo die endgültigen Entscheidungen getroffen werden.“
Die Umsetzung der Biodiversitätsstrategie (NBSAP) für Deutschland hat die Bundesregierung unter anderem in einer Broschüre unter Bezugnahme auf den Kabinettsbeschluss im November 2007 vorgestellt. Aktuellere Ausführungen (Oktober 2015) finden sich in der Broschüre "Narurschutz-Offensive 2020 - Für bilogische Vielfalt" des Bundesumweltministeriums.