Thünen-Institut erwartet Rückgang von über 300.000 Hektar landwirtschaftlicher Fläche

In den letzten Jahrzehnten hat Deutschland kontinuierlich Landwirtschaftsfläche verloren, im Durchschnitt mehr als 50 Hektar pro Tag – oder 70 Fußballfelder. Im Gegenzug nahmen Siedlungs- und Verkehrsflächen sowie Waldgebiete zu. Auch wenn dies die Nahrungsversorgung des Landes nicht akut gefährdet, so ist Landwirtschaftsfläche eine kostbare und schützenswerte Ressource. Das teilt das Thünen-Institut mit. Gerade in Mitteleuropa seien die Flächen fruchtbarer und ertragreicher als in den meisten anderen Regionen der Welt. Daher trage auch Deutschland eine globale Verantwortung für den Schutz fruchtbarer Ackerflächen zur Nahrungsproduktion und sollte eine Vorreiterrolle in der nachhaltigen Bodennutzung einnehmen.

In einer jetzt erschienenen Studie hat das Thünen-Institut geschätzt, wie viel Landwirtschaftsfläche bis 2030 für andere Nutzungszwecke in Anspruch genommen wird, wenn die aktuellen Planungen und Strategien Realität werden. Demnach werden bis 2030 mehr als 200.000 Hektar für Siedlung und Verkehr benötigt, wenn der im „Bündnis bezahlbarer Wohnraum“ formulierte Bedarf umgesetzt wird. Der geplante Ausbau erneuerbarer Energien, insbesondere der Freiflächen-Photovoltaik, werde bis 2030 mehr als 100.000 Hektar Freifläche beanspruchen. Gleichzeitig würden für Biodiversität und Klimaschutz immer größere Flächen für naturnahe Lebensräume und Kohlenstoffsenken gefordert. Diese Ansprüche erfordern Flächennutzungsänderungen wie Aufforstungen, Gehölzpflanzungen und die Wiedervernässung von Mooren, die sich auf mehr als 500.000 Hektar summieren, so das Thünen-Institut. Insgesamt sei das mehr als die dreifache Fläche des Bundeslandes Saarland.

Die Thünen-Autor*innen gehen davon aus, dass nur ein Teil dieser Umnutzungen die aktuell landwirtschaftlich genutzte Fläche betreffen wird. Unter der Annahme, dass die formulierten Ziele bis 2030 erreicht werden, erwarten sie dennoch einen Rückgang von über 300.000 Hektar landwirtschaftlicher Fläche. Das sind 109 Hektar pro Tag und damit mehr, als ein durchschnittlich großer Landwirtschaftsbetrieb bewirtschaftet (derzeit 64 ha).

„Es ist dringend erforderlich, dass die Nutzungsansprüche stärker miteinander in Einklang gebracht werden. Synergien und Mehrfachnutzungen von Flächen sollten so weit wie möglich realisiert werden,“ sagt Bernhard Osterburg, der federführende Autor der Studie. Beispiele hierfür sind der verstärkte Ausbau der Photovoltaik auf Siedlungs- und Verkehrsflächen, auf wiedervernässten Mooren oder in Kombination mit landwirtschaftlicher Nutzung. „Wenn der Ausbau von Freiflächen-Photovoltaik entlang von Autobahnen und Bahntrassen baurechtlich privilegiert wird, beschleunigt dies zwar den Ausbau, fördert aber die Umwandlung von Landwirtschaftsflächen, ohne solche Synergien zu nutzen“, so der Thünen-Wissenschaftler.

Die Herausforderung für die Politik liege in der Abwägung und Steuerung der vielfältigen Flächenansprüche, ohne dabei das Tempo der Energiewende und der Transformation zu einer nachhaltigeren und klimafreundlicheren Landnutzung zu bremsen. Hierfür sei eine umfassende Landnutzungspolitik notwendig, die alle Ziele gleichermaßen berücksichtigt.

Die Studie „Flächennutzung und Flächennutzungsansprüche in Deutschland“ ist als Thünen Working Paper 224 erschienen und steht hier zum Download zur Verfügung.