Systemrelevanz lohnt sich, aber nicht für Bauern

Lebensbereichen wie Kultur oder Reiseverkehr geht es unter der zweiten Welle der Corona- Krise an die Existenz. Auch Gaststätten, Restaurants und Freizeitveranstalter leiden unter dem neuen Lockdown light gewaltig. Dagegen ist das Coronajahr 2020 für die Lebensmittelbranche wie ein doppelter warmer Regen. Schon in der ersten Phase konnte man mit dem Geldzählen kaum nachkommen. Der Lebensmittelhandel (LEH) profitierte laut dem neuesten Verbraucherindex der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) von den Einschränkungen im Außer- Haus- Verzehr und verbuchten von Januar bis September ein Umsatzplus von 11,4%. Der positive Trend wird sich auch im 4. Quartal angesichts der neuerlichen Maßnahmen fortsetzen. Besonders die Supermärke wie Edeka und Rewe lägen beim Kampf um den Umsatz mit sagenhaften 16% vorn vor den Discountern mit „nur“ 9%. Die Tendenz zum Großeinkauf und zum Ein-Stop-Einkauf, d.h. möglichst alles in nur einem Geschäft zu kaufen, spielt ihnen in die Hände. Darunter „leiden“ ein wenig die Drogeriemärkte, die „nur“ auf ein Plus von 4% kommen. Von Krisengewinnern ... Auch von Weihnachten erwartet der LEH in diesem Ausnahmejahr ein vielversprechendes Geschäft. Besonders die online- Händler können sich vor Aufträgen kaum retten. Plus 20% Umsatz sind in 2020 realistisch. Amazon und der chinesische Online Händler Alibaba sprechen von 21% bis 24%. Welche Wellen die Online- Geschäftserwartungen seit Corona inzwischen schlagen, kann man an dem Kauf des 2016 gegründeten „kleinen“ Münsteraner Lieferdienstes Flaschenpost mit gerade einmal Auftritten in 22 Städten sehen. Dr. Oetker soll für die Übernahme fast 1 Milliarde € hingelegt haben. Bei den Sortimenten im Lebensmittelhandel haben alle Produktgruppen zugelegt:Obst und Gemüse + 16%; Molkereiprodukte + 10%, Brot und Backwaren +8% und auch Fleisch trotz Verzehrsrückgang + 16%. Nicht nur der LEH, sondern auch das Bäcker- und Fleischerhandwerk haben gewonnen, wenn sie nicht inzwischen mehr auf ihr Außer- Haus- Geschäft und Catering gesetzt haben. Auch der Biomarkt, der ja in der Gastronomie und in der Gemeinschaftsverpflegung nicht so stark ist, gehört zu den Gewinnern. Die Nachfrage nach Bioschweine- und Biorindfleisch sei ungebrochen, meldet der Agrarmarkt-Informationsdienst (AMI). Auch hier spricht man von einem zweistelligen Umsatzwachstum. In den letzten Wochen sind sogar die Erzeugerpreise für Rind und Schwein noch einmal leicht gestiegen, obwohl der Abstand zum konventionellen Preis sich drastisch erhöht hat. Bio- Schweine: 3,80 €/kg gegenüber 1,27 €/kg konventionell. ... und Bauern als Krisenverlierer Im Vergleich zu diesen Krisengewinnlern sind - neben der Gastronomie - auch die Bäuerinnen und Bauern die großen Verlierer. Gerade noch als „systemrelevant“ gefeiert, weil die Lieferketten gehalten haben, rutschen die Erzeugerpreise aktuell in den Keller. Der Milchpreis sank auf ein existenzgefährdendes Niveau von unter 30 ct/kg. Die Rindfleischerzeuger leiden seit Monaten unter sinkenden Einkommen. Und die Schweinehalter, die angesichts der lukrativen Chinaexporte noch zu Jahresanfang vom Superjahr 2020 träumten, sind durch Corona und die Afrikanische Schweinepest in Deutschland krachend erwacht. Seit Januar ist der Schweinepreis um ein Drittel und der Ferkelpreis um mehr als die Hälfte gefallen. Besonders die Lage der Ferkelerzeuger ist desaströs. Dazu kommt der „Schweinestau“ durch die fehlenden Schlachtkapazitäten als Folge der Infektionen der Arbeitnehmer in der Fleischindustrie. In dieser Zeit laut die Forderung nach höheren Preisen vor den Toren der Industrie und des Handels zu erheben, ist nachvollziehbar und gerechtfertigt. Ob sie bei der Marktlage Erfolg verspricht, wenn man mal wieder – wie MV- Landwirtschaftsminister Backhaus – kostendeckende Rohstoffpreise beim Handel anmahnt, wird sich zeigen. An die „verantwortlichen Manager“ zu appellieren, sich auch Gedanken über die Zukunft der Bauern und Winzer zu machen, erscheint eher gutmütig, wenn z.B. der Bauernverbandspräsident von Rheinland Nassau fordert: „Wir erwarten verantwortliches Handeln, und es ist traurig und beschämend, wenn dies nicht geschieht.“ Die GfK- Analysten gehen für den Handel schon einen Schritt weiter. „Wer nur auf günstigste Preise abstelle, könnte sogar kontraproduktive Effekte anstoßen.“ Gerade durch die Coronakrise müsse man das geänderte Konsumverhalten berücksichtigen und unbedingt „weitere Leistungserwartungen wie Wertigkeit und Nachhaltigkeit erfüllen.“