Mehrere europäische Organisationen aus den Bereichen Umweltschutz, Landwirtschaft, Imkerei und Lebensmittelproduktion haben im Vorfeld des Treffens des Europäischen Rates am 27./28. Juni eine gemeinsame Stellungnahme veröffentlicht, in der eine robuste und wissenschaftsbasierte Regulierung von Pflanzen aus Neuer Gentechnik (NGT) gefordert wird. Die Organisationen fordern die EU-Mitgliedsländer dazu auf, einen Vorschlag zur Deregulierung zurückzuweisen, der von der belgischen Ratspräsidentschaft vorgelegt wurde.
Die Organisationen fordern, dass die Regulierung von NGT-Pflanzen auch in Zukunft eine verpflichtende Risikoprüfung vorsieht und es zudem ermöglichen soll, den Überblick über alle in Verkehr gebrachten NGT-Pflanzen zu behalten und ein Monitoring durchzuführen. Zudem sind Anbau und Lebensmittelproduktion so zu trennen, dass die traditionelle Lebensmittelproduktion geschützt bleibt. Auch die Rückverfolgbarkeit und die Kennzeichnung der Endprodukte müsse gewährleistet sein.
Die Vorschläge, die von der belgischen Regierung, der EU-Kommission und dem EU-Parlament vorgelegt wurden, erfüllen diese Anforderungen nicht. Deswegen fordern die Organisationen von den EU-Mitgliedsländern, einen Vorschlag der französischen Behörde ANSES zu prüfen.
Der Vorschlag von ANSES sieht einen Entscheidungsbaum innerhalb der bestehenden GVO-Regulierung der EU vor, der die Anpassung der Zulassungs- und Monitoringverfahren an die Eigenschaften von NGT-Pflanzen erlaubt. Nach diesem Vorschlag könnte eine abgestufte Risikoprüfung die Entscheidungsfindung bei der Zulassung von NGT-Pflanzen beschleunigen. Es soll mit den üblichen Verfahren der Risikoprüfung, der molekularen Charakterisierung und der Analyse der Zusammensetzung der pflanzlichen Inhaltsstoffe begonnen werden. Basierend auf diesen Ergebnissen wird dann entschieden, welche weiteren Daten für die Risikoprüfung notwendig sind.
Der Entscheidungsbaum stimmt mit dem Ziel der EU-Kommission überein, die den Zulassungsprozess an unterschiedliche Risiken der NGT-Pflanzen anpassen will. Zudem erlaubt es der Vorschlag, einen Überblick über die Anzahl der Freisetzungen zu behalten und diese zu überwachen. Auch Transparenz, Koexistenz und Wahlfreiheit für VerbraucherInnen würden bestehen bleiben. Zusammengefasst folgt der Vorschlag von ANSES dem Ansatz, die bestehende Regulierung an die speziellen Anforderungen bei NGT-Pflanzen anzupassen, ohne die Vorteile der bisherigen EU-Regulierung aufzugeben.
Testbiotech, eine der die Stellungnahme unterzeichnenden Organisatoren, warnt davor, dass der aktuelle Vorschlag der belgischen Regierung sogar zu einer wesentlich radikaleren Deregulierung von NGT-Pflanzen führen würde als der ursprüngliche Text der EU-Kommission. So würde die Anzahl der gentechnischen Veränderungen, die erlaubt sind, ohne dass eine Risikoprüfung verpflichtend wäre, drastisch erhöht. Beispielsweise wären beim Weizen, der sechs bzw. acht Chromosomensätze besitzt, bis zu 120 bzw. 160 anstelle von 20 gentechnischen Veränderungen (wie ursprünglich von der EU-Kommission vorgeschlagen) möglich, ohne eine Risikoprüfung durchzuführen. Dass dies wissenschaftlich nicht fundiert ist, zeigt auch eine frühere Stellungnahme der europäischen Lebensmittelbehörde EFSA: Im Fall eines Weizens mit reduziertem Glutengehalt, der 35 gentechnische Veränderungen enthält, hat die Behörde festgestellt, dass die große Anzahl der Veränderungen weit über das hinausgeht, was bisher bewertet wurde, und neue Ansätze in der Risikoprüfung erforderlich sind.
Testbiotech ist der Ansicht, dass weder auf Basis einer maximalen Anzahl von 20 noch von 160 gentechnischen Veränderungen wissenschaftliche fundierte Aussagen über die Sicherheit von NGT-Pflanzen getroffen werden können. Anstelle von formalistischen Kriterien müssten die Firmen verlässliche Daten für eine gestufte Risikoprüfung vorlegen.
Der Aufruf ist unterzeichnet von Agrolink Association (Bulgarien), Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL, Deutschland), ARGE Gentechnikfrei (Schweiz), Aurelia Foundation (Deutschland), Biodynamic Federation Demeter International e.V., BUND (Friends of the Earth Germany, Deutschland), Deutscher Berufs und Erwerbs Imker Bund e.V., Corporate Europe Observatory (CEO), Earth Trek (Zemljane staze, Kroatien), European Non-GMO Industry Association (ENGA), Gen-ethisches Netzwerk e.V. (Deutschland), IFOAM Organics Europe, Nature & Progrès Belgique (Belgien), Plataforma Transgénicos Fora (Portugal), Save Our Seeds! (SOS, Deutschland), SITO seeds (Griechenland) und Testbiotech (Deutschland).
Eine inoffizielle englische Übersetzung des ANSES-Vorschlages findet sich hier.