Interessenkonflikte gefährden die Unabhängigkeit der EFSA

Im Juli hat die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) das für die Bewertung von gentechnisch veränderten Organismen zuständige und von der EFSA selbst als „unabhängig“ bezeichnete ‚GMO Panel‘ neu besetzt. Recherchen von Testbiotech zeigen jedoch, dass dem Panel jetzt eine große Anzahl von Entwickler:innen von Gentechnikpflanzen mit Verbindungen zur Industrie angehören, die auch als Aktivist:innen für eine Deregulierung der Neuen Gentechnik (NGT) auftreten.

Das Panel ist für die Risikobewertung von gentechnisch veränderten Pflanzen sowie für die Entwicklung von Prüfrichtlinien zur Risikobewertung zuständig. „Das Gremium für genetisch veränderte Organismen (GMO) bietet unabhängige wissenschaftliche Beratung in den Bereichen Lebens- und Futtermittelsicherheit, Umweltverträglichkeitsprüfung und molekulare Charakterisierung/Pflanzenkunde“, schreibt die EFSA zur Aufgabe des Panels. Testbiotech hatte bereits in der Vergangenheit Fälle von Interessenkonflikten in dem Gremium aufgedeckt und hat jetzt die offiziellen Interessenerklärungen der neuen Sachverständigen analysiert.

Die Recherche zeigt unter anderem, dass fast die Hälfte der 16 Mitglieder des Panels an der Entwicklung von transgenen oder NGT-Pflanzen beteiligt ist. In etlichen Fällen gab bzw. gibt es Kooperationen mit der Industrie wie bspw. mit Syngenta und Corteva (ehemals Pioneer/DowDuPont). Fünf Experten haben zudem, oft gemeinsam mit Unternehmen, Patente auf transgene oder NGT-Pflanzen angemeldet. Der Vorsitzende des Gentechnik-Panels berät sogar die Industrie zu Themen, die die Risikobewertung der EFSA betreffen.

Obwohl Fachkenntnisse über die Entwicklung von gentechnisch veränderten Pflanzen für deren Risikobewertung durchaus relevant sind, wurde das Gentechnik-Panel in der bisherigen Geschichte der EFSA noch nie so einseitig mit Gentechnik-Anwender:innen besetzt. Im Gegenzug sinkt dabei zwangsläufig der Anteil an Sachverständigen, deren Expertise in wichtigen Gebieten wie bspw. der Ökologie liegt und die keine Anwenderperspektive bei Fragen der Risikobewertung haben.

Zudem entstehen durch die enge Zusammenarbeit mit der Industrie offensichtliche Interessenkonflikte, die die EFSA im Rahmen des Auswahlprozesses laut Testbiotech nicht angemessen bewertet hat. Da für Panel-Vorsitzende besonders strenge Regeln in Bezug auf Interessenkonflikte gelten, scheint für Testbiotech insbesondere der unkritische Umgang mit der Beratertätigkeit des Vorsitzenden unverständlich.

Testbiotech ist zudem besorgt darüber, dass sich zahlreiche Panel-Mitglieder aktiv an der Lobbyarbeit für eine Deregulierung von NGT-Pflanzen in der EU beteiligen, u.a. in Organisationen wie EPSO (European Plant Science Organisation), EU-SAGE (European Sustainable Agriculture through Genome Editing) und ARRIGE (Association for Responsible Research and Innovation in Genome Editing). Weitergehende Recherchen ergaben, dass einige Panel-Mitglieder Lobbyorganisationen unterstützen, ohne dass dies in den Interessenerklärungen erwähnt wird.

Insgesamt zeigt sich, dass Anwender:innen und Pro-Gentechnik-Aktivist:innen einen erheblichen Einfluss auf die Risikoprüfung von Gentechnik-Organismen in der EU erlangt haben. Aus der Sicht von Testbiotech scheint unter diesen Bedingungen für die kommenden Jahre eine unabhängige Bewertung von Zulassungsanträgen und eine angemessene Weiterentwicklung von Prüfrichtlinien durch die Behörde kaum realisierbar.

Der Vorgang wirft weitreichende Fragen in Bezug auf den Auswahlprozess und die Unabhängigkeitspolitik der Behörde einschließlich deren Leitung auf, die für die Ernennung der ExpertInnen verantwortlich ist.

Nach Ansicht von Testbiotech trägt die Zusammensetzung des Panels die Handschrift des scheidenden Geschäftsführers Bernhard Url. Dieser hatte es bereits zugelassen, dass die EFSA im Rahmen der Diskussion um die Neue Gentechnik stellenweise zu einer Art Dienstleister für die EU-Kommission und die Interessen der Industrie mutiert war. Bei der Neubesetzung der Leitungsposition müsse deswegen strikt auf dessen Kompetenz und Unabhängigkeit geachtet werden. Zudem müsse die Zusammensetzung des GMO Panels dringend korrigiert werden.

11.09.2024
Von: FebL/PM

Wer sitzt mit welchen Interessen im neu besetzten "GMO-Panel" der EFSA? Grafik: Gerd Altmann/Pixabay