Neue Gentechnik: Schleichender Beginn der Deregulierung
Die EU-Mitgliedsstaaten haben die Kommission beauftragt, eine Untersuchung „zu dem Status neuartiger genomischer Verfahren im Rahmen des Unionsrechts“ vorzulegen. Beobachter werten diese Entscheidung als ersten Schritt, die neuen gentechnischen Verfahren aus dem Gentechnikrecht herauszunehmen. Vorliegen soll die Untersuchung bis April 2021. Ob die EU und ihre Mitgliedstaaten bis dahin Anstrengungen unternehmen, um das Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom Juli 2018 zur Neuen Gentechnik zu vollziehen, ist ungewiss. Darauf weist der Verband VLOG – Lebensmittel ohne Gentechnik hin.
Der Auftrag an die Kommission steht in einem Beschluss des Europäischen Rates vom 8. November. Darin heißt es weiter, die Kommission solle parallel zur Untersuchung einen Vorschlag vorlegen, „falls das angesichts der Ergebnisse der Untersuchung angemessen ist, oder anderenfalls den Rat über andere, infolge der Untersuchung erforderliche Maßnahmen“ unterrichten. Es ist bekannt, dass die EU-Kommission bestimmte Neue Gentechniken aus der Gentechnikgesetzgebung herausnehmen will. „Der Auftrag zu dieser Studie ist geradezu eine Einladung an die Kommission, bis 2021 April einen Vorschlag zu erarbeiten, wie sie das Gentechnikrecht ändern will, um die Neue Gentechnik zu deregulieren“, sagt VLOG-EU Policy Advisor, Heike Moldenhauer. Für Alexander Hissting, VLOG Geschäftsführer geht es daher in dieser Studie um die Geschäftsgrundlage der gentechnikfreien Land- und Ernährungswirtschaft in der EU. „Weiterhin Lebensmittel ‚ohne Gentechnik’ auszuloben wird extrem schwierig, wenn bestimmte Verfahren und Produkte, die der oberste europäische Gerichtshof als Gentechnik eingestuft hat, plötzlich aus der Regulierung herausfallen“.
Der Rat der Europäischen Union begründete seinen Beschluss damit, dass die Entscheidung des EuGH zwar den Rechtsstatus neuer Mutageneseverfahren geklärt, zugleich aber einige praktische Fragen für nationale Behörden, Wirtschaft und Forschung aufgeworfen habe. Dazu zähle auch die Frage, „wie die Einhaltung der Richtlinie 2001/18/EG sichergestellt werden kann, wenn mittels neuer Mutageneseverfahren gewonnene Erzeugnisse sich mit aktuellen Methoden nicht von Erzeugnissen, die aus natürlicher Mutation hervorgegangen sind, unterscheiden lassen.“
Damit wird auch der Vollzug des EuGH-Urteils Thema der Studie. „Schlimmstenfalls bedeutet das, dass Kommission und Mitgliedsstaaten abwarten werden, anstatt möglichst schnell Nachweisverfahren zu entwickeln“, sagt Hissting. „Dabei wäre es die gesetzliche Aufgabe der Behörden, dafür zu sorgen, dass bereits existierende Erzeugnisse der Neuen Gentechnik wie der Falco-Raps der Firma Cibus nicht illegal in die EU gelangen.“
Der Beschluss des Rates zeigt aber auch, dass sich die EU-Staaten in Bezug auf die Regulierung der Neuen Gentechnik nicht einig sind. Es gibt zu diesem Beschluss Statements mehrerer Mitgliedsstaaten, die deren Zerrissenheit zeigen. So erklären Ungarn, Polen und drei weitere Staaten: „Der Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt erfordert, dass besonderes Augenmerk auf die Kontrolle der Risiken jeglicher Technik, die das genetische Material verändert, gerichtet wird; das derzeitige Schutzniveau sollte beibehalten werden.“ Sie begründen dies mit dem Ziel, „die Umwelt und die menschliche Gesundheit unter Beachtung des Vorsorgeprinzips zu schützen.“ Die Niederlande und Spanien dagegen fordern ausdrücklich „eine Überprüfung der derzeit geltenden Rechtsvorschriften zu GVO“. Deshalb solle die Untersuchung der Kommission „auf die Eignung, die Effizienz und die Kohärenz des derzeit geltenden Rechtsrahmen“ eingehen und neben dem Vorsorgeprinzip auch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit berücksichtigen.
Das Bundeslandwirtschaftsministerium teilte dem Informationsdienst Gentechnik mit, dass sich Deutschland bei der vorbereitenden Abstimmung über diesen Beschluss enthalten habe. Denn die Parteien der großen Koalition seien sich bei der Frage uneins, wie neue gentechnische Verfahren rechtlich behandelt werden sollten.